Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Grete Meisel-Hess, Schriftstellerin

geb. 18.4.1879 (Prag, damals Österreich-Ungarn) gest. 18.4.1922 (Berlin)

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Grete Meisel-Hess, o.J.
Grete Meisel-Hess wurde am 18. April 1879 in Prag als Tochter des jüdischen Fabrikanten Leopold Meisel und dessen Frau Julie (geb. Freud) geboren. Im Alter von zehn Jahren kam sie in das Landeserziehungsheim in Prachatitz (Prachatice) im Böhmerwald. Nachdem die Eltern 1893 nach Wien umgezogen waren, besuchte die 14-Jährige die dortige erste Mittelschule für Mädchen, wo sie auch 1896 ihren Abschluss machte. Anschließend war sie fünf Jahre Gasthörerin an der Universität Wien, hörte dort Vorlesungen in Philosophie, Soziologie und Biologie und begann, sich mit der „Frauenfrage“ zu beschäftigen. Gleichzeitig wurde sie publizistisch aktiv.

Grete Meisel-Hess schrieb Gedichte, Novellen, Romane und Essays, und bereits ihre Kritik an der frauenfeindlichen Schrift Geschlecht und Charakter des österreichischen Philosophen und Psychologen Otto Weininger (1880–1903) machte sie bekannt. Die Autorin setzte sich in anderen Schriften auch mit Friedrich Nietzsche, Ernst Haeckel und Wilhelm Bölsche in Zusammenhang mit Fragen zu Individualismus und Sozialismus auseinander. In der „Regulierung der Frauenfrage durch Ermöglichung einer neuen Ehe“ sah sie das Ziel eines neuen Staatsgebäudes, des „Individual-Sozialismus“.

Grete Meisel ging 1900 die Ehe mit Peter Hess ein, die jedoch bereits ein Jahr später wieder geschieden wurde. 1908 zog sie nach Berlin, wo sie im Bund für Mutterschutz (BfM) und in der Internationalen Liga für Mutterschutz und Sexualreform aktiv wurde. 1910 wurde sie neben Helene Stöcker, Heinrich Stabel und anderen in den Ortsvorstand des BfM gewählt. Grete Meisel-Hess publizierte in der Zeitschrift des BfM und in Sammelbänden der frühen „Radikalfeministen“ und hielt daneben auch zahlreiche Vorträge, etwa vor dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) und im großen Saal der Singakademie in Berlin. Hier sprach sie am 12. November 1911 zum Thema „Für und wider die Ehe“.

In Berlin lernte Grete Meisel-Hess ihren zweiten Mann, den Architekten Oskar Gellert kennen. Die beiden gingen 1909 die Ehe ein, die jedoch einigen Belastungen ausgesetzt war. Offenbar aus finanziellen Überlegungen heraus kehrte Grete Meisel-Hess nach einer vorübergehenden Trennung zu ihrem zweiten Ehemann zurück. Sie hatte ihm ihr Vermögen als Heiratsgut gegeben.

Ab etwa 1917 lebte Grete Meisel-Hess zusammen mit ihrer verwitweten Mutter in finanziell prekären Verhältnissen. Von Freunden und Bekannten musste sie sich immer wieder Geld leihen. In den letzten Jahren ihres Lebens litt Grete Meisel-Hess zudem an Depressionen und unter anderen psychischen Problemen. So hörte sie Stimmen. Die Ursache für ihre Erkrankung sah sie selbst darin, dass sie im Oktober 1918 an einer spiritistischen Sitzung teilgenommen hatte. Ab 1919 fragte sie beim Mosse-Stift in Berlin um Unterstützung an, weil sie nervenleidend sei und nicht viel verdiene. Mehrfach ließ sie sich in die Nervenklinik der Charité einweisen.

Grete Meisel-Hess starb am 18. April 1922, ihrem 43. Geburtstag, offiziell an einer Mittelohrentzündung. Helene Stöcker, die Mitbegründerin des BfM, gedachte ihrer Weggefährtin in einem Nachruf mit den Worten: „Sie war nicht nur eine der begabtesten, geistreichsten, energischsten Frauen, die für die Gleichberechtigung der Frau eintraten, sondern auch eine der angesehensten Vorkämpferinnen der Bewegung für Sexualreform, deren hohe schriftstellerische Begabung in einer Reihe von wertvollen Werke Gestalt gewonnen hat […]. Die letzten Jahre ihres Lebens waren durch ein schweres nervöses Leiden getrübt, das sie oft zur Verzweiflung zu bringen drohte.“

Grete Meisel-Hess gehörte nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts auch für Frauen in Deutschland neben Lou Andreas-Salomé, Louise Dumont, Gertrud Eysoldt, Käthe Kollwitz, Adele Schreiber und Helene Stöcker zu den sieben erstunterzeichnenden Frauen der Petition des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gegen den § 175 RStGB, der mann-männliche Sexualkontakte mit Strafe belegte.

Schriften (Auswahl)

Meisel-Hess, Grete (1903): Suchende Seelen. Drei Novellen. Leipzig: Hermann Seemann Nachfolger. Online hier.

Meisel-Hess, Grete (1904): Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche „Geschlecht und Charakter” geäußerten Anschauungen über „Die Frau und ihre Frage”. Wien: Die Wage. Online hier.

Meisel-Hess, Grete (1909): Die sexuelle Krise. Eine sozialpsychologische Untersuchung. Jena: Diederichs.

Meisel-Hess, Grete (1911): Die Intellektuellen. Roman. Berlin: Oesterheld & Co.

Meisel-Hess, Grete (1916): Das Wesen der Geschlechtlichkeit. Die sexuelle Krise in ihren Beziehungen zur sozialen Frage & zum Krieg, zu Moral, Rasse & Religion & insbesondere zur Monogamie. Zwei Bände. Jena: Diederichs.

Meisel-Hess, Grete (1917): Die Bedeutung der Monogamie. Jena: Eugen Diederichs.

Weiterführende Literatur

Bittermann-Wille, Christa (2019): Grete Meisel-Hess, auf: Frauen in Bewegung 1848–1938 (Ariadne – Österreichische Nationalbibliothek).

Good, David F., Margarete Grandner und Mary Jo Maynes. Hrsg. (1994): Frauen in Österreich. Beiträge zu ihrer Situation im 20. Jahrhundert. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, S. 168-189.

Melander, Ellinor (1990): Sexuella krisen och den nya moralen. Förhållandet mellan könen i Grete Meisel-Hess’ författarskap (Akademisk avhandling; Stockholm Studies in the History of Ideas, 1). Stockholm: Almqvist & Wiksell International.

Stöcker, Helene (1922): Grete Meisel-Hess †, in: Die Neue Generation (Jg. 18), Nr. 4, S. 174.

Thorson, Helga (2022): Grete Meisel-Hess. The New Woman and the Sexual Crisis. Rochester, New York: Camden House.

Weitere Quellen

Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft hat im März 2015 mit Hilfe privater Sponsoren und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld fünf Briefe Magnus Hirschfelds an Grete Meisel-Hess aus den Jahren 1914 bis 1919 erworben. Um 1914 stand Grete Meisel-Hess nachweislich auch mit Franziska Mann, Magnus Hirschfelds Schwester, in brieflicher Verbindung.