Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Adele Schreiber, Journalistin, Schriftstellerin

geb. 29.4.1872 (Wien, Österreich) gest. 18.2.1957 (Herrliberg, Schweiz)

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Adele Schreiber, um 1920. Quelle: Büro des Reichstags (Hrsg.): Reichstags-Handbuch 1920 (1. Wahlperiode). Berlin: Verlag der Reichsdruckerei 1920.
Adele Schreiber wurde am 29. April 1872 im österreichischen Wien in eine jüdische Familie geboren, die 1894 zum römisch-katholischen Glauben übertrat. Dabei wurden aber weder Adele Schreiber noch ihre beiden Schwestern Elisabeth Margaretha (Lilli) und Ida getauft. Die Mädchen wurden von Gouvernanten und Hauslehrern erzogen – für Adele Schreiber schlossen sich Aufenthalte in einem Pensionat in Wien und dann in Stuttgart an. Auch in ihrer späteren Zeit als deutsche Reichstagsabgeordnete machte Adele Schreiber keine Angaben zu ihrer Religionszughörigkeit.

Adele Schreiber wollte eigentlich wie ihr Vater, der Arzt Joseph Schreiber (1835–1908), Medizin studieren, doch schlugen ihr die Eltern den Wunsch ab. Sie sollte das „Leben eines jungen Mädchens aus gutem Hause“ führen und heiraten. Im Zuge mehrerer Reisen ins europäische Ausland, so nach England, Frankreich und Italien, entschied sie sich schließlich, Schriftstellerin zu werden. Sie ließ sich früh von August Bebels Die Frau und der Sozialismus (1879) begeistern und schrieb Beiträge für Zeitschriften wie Die Neue Zeit, das Wiener Fremdenblatt und die von Clara Zetkin (1857–1933) herausgegebene Die Gleichheit.

1898 zog Adele Schreiber nach Berlin, nachdem sie im Jahr zuvor das Angebot angenommen hatte, hier eine Versicherungsgesellschaft für Frauen aufzubauen. In ihrer Freizeit besuchte sie politische Vorträge und Veranstaltungen, und als sich das Vorhaben einer Versicherungsgesellschaft für Frauen zerschlug, verlegte sie ihre Aktivitäten vollends auf die Publizistik. Ab 1899 hielt sie Vorträge zu Frauenthemen und zu sozialen Fragen, 1906 gab sie Das Buch vom Kinde heraus und 1914 verfasste sie eine Biografie über die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, die sie sehr verehrte. Stark beeindruckt war sie ebenfalls von der französischen Anarchistin Louise Michel, mit der sie persönlich bekannt war.

Adele Schreiber trat der SPD zunächst nicht bei, sondern zählte sich zum radikalen Flügel der Frauenbewegung. Ein Studium der Nationalökonomie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität konnte sie nur als Gasthörerin aufnehmen, da Frauen das Studium in Preußen erst 1908 erlaubt wurde. Schreiber schloss sich dem Kampf gegen die Prostitution an und nahm 1902 am Kongress zur internationalen Bekämpfung des Mädchenhandels in Frankfurt am Main teil. Auf dem Berliner Kongress des Internationalen Frauenrats hielt sie 1904 einen Vortrag über die Alters- und Invalidenversicherung. Im gleichen Jahr wurde sie Mitbegründerin und Vizepräsidentin des Weltbundes für Frauenstimmrecht sowie – zusammen mit Helene Stöcker und anderen – des Berliner Ortsvereins des Bundes für Mutterschutz (BfM). Da sie sich aber bald mit Stöcker entzweite, verließ sie den Bund für Mutterschutz 1909 und gründete im Jahr darauf die Deutsche Gesellschaft für Mutter- und Kindesrecht, die unter anderem von Minna Cauer und Hedwig Dohm unterstützt wurde.

Neben dem Kinder- und Mütterschutz stand die Erlangung des Frauenwahlrechts zentral im Engagement Adele Schreibers. 1909 gab sie die Zeitschrift Frauen-Fortschritt heraus, die allerdings nur bis 1911 erschien. In diesem Jahr forderte Schreiber öffentlich sie eine Mutterschaftsversicherung, und 1912 trat sie der SPD bei. Sie war von 1920 bis 1924 sowie von 1928 bis 1933 sozialdemokratisches Mitglied des Berliner Reichtags. Adele Schreiber gehörte nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts auch für Frauen in Deutschland neben Lou Andreas-Salomé, Louise Dumont, Gertrud Eysoldt, Käthe Kollwitz, Grete Meisel-Hess und Helene Stöcker zu den sieben erstunterzeichnenden Frauen der Petition des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gegen den § 175 RStGB, der mann-männliche Sexualkontakte mit Strafe belegte.

Bereits am 5. März 1933, dem Tag der Reichstagswahl, emigrierte Adele Schreiber in die Schweiz, und nachdem ihr 1939 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, zog sie von hier weiter nach Großbritannien, wo sie Mitglied der Labour Party wurde. 1947 kehrte sie in die Schweiz zurück, wo sie am 18. Februar 1957 im Kanton Zürich verstarb. Adele Schreiber war seit 1909 mit dem praktischen Arzt Dr. Richard Krieger (1880–?) verheiratet, der ihr jedoch nicht in das Schweizer Exil folgte. Bis 1933 führte sie offiziell den Namen Schreiber-Krieger, im Exil legte sie den Zweitnamen jedoch ab. Ob die Ehe zwischen ihr und Richard Krieger je geschieden wurde, ist nicht bekannt.

Würdigungen

Im Berliner Regierungsviertel wurde 2005 eine Straße nach Adele Schreiber-Krieger benannt. An ihrem einstigen Berliner Wohnhaus in der Ahornallee 50, Charlottenburg-Wilmersdorf, erinnert seit 1995 eine Gedenktafel an sie.

Schriften (Auswahl)

Schreiber, Adele (1907): Das Buch vom Kinde. Ein Sammelwerk für die wichtigsten Fragen der Kindheit unter Mitarbeit zahlreicher Fachleute. Leipzig: B. G. Teubner.

Schreiber, Adele (1909): Der Bund für Mutterschutz und seine Gegner. Leipzig: Felix Dietrich.

Schreiber, Adele. Hrsg. (1912): Mutterschaft. Ein Sammelwerk für die Probleme des Weibes als Mutter. Mit einer Einleitung von Lily Braun. München: Langen.

Schreiber, Adele, zusammen mit Anita Augspurg, Hedwig Dohm, Helene Stöcker u.a. (1912): Ehe? zur Reform der sexuellen Moral. Berlin: Internationale Verlagsanstalt für Kunst und Literatur.

Schreiber, Adele (1914): Hedwig Dohm als Vorkämpferin und Vordenkerin neuer Frauenideale. Berlin: Märkische Verlagsanstalt.

Weiterführende Literatur

Bittermann-Willi, Christa (o.J.): Schreiber-Krieger, Adele, auf: Frauen in Bewegung 1848–1938 (Ariadne und Österreichische Nationalbibliothek).

Braune, Asja (2003): Konsequent den unbequemen Weg gegangen – Adele Schreiber (1872–1957). Politikerin, Frauenrechtlerin, Journalistin. Dissertation, Berlin (online hier).

Fischer, Ilse (2007): Schreiber-Krieger, Adele, in: Neue Deutsche Biographie 23, S. 535-536 (Online-Version hier).

Schoppmann, Claudia (2009): Adele Schreiber-Krieger, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 636-639.

Wickert, Christl (1992): Sozialistin, Parlamentarierin, Jüdin. Die Beispiele Käthe Frankenthal, Berta Jourdan, Adele Schreiber-Krieger, Toni Sender und Hedwig Wachenheim, in: Heid, Ludger und Arnold Paucker (Hrsg.): Juden und deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Tübingen: Mohr Siebeck.