Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Louise Michel, Autorin, Anarchistin

geb. 29.5.1830 (Vroncourt-la-Côte, Frankreich) gest. 9.1.1905 (Marseille, Frankreich)

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Louise Michel, um 1880. Unbekannter Fotograf, Public Domain.
Louise Michel wurde als uneheliche Tochter einer Dienstmagd und eines Sohnes des Schlossherrn von Vroncourt geboren. Sie wurde von den Eltern ihres Vaters erzogen und genoss eine liberale Erziehung. 1850 legte sie das Examen für Lehrerinnen ab. Ihre kritische Haltung zu Napoléon III. verhinderte aber, dass sie eine Stelle im staatlichen französischen Schuldienst fand. Sie gründete deshalb ihre eigene kleine Schule. 1853 nahm sie eine Tätigkeit als Lehrerin in Paris an, und 1866 wurde sie hier Schulleiterin.

Während der Pariser Kommune im Deutsch-Französischen Krieg 1871 war Louise Michel in einem Wachkomitee tätig. Sie beteiligte sich in männlicher Uniform am bewaffneten Widerstand gegen die preußischen Belagerer von Paris wie die französische Zentralregierung. Sie arbeitete aber auch als Krankenpflegerin und vorsorgte Menschen, die auf den Barrikaden verwundet worden waren oder Hunger litten. Um diese Zeit war sie eng mit Théophile Ferré (1845–1871) verbunden, der im November 1871 hingerichtet wurde. Louise Michel widmete ihm das Gedicht „L‘œillet rouge“ („Die rote Nelke“). Der französische Schriftsteller Victor Hugo (1802–1885) wiederum widmete Louise Michel das Gedicht „Viro major“ („Dem Mann überlegen“), das maßgeblich zu ihrer Bekanntheit beitrug.

Nachdem der Volksaufstand blutig niedergeschlagen worden war, wurde Louise Michel zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die sie zum Teil in der Verbannung in Neukaledonien (Pazifik) verbrachte. In dieser Zeit wurde ihr von der französischen Bevölkerung der Name „La vierge rouge“ („Die rote Jungfrau“) gegeben.

Louise Michel kehrte 1880 nach Frankreich zurück, wurde jedoch 1883 erneut zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie zu Plünderungen aufgerufen hatte. Eine Begnadigung 1885 lehnte sie ab. 1888, zwei Jahre nachdem sie ihre Memoiren herausgegeben hatte, wurde sie von einem katholischen Royalisten mit zwei Pistolenschüssen am Kopf verletzt, und 1890 musste sie eine kürzere Zeit als vermeintlich Geistesgestörte in einer Nervenheilanstalt verbringen, woraufhin sie Frankreich verließ und nach London zog. Erst 1895 kehrte sie in ihr Heimatland zurück.

Louise Michel schrieb auch Dramen und einen Roman und hielt Vorträge zum Sozialismus, gegen die Diskriminierung der Frau, für eine kindgerechte Erziehung, gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung, Kolonialismus und Rassismus und für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur und den Tieren. Sie starb am 9. Januar 1905 in Marseille.

Wenige Monate nach ihrem Tod veröffentlichte der österreichische Schriftsteller Karl Freiherr von Levetzow (1871–1945) im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen eine eigenwillige Studie, in der er Louise Michel zur „urnischen“, das heißt lesbischen Frau erklärte. Von Levetzow behauptete, es komme zur Charakterisierung eines Menschen als „Uranier“ nicht auf die Betätigung an, sondern lediglich auf gewisse einschlägige Merkmale: „das psychische Profil“. Im Folgenden hob er all das hervor, was er an Michel als „männlich“ erlebte und in seinen Augen seine Einschätzung stützte.

Die Darstellung Karl von Levetzows provozierte knapp zwanzig Jahre später die amerikanische Anarchistin Emma Goldman im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen zu einer Erwiderung. Magnus Hirschfeld schrieb hierzu eine kurze Einleitung. Goldman, die Louise Michel in England persönlich kennen gelernt hatte und über mehrere Jahre mit ihr im persönlichen Kontakt stand, attestierte von Levetzow eine „antiquierte Auffassung über den Wesensinhalt des Weibes“, widersprach ihm in fast allen Punkten und betonte, Louise Michel repräsentiere schlichtweg „einen neuen Typus der Weiblichkeit.“ Die vermeintliche „Beweisführung“ von Levetzows, so Goldman, speise sich aus Argumenten, „wie sie seit undenklichen Zeiten von Männern aller Schattierungen der Frau entgegengehalten wurden, wenn sie versuchte, aus ihrer gesellschaftlichen Stellung als Haremsdame herauszukommen und es wagte, einen gleichen Platz mit dem Manne im Leben zu fordern.“

In persönlichen, an Magnus Hirschfeld gerichteten Worten bat Emma Goldman darum, Hirschfeld möge „das Bild Louise Michels aus der Galerie der Urninge entfernen”.

Weiterführende Literatur

Geber, Eva. Hrsg. (2019): Louise Michel. Texte und Reden. Wien: bahoe books.

Goldmann, Emma (1923): Offener Brief an den Herausgeber der Jahrbücher über Louise Michel. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 23, S. 70-92.

Hervé, Florence. Hrsg. (2021): Louise Michel oder: Die Liebe zur Revolution. Berlin: Dietz Verlag.

Levetzow-Marseille, Karl Freiherr von (1905): Louise Michel. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 7 (Teilband 1), S. 307-370.

Michel, Louise (2017): Memoiren. Erinnerungen einer Kommunardin (Klassiker der Sozialrevolte, 27). Münster: Unrast Verlag.

Pusch, Luise F. (o.J.): Louise Michel, auf: Fembio. Frauen.Biographieforschung.