Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Minna Cauer, Pädagogin, Frauenrechtlerin

geb. 1.11.1841 (Freyenstein, Prignitz) gest. 3.8.1922 (Berlin)

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Minna Cauer um 1907. Foto: Margarete Schurgast.
Minna (eigentlich Wilhelmine Theodore Marie) Cauer wurde am 1. November 1841 in Freyenstein in der Prignitz, etwa 130 km nordwestlich von Berlin, als Tochter eines evangelischen Pfarrers und dessen Frau geboren. Ihr Geburtsname war Schelle. Sie besuchte unter anderem die höhere Töchterschule in Frankfurt an der Oder und in Perleberg, doch ihren ursprünglichen Plan, das Lehrerinnenexamen zu absolvieren, musste sie vermutlich wegen gesundheitlicher und familiärer Probleme im Alter von etwa 16 Jahren aufgeben.

1862 heiratete Minna Schelle zum ersten Mal. Sie wurde Mutter eines Sohnes, der jedoch schon im Alter von zwei Jahren an Diphterie verstarb. Im Jahr darauf starb auch ihr Ehemann. Früh verwitwet wandte sie sich nun frauengeschichtlichen Studien zu und entschied sich zu einer pädagogischen Ausbildung, legte das diesbezügliche Examen 1867 ab und arbeitete ab 1868 als Lehrerin zunächst in Paris. 1869 wechselte sie an eine Töchterschule in Hamm (Westfalen), und hier lernte sie den Gymnasialdirektor Eduard Cauer kennen, den sie wenig später heiratete. Eduard Cauer war verwitwet und Vater von fünf Kindern im Schulalter.

1871 zog Minna Cauer mit ihrer Familie nach Danzig (Gdańsk, Polen) und 1876 von dort nach Berlin. Nachdem ihr zweiter Ehemann 1881 verstorben war, widmete sich Minna Cauer ganz der Frauenbewegung. Sie wurde Mitbegründerin des Vereins Frauenwohl (1888), der unter anderem Bildungskurse und eine Stellenvermittlung für Frauen anbot, und leitete diesen bis 1919. Sie engagierte sich vehement für das Frauenstimmrecht, die finanzielle und soziale Unterstützung lediger Mütter und die freie Berufswahl für Frauen. Außerdem betätigte sie sich aktiv in der Deutschen Friedensgesellschaft, die von Bertha von Suttner (1843–1914) gegründet worden war.

Nach Unstimmigkeiten mit anderen führenden Aktivistinnen der deutschsprachigen Frauenbewegung trennte sich Minna Cauer um 1900 von der „gemäßigten“ Mehrheit der in der Bewegung Engagierten und sammelte die „radikalen“ Kräfte in dem neu gegründeten Verband Fortschrittlicher Frauenvereine. Als Lebenswerk Minna Cauers gilt die Vereinszeitschrift Die Frauenbewegung, die sie 1895 gegründet hatte und bis 1919 herausgab. Sie war das Sprachrohr des „linken“ Flügels der deutschsprachigen Frauenbewegung und zählte etwa Anita Augspurg, Hedwig Dohm, Lida Gustava Heymann (1868–1943) und Anna Pappritz zu ihren Mitarbeiterinnen. Persönlich befreundet war Minna Cauer unter anderem mit dem Industriellen und deutschen Außenminister Walther Rathenau (1867–1922), der im Sommer 1922 von Rechtsextremisten ermordet wurde.

Minna Cauer starb wenig später, am 3. August 1922, in Berlin und wurde auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg beigesetzt.

Wie eng sich die Beziehung und die Zusammenarbeit zwischen Minna Cauer und dem fast 30 Jahre jüngeren Magnus Hirschfeld gestaltete, ist – ähnlich wie im Falle Hedwig Dohms – nicht belegt. In der Literatur werden Cauer und Dohm immer wieder als „Freundinnen“ Hirschfelds bezeichnet, doch ist nicht ganz klar, was in ihrem Fall unter dem Begriff Freundschaft zu verstehen ist. Auch ist nicht bekannt, wann und wie die drei sich kennengelernt haben. Belegt ist, dass Magnus Hirschfeld 1915 zusammen mit Minna Cauer und Helene Stöcker Mitglied im pazifistischen Bund „Neues Vaterland“ wurde, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs gegründet worden war. Vermutlich war aber Hirschfeld nur passives Mitglied. Zudem wurde der Bund „Neues Vaterland“ bereits im Februar 1916 verboten.

In seinen Schriften erwähnte Magnus Hirschfeld Minna Cauer eher selten. Er nannte sie als Teilnehmerin einer Diskussion im Anschluss an einen Vortrag im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK), „würdigte“ sie in einer fast 30 Namen umfassenden Aufzählung als zentrale Vorkämpferin der Frauenemanzipation, der er „edle Kühnheit“ bescheinigte, sprach einmal kurz die Biografie an, die Else Lüders (1872–1948) drei Jahre nach Cauers Tod vorgelegt hatte, und brachte Cauers Foto in seinem Bildband der Geschlechtskunde (1930), wobei er aber nicht einmal den Namen der Fotografin (Margarete Schurgast) und das Entstehungsjahr des Fotos (1907) erwähnte und sogar ein falsches Sterbejahr angab. Vermutlich gehörte Minna Cauer eher zu den engeren Bezugspersonen Franziska Manns, der Schwester Magnus Hirschfelds.

Schriften (Auswahl)

Cauer, Minna (1898): Die Frau im 19. Jahrhundert (Am Ende des Jahrhunderts, 2). Berlin: Cronbach.

Cauer, Minna (1907): Dress Reform in Germany, in: The Independent. A Weekly Magazine, 24.10.1907 (Jg. 63, Ausg. 3073), S. 993-997. (Das Porträtfoto Margarete Schurgasts von Minna Cauer wurde hier offenbar erstmals abgedruckt, S. 995, vgl. online hier.)

Cauer, Minna (1913): 25 Jahren Verein Frauenwohl Groß-Berlin. Berlin: Loewenthal, online einsehbar hier.

Würdigungen

2006 wurde eine Straße in Berlin-Moabit nach Minna Cauer benannt. Ebenso gibt es heute Minna-Cauer-Straßen in Endingen (Kaiserstuhl), Freyenstein und Bremen. Das Grab Minna Cauers auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg ist seit 1952 Ehrengrab der Stadt Berlin.

Weiterführende Literatur

Briatte, Anne-Laure (2020): Bevormundete Staatsbürgerinnen. Die „radikale“ Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich (Geschichte und Geschlechter, 72). Frankfurt/Main: Campus, S. 53-57 [Originaltitel: Citoyennes sous tutelle: le mouvement féministe «radical» dans l’Allemagne wilhelmienne, 2013].

Geyken, Frauke (2019): Minna Cauer, geb. Schelle (1841–1922), auf Frankfurter Frauenzimmer.

Hirschfeld, Magnus (1930): Geschlechtskunde. Dritter Band: Folgen und Folgerungen. Stuttgart: Julius Püttmann, S. 268.

Jank, Dagmar (1991): „Vollendet, was wir begonnen!“ Anmerkungen zu Leben und Werk der Frauenrechtlerin Minna Cauer (1841–1922) (Ausstellungsführer der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, 23). Berlin: Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin.

Jank, Dagmar (2022): „Eine Kämpferin für Frauenrecht und Demokratie“. Die Erinnerungsarbeit für die Frauenrechtlerin und Publizistin Minna Cauer (1841–1922) in der Weimarer Republik, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, S. 81-100.

Löchel, Rolf (o.J.): Minna Cauer, auf Fembio Frauen.Biographieforschung.

Lüders, Else (1925): Minna Cauer. Leben und Werk: Gotha: Perthes.

Wolff, Kerstin (2018): Das Zeitalter der Vorreiterinnen, Entdeckerinnen und Visionärinnen, in: Linnemann, Dorothee (Hrsg.): Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht (Schriften des Historischen Museums Frankfurt, 36). Frankfurt/Main: Societäts Verlag, S. 40-51.