Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Anna Pappritz, Schriftstellerin

geb. 9.5.1861 (Radach, heute Radachów, PL) gest. 8.7.1939 (Radach, heute Radachów, PL)

Zur Biografie

vergrößern
Anna Pappritz, um 1900. Quelle: AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, Sign.: A-F1-00115.
Anna Pappritz wurde am 9. Mai 1861 als Tochter eines Rittergutbesitzers und dessen Frau in Radach (heute Radachów, Polen) in der Neumark geboren. Sie wuchs mit drei Geschwistern auf und erhielt im Gegensatz zu ihren Brüdern, die eine Klosterschule besuchten und danach umfassende Ausbildungen genossen, lediglich Privatunterricht. Eine weiterführende Ausbildung blieb ihr verwehrt.

Als ihr Vater 1877 starb, zog die Mutter mit ihrer Tochter und ihrem jüngsten Sohn nach Berlin. 1893 veröffentlichte Anna Pappritz hier einen Novellenband, in dem sich bereits erste Ansätze für ihre späteren frauenpolitischen Standpunkte finden. Ihr zweites, autobiographisch gefärbtes Buch Vorurteile – ein Roman aus dem Märkischen Gesellschaftsleben führte wegen seines Bekenntnischarakters nach eigenen Angaben Pappritz‘ zu einer jahrelangen Entfremdung von ihrer Familie.

Als Anna Pappritz 1895 zum ersten Mal nach England reiste, kam sie mit der dortigen Frauenbewegung in Berührung. Sie nahm hier auch zum ersten Mal Kenntnis von der Prostitution, einem Phänomen, von dem sie in Deutschland noch nichts vernommen hatte. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin besuchte sie mehrere Treffen in Vereinen der Frauenbewegung und bot schließlich Minna Cauer und deren „Verein Frauenwohl“ die Mitarbeit an. Fortan betreute sie die neu gegründete Bibliothek des Vereins, der alle relevanten Werke neueren wie älteren Datums zur Frauenfrage sammelte. Ihren ersten frauenpolitischen Artikel publizierte Anna Pappritz 1896 in der Zeitschrift Die Frauenbewegung unter dem Titel „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“

In anschließenden Beiträgen zur Prostitution griff Anna Pappritz in ihrer Zeit gängige Vorstellungen von Sittlichkeit an und warf dem „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) Doppelmoral vor. Die heftig geführten Auseinandersetzungen veranlassten Anna Pappritz, einen abolitionistischen Sittlichkeitsverein zu gründen, der ihre Lebensaufgabe wurde. In eigenständigen Publikationen, fast allen Zeitschriften der bürgerlichen Frauenbewegung und in der allgemeinen Presse sowie durch unzählige Vortragsabende wurde Anna Pappritz zu einer der bekanntesten Expertinnen ihrer Zeit zu Fragen der Sexualmoral und Sexualhygiene im deutschen Sprachraum. Als die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ (DGBG) 1902 gegründet wurde, wurde Anna Pappritz als einzige Frau in den Vorstand der Vereinigung gewählt.

Anna Pappritz lernte um 1899 ihre spätere Lebensgefährtin Margarete Friedenthal (1871–1957) kennen, mit der sie von Ende der 1920er Jahre bis zu ihrem Tod 1939 zusammenwohnte. Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich ihre finanzielle Situation beträchtlich, so dass sie erstmals einer Erwerbstätigkeit nachgehen musste. Gleichwohl führte sie ihre publizistischen Tätigkeiten wie ihr Engagement zur Abschaffung jeglicher Reglementierung der Prostitution unvermindert weiter. Als der Reichstag 1927 ein Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten verabschiedete, mit dem auch die Strafbarkeit der Prostitution abgeschafft wurde, konnte Anna Pappritz dies als ihren bis dahin größten Erfolg feiern.

Indes waren die neuen rechtlichen Bestimmungen nicht von langer Dauer. Schon Anfang der 1930er Jahre führten die Nationalsozialisten die Reglementierung der Prostitution wieder ein und genehmigten später auch wieder Bordelle, für deren Abschaffung Anna Pappritz und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen stets eingetreten waren. Die tatsächliche Wiedereinführung des Bordellwesens in Deutschland erlebte Anna Pappritz jedoch nicht mehr. Im Sommer 1939 war sie zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Margarete Friedenthal in ihren Heimatort Radach gefahren. Hier starb sie am 8. Juli 1939 nach einer schweren Bronchitis. Die Inschrift auf ihrem Grabstein, der lange nach Pappritz’ Tod von entfernten Verwandten aufgestellt wurde, ist insofern fehlerhaft, als sie behauptet, Anna Pappritz sei in Berlin gestorben.

Magnus Hirschfeld wandte sich Anfang 1908 schriftlich an Anna Pappritz, um sie für einen Beitrag in der Zeitschrift für Sexualwissenschaft zu gewinnen. Auch darüber hinaus war Hirschfeld an einem Kontakt mit Pappritz interessiert. Er schrieb: „Gern würde ich einmal Gelegenheit nehmen, mich einmal mit Ihnen ein Stündchen persönlich zu unterhalten.“ Doch Pappritz‘ Antwort war negativ. Pappritz gab sich überzeugt, Hirschfeld habe ein falsches Frauenbild, sie lehnte „aus prinzipiellen Gründen“ ab, etwas in der Zeitschrift für Sexualwissenschaft zu veröffentlichen.

Pappritz schrieb am 29. Februar 1908 an Magnus Hirschfeld: „Aus den verschiedenen Schriften von Ihnen, die ich gelesen habe, geht hervor, dass Sie jene verweichlichten und überzarten Frauentypen, die das Großstadtleben erzeugt, für den Normaltypus der Frau halten, und dass Ihnen gesunde, starke Frauennaturen, die nicht nur in Putz und Tant aufgehen, sondern die entweder geistige Interessen pflegen oder eine gesunde Lust an körperlichen Bewegungen haben, schon ein Hinneigen zum männlichen Typus verraten. Ja selbst die Freude kleiner Mädchen an wilden Spielen, die meines Erachtens in jedem normalen Mädchen zu finden ist, erscheint Ihnen als etwas anormales. Ich halte, wie gesagt, diese Ihre Auffassung für geradezu verhängnisvoll für das weibliche Geschlecht, weil wir m.E. bestrebt sein müssen, wieder kraftvolle, geistige und körperlich gesunde Frauen zu erziehen und die Interessen der Frau zu vertiefen und erweitern.“

Schriften (Auswahl)

Pappritz, Anna: Herrenmoral. Leipzig: Verlag der Frauen-Rundschau 1903.

Pappritz, Anna: Die Wohnungsfrage. Leipzig/Berlin: Teubner 1908.

Pappritz, Anna (1909): Die Prostitution als sozial-ethisches Problem, in: Gertrud Bäumer u. a. (Hrsg.): Frauenbewegung und Sexualethik. Beiträge zur modernen Ehekritik. Heilbronn: Eugen Salzer, S. 163-176.

Pappritz, Anna und Katharina Scheven (1909): Die positiven Aufgaben und strafrechtlichen Forderungen der Föderation (Abolitionistische Flugschriften 5). Dresden: Kupky & Dietze 1909.

Pappritz, Anna (1911): Paragraph 175 im Vorentwurf zum neuen Strafgesetzbuch, in: Die Frauenbewegung. Revue für die Interessen der Frauen (Jg. 17), Nr. 5 (vom 1.3.1911), S. 33-34.

Weiterführende Literatur (Auswahl)

Heinrich, Elisa (2022): Intim und respektabel. Homosexualität und Freundinnenschaft in der deutschen Frauenbewegung um 1900. Göttingen: V&R unipress, hier vor allem S. 208-214.

Wolff, Kerstin (2009): Der siebzigste Geburtstag. Die Abolitionistin Anna Pappritz und der Kreis ihrer Gratulantinnen. In: Ariadne, Nr. 55 (Mai 2009), S. 26-33.

Wolff, Kerstin (2017): Anna Pappritz 1861–1939. Die Rittergutstochter und die Prostitution. Sulzbach/Taunus: Helmer.