Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Theo Anna Sprüngli, Schriftstellerin, Musikkritikerin

geb. 15.8.1880 (Hamburg) gest. 8.5.1953 (Delmenhorst)

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Theo Anna Sprüngli um 1910. Repro: Frauenkulturarchiv Düsseldorf.
Theo Anna Sprüngli wurde am 15. August 1880 als Tochter des Schweizer Kaufmanns Adolf Sprüngli (1844–?) und dessen Frau Caroline geb. Dangers (1855–?) in Hamburg geboren. Sie besuchte zunächst eine Höhere Töchterschule in ihrer Geburtsstadt und nahm Klavier- und allgemeinen Musikunterricht, später erhielt sie auch Geigenunterricht. Das Gymnasium absolvierte sie in Stuttgart. Im Alter von 17 Jahren schlug sie die Journalistenlaufbahn ein und begann, für das Hamburger Fremdenblatt zu schreiben.

Am 9. Oktober 1904 hielt Theo Anna Sprüngli vor dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) die vermutlich erste lesbenpolitische Rede im deutschsprachigen Raum. Dabei bediente sich die 24-Jährige des Pseudonyms Anna Rüling, wobei der „Nachname“ eine anagrammatische Variante ihres Namens Sprüngli unter Auslassung des anlautenden „Sp“ ist. Die Rede, in der Sprüngli auf das Verhältnis „homosexueller Frauen“ zur organisierten Frauenbewegung einging und in der sie sich selbst als homosexuell bezeichnete, hielt sie am 27. Oktober 1904 vor dem anarchistischen Bund für Menschenrechte (nicht identisch mit dem Bund für Menschenrecht, BfM) erneut.

Theo Anna Sprüngli wohnte um diese Zeit in Berlin und war für den Scherl-Verlag tätig, in dem unter anderem die Zeitungen Der Tag und Berliner Tagesanzeiger erschienen. Wenige Jahre später zog Theo Anna Sprüngli nach Düsseldorf, wo sie etwa dreißig Jahre wohnen blieb. Sie veröffentlichte 1914 ihren Kurzen Abriss der Musikgeschichte und 1921 das Buch Das deutsche Volkslied.

Theo Anna Sprüngli schrieb in Düsseldorf vorrangig journalistische Beiträge über Musikveranstaltungen, aber sie verfasste auch Reiseberichte und berichtete über die Tätigkeiten frauenpolitischer Organisationen wie dem Rheinischen Frauenklub. Spätere arbeitete sie auch für die Düsseldorfer Lokal-Zeitung und eine Reihe von auswärtigen Blättern wie den Bremer Nachrichten, der Dortmunder Zeitung und den Leipziger Neuesten Nachrichten. Hinweise zum Thema Homosexualität finden sich in dieser Zeit in einem einzigen Artikel. So berichtete Theo Anna Sprüngli im August 1919 in der Neuen Deutschen Frauen-Zeitung über die Gründung des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft. Die Leitung hätten Magnus Hirschfeld und „Arthur Herzfeld“, mit dem wohl Arthur Kronfeld gemeint war, übernommen.

In vielen ihrer Texte schlug Theo Anna Sprüngli markige patriotisch-nationalistische Töne an, und ihrem Gesuch um die Aufnahme in den Reichsverband Deutscher Schriftsteller vom 27. November 1933 betonte sie, dass sie „immer in der vordersten Linie für deutsche Kunst gekämpft“ habe. Sie unterzeichnete das Schreiben „mit deutschem Gruß“, Mitglied der NSDAP ist sie aber nie geworden.1937 heißt es in einer Gestapo-Akte, dass in politischer Hinsicht Nachteiliges über Theo Anna Sprüngli nicht bekannt geworden sei. Christiane Leidinger, die sich im deutschsprachigen Raum wohl am eingehendsten mit dem Lebensweg und den Werken der Schriftstellerin beschäftigt hat, bezeichnet Theo Anna Sprüngli als „zwiespältige Ahnin lesbischer herstory“, die sich nicht zur „historisch lesbisch-feministischen Identifikation“ eigne.

Zwischen 1940 und 1943 war Theo Anna Sprüngli am Stadttheater in Ulm beschäftigt, und in dieser Zeit wohnte sie vermutlich im nahegelegenen Blaubeuren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie zeitweise als Dramaturgin am Stadttheater in Delmenhorst zwischen Bremen und Oldenburg angestellt. Nebenbei arbeitete sie auch als Journalistin, etwa für die Delmenhorster Zeitung und die Nordwestzeitung. Als Theo Anna Sprüngli am 8. Mai 1953 im Alter von 73 Jahren starb, hieß es in einem Nachruf, in dem auch ihre „fast männliche Erscheinung“ hervorgehoben wurde, „Deutschlands älteste Journalistin“ sei gestorben.

Schriften (Auswahl)

Rüling, Anna (1905): Welches Interesse hat die Frauenbewegung an der Lösung des homosexuellen Problems? Eine Rede. Gehalten auf der Jahresversammlung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees im Hotel Prinz Albrecht am 8. Oktober 1904. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 7, S. 131-151. Online verfügbar hier.

Rüling, Th. (1906): Welcher von Euch ohne Sünde ist … Bilder von der Schattenseite. Leipzig: Max Spohr.

Sprüngli, Th. A. (1914): Kurzer Abriss der Musikgeschichte. Köln: P. J. Tonger.

Sprüngli, Th. A. (1919): Institut für Sexualwissenschaft, in: Neue Deutsche Frauen-Zeitung (Nr. 31), 2.8.1919.

Sprüngli, Th. A. (1921): Das deutsche Volkslied (Tonger’s Musikbücherei, 16). Köln: P. J. Tonger.

Weiterführende Literatur

Deine Kollegen (1953): Der Tod entwand ihr die Feder. Deutschlands älteste Journalistin ist nicht mehr – Theodora-Anna Sprüngli, in: Delmenhorster Zeitung, 9.5.1953.

Leidinger, Christiane (2003): Theo A[nna] Sprüngli (1880–1953) alias Anna Rüling/Th. Rüling/Th. A. Rüling – erste biographische Mosaiksteine zu einer zwiespältigen Ahnin lesbischer herstory, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (Nr. 35/36), S. 25-42.

Leidinger, Christiane (2016): Theo-Anna Sprüngli (1880–1953), besser bekannt als „Anna Rüling“. Berühmte Berliner Rednerin, Kulturjournalistin, Ulmer Schauspielleiterin und Theaterdramaturgin, online auf LSBTTIQ in Baden-Württemberg.

Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Hrsg. (2015): Persönlichkeiten in Berlin 1825–2006. Erinnerungen an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Berlin, S. 72-73.