Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Arthur Kronfeld, Dr. med. et phil., Psychiater

geb. 9.1.1886 (Berlin) gest. 16.10.1941 (Moskau, Russland)

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Arthur Kronfeld. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Arthur Kronfeld wurde 1886 als ältester Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und dessen ebenfalls jüdischer Ehefrau in Berlin geboren. Er hatte drei jüngere Geschwister. Nach dem Besuch des Sophiengymnasiums studierte er ab 1904 Medizin an den Universitäten in Jena, München, Berlin und Heidelberg. Hier, in Heidelberg, wurde er 1909 zum Dr. med. promoviert.

Bereits eine 1912 veröffentlichte, umfangreiche Kritik an der Psychoanalyse – Über die psychologischen Theorien Freuds und verwandte Anschauungen – machte Kronfeld weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Im selben Jahr erwarb er an der Universität in Gießen auch den philosophischen Doktorgrad.

Ein Jahr nachdem Arthur Kronfeld an die Berliner „Irrenklinik Dalldorf“ (heute Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Wittenau) gewechselt war, wurde er im August 1914 zum ersten Mal aus seiner akademischen Laufbahn gerissen. Als Frontarzt kam er vor allem in Frankreich, so in der Nähe von Verdun, zum Einsatz, und erst nach einer erlittenen Kopfverletzung wurde er in ein Kriegslazarett in Freiburg/Breisgau versetzt. Um diese Zeit heiratete er auch die aus Berlin stammende Stenotypistin Lydia Quien.

Mit Magnus Hirschfeld dürfte Arthur Kronfeld bereits durch sein erstes veröffentlichtes Buch um 1908 gekommen sein. In diesem Jahr nahm Hirschfeld eine Zusammenfassung der von Kronfeld in der Abhandlung über „Sexualität und ästhetisches Empfinden“ (1906) präsentierten Thesen in einem Beitrag für die Zeitschrift für Sexualwissenschaft auf. Ab 1919 war Kronfeld im von ihm mitgegründeten Berliner Institut für Sexualwissenschaft für etwa sieben Jahre Hirschfelds „rechte Hand“, indem er als Leiter der dem Institut angegliederten „Abteilung für seelische Sexualleiden“ fungierte. Als Mitglied in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde Kronfeld 1922 gewählt. 1926 gründete er dann seine eigene Praxis als Nervenarzt am Rand des Berliner Tiergartens.

Arthur Kronfeld erwarb sich in den 1920er Jahren einen herausragenden Ruf als schulenunabhängiger Psychotherapeut, er engagierte sich in der „Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie“ und wurde Schriftleiter der Zeitschrift Zentralblatt für Psychotherapie. 1927 habilitierte er sich bei Karl Bonhoeffer (1868–1948) für Psychiatrie und Nervenheilkunde, und vier Jahre später wurde er an der Charité der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zum nicht beamteten außerordentlichen Professor ernannt.

Schon bald nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurde Arthur Kronfeld sukzessive aller seiner beruflichen Tätigkeiten beraubt. Im April 1934 wurde er von der Rechnungserstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen, und Anfang 1935 wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen. Kronfeld emigrierte daraufhin zusammen mit seiner Frau in die Schweiz. Da die Behörden ihm hier aber kein Asyl gewährten und ihm ein Ausweisungsultimatum gestellt wurde, bewarb er sich um eine Forschungsprofessur in Moskau, die ihm erteilt wurde. Ab 1926 war Arthur Kronfeld Professor an dem nach Pjotr B. Gannuschkin (1875–1933) benannten „Neuropsychiatrischen Forschungsinstitut der UdSSR“ in Moskau.

Arthur Kronfeld publizierte auch auf Russisch. Ende 1936 trat er zum ersten Mal in der Sowjetunion öffentlich auf dem „allsowjetischen Psychiater- und Neurologenkongress“ auf, wo er erste Ergebnisse seiner damaligen Forschungen vorstellte. Im Jahr darauf wurden er und seine Frau sowjetische Staatsbürger. Am Gannuschkin-Institut war er zuletzt Direktor der „Abteilung für experimentelle Pathologie und Therapie der Psychosen“.

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Sowjetunion wirkte Arthur Kronfeld mehrfach in Propagandasendungen von Radio Moskau mit. Unter dem Titel „Degeneraty u vlasti“ (Degenerierte an der Macht) veröffentlichte er auch eine Broschüre, in der er von seinen persönlichen Erfahrungen mit Hitler, Himmler und Göring berichtete. So war Kronfeld beispielsweise 1932 gutachterlicher Zeuge im Meineidsprozess Adolf Hitlers gegen Werner Abel (1902–1935) in München gewesen.

Am 16. Oktober 1941 nahm sich Arthur Kronfeld zusammen mit seiner Frau in Moskau das Leben. Die Motvie für diesen Schritt sind nach wie vor unbekannt. Während etwa Johannes R. Becher (1891–1958) später behauptete, Kronfeld und seine Frau hätten sich aus Angst vor Hitler das Leben genommen, ging Kurt Hiller (1885–1972), mit dem Kronfeld seit seinem 19. Lebensjahr befreundet bzw. bekannt war, davon aus, Kronfeld habe den Weg in den Tod gewählt, um einer Verfolgung durch Stalin zuvorzukommen.

Schriften (Auswahl)

Kronfeld, Arthur (1920): Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis (Beiträge zur allgemeinen Psychiatrie, 1). Berlin: Julius Springer.

Kronfeld, Arthur (1921): Über psychosexuellen Infantilismus, eine Konstitutionsanomalie. Leipzig: Ernst Bircher (Sexus. Monographien aus dem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, 1). Online verfügbar unter https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1071826727#page/n0/mode/2up.

Kronfeld, Arthur (1924): Hypnose und Suggestion. Berlin: Ullstein.

Kronfeld, Arthur (1924): Psychotherapie. Charakterlehre – Psychoanalyse – Hypnose – Psychagogik. Berlin: Julius Springer.

Kronfeld, Arthur (1927): Die Psychologie in der Psychiatrie. Eine Einführung in die psychologischen Erkenntnisweisen innerhalb der Psychiatrie und ihre Stellung zur klinisch-pathologischen Forschung. Berlin: Julius Springer.

Kronfeld, Arthur (1930): Perspektiven der Seelenheilkunde. Leipzig: Georg Thieme.

Kronfeld, Arthur (1932): Lehrbuch der Charakterkunde. Berlin: Springer.

Kronfeld, Arthur (2006): Stanowlenie Sindromologii i Konzepzii Schizofrenii – Rabotj 1935–1940. Entstehung der Syndromologie und Konzeption der Schizophrenie – Werke 1935–1940. Moskau (zweisprachige Auswahl von den seinerzeit in der UdSSR erschienenen russischen Publikationen Kronfelds).

Weiterführende Literatur

Arthur Kronfeld zur Erinnerung. Ausführliche Biografie von Ingo-Wolf Kittel.

Seeck, Andreas (1995): Arthur Kronfeld (Psychiater, Psychologe, Wissenschaftstheoretiker) über Homosexualität. In: Mittteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 20/21, S. 51-63.

Seeck, Andreas (2009): Arthur Kronfeld; in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 397-402 [mit zahlreichen Nachweisen].

[Themenheft] Luzifer-Amor 2017 (Jg. 30), Nr. 60: Arthur Kronfeld (1886–1941): Psychiater, Sexualwissenschaftler, Psychotherapeut und Kritiker der Psychoanalyse (mit Beiträgen von Yazan Abu Ghazal, Rainer Herrn und Andreas Seeck).