Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Jo Jacobsen, Schriftstellerin, Psychoanalytikerin

geb. 14.12.1884 (Middelfart, Dänemark) gest. 18.8.1963 (Kopenhagen, DK)

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Jo Jacobsen, o.J. Quelle: Middelfart Byarkiv, Dänemark.
Jo Jacobsen wurde am 14. Dezember 1884 als Tochter eines Schiffers und dessen Frau im dänischen Middelfart auf der Insel Fünen geboren. Ihr Taufname war Hansine Johanne Marie Jacobsen. 1906 heiratete sie Vagn Carl Jacobsen (1884–1931), den Museumsgründer und Direktor der dänischen Brauerei Carlsberg, und zog zu ihm nach Kopenhagen. Durch die Heirat erlebte Jo Jacobsen, wie sie sich fortan nannte, einen immensen sozialen Aufstieg, und als gefeierte Modeikone stand sie im Mittelpunkt der dänischen Oberschicht.

Jo Jacobsen wurde Mutter zweier Kinder, aber im Zuge des großes Medieninteresses an ihr und ihrem Lebenswandel zerbrach die Ehe mit Vagn Jacobsen, so dass diese 1922 geschieden wurde. Jo Jacobsen verließ daraufhin Kopenhagen und zog an den Limfjord nach Nord-Jütland, wo sie sich ihrer schriftstellerischen Karriere widmete.

Jo Jacobsen debütierte literarisch 1924 mit dem Roman Hjertets Køn (Das Geschlecht des Herzens), in dem sie das Milieu schilderte, in dem sie sich als wohlhabende Gattin eines Brauereibesitzers bewegt hatte. In dem Nachfolger Huset Hansen (Das Haus Hansen) beschritt sie 1925 ähnliche Wege, wohingegen ihr Marsvinsjægerne (Die Schweinswaljäger) von 1928 die ärmliche Umgebung beschreibt, in der sie aufgewachsen war. Alle drei Bücher wurden von der dänischen Presse wohlwollend aufgenommen. In einem Buch, das Jo Jacobsen 1949 unter dem Titel En sang på trapperne (Ein Lied auf den Stufen) vorlegte, griff sie christliche Vorstellungen von Schuld und Sühne auf.

Jo Jacobsen engagierte sich ab den frühen 1920er Jahren in der dänischen Frauenbewegung. Sie setzte sich unter anderem in der Organisation „Frivilligt Moderskab“ (Freiwillige Mutterschaft) für eine bessere Sexualerziehung und den Zugang zu Verhütungsmitteln ein, und sie initiierte den Verein „Seksual Oplysnings Forbundet“ (Verein für sexuelle Aufklärung), dessen Vorsitzende sie über viele Jahre war. In der Broschüre Fosterfordrivelsesparagraffen 241 (Der Abtreibungsparagraf 241) und in dem Buch Seksualreform (Sexualreform), die sie 1930 bzw. 1931 vorlegte, beschäftigte sie sich mit sozial- und sexualpolitischen Fragen, und 1944 plädierte sie mit dem Kinderbuch Kærlighetens labyrint (Das Labyrint der Liebe) für die Erweiterung der Rechte unehelich geborener Kinder.

Ihr Buch Seksualreform widmete Jo Jacobsen Wilhelm Reich (1897–1957), in „Bewunderung für die logische Linie, die seine wissenschaftliche Forschung mit seiner sozialen Einstellung verbindet“, und Ende der 1930er Jahre gehörte sie zu dem Kreis der radikalen dänischen Sexualbewegung um die Zeitschrift Sex og Samfund (Sex und Gesellschaft), die Antifaschismus mit Sexualaufklärung im Sinne Reichs verband. Die Zeitschrift fand viele begeisterte Leser und Leserinnen, stieß aber auch auf Widerspruch – und wurde nicht zuletzt von der dänischen Justiz bekämpft, die mehrere Ausgaben unter Verweis auf die dänische Gesetzgebung zur Pornografie beschlagnahmen ließ.

Ebenfalls ab Anfang der 1920er Jahre studierte Jo Jacobsen Sigmund Freud und die Psychoanalyse, und zu diesem Zweck hielt sie sich von 1933 bis 1938 jeweils knapp drei Jahre in Berlin und Wien auf. Zurück in Dänemark, begann sie als Psychoanalytikerin in Kopenhagen zu praktizieren. Wegen ihrer unkonventionellen und provokativen Art wurde sie in der dänischen Presse aber auch oft verspottet. So schrieb sie einmal einen Text, der auf die Melodie des Weihnachtsliedes „Ein Kind geboren zu Bethlehem“ gesungen werden sollte. Er enthält die Zeilen: „Und Papa hat einen Pullermann, / Pullermann, / der mehr noch als nur pullern kann. / Halleluja, halleluja.“

Jo Jacobsen dürfte Magnus Hirschfeld spätestens 1928 auf dem Kopenhagener Kongress der Weltliga für Sexualreform (WLSR) persönlich kennengelernt haben. Auf dem Nachfolgekongress 1929 in London gehörte sie zu den Rednerinnen. In ihrem Beitrag „The Marriage Problem“ beschäftigte sie sich mit der Kameradschaftsehe und forderte mehr Möglichkeiten für Frauen, sich außerhalb der traditionellen Ehe eine eigene wirtschaftliche Grundlage zu schaffen. Sie hob hervor, die Frau könne erst glücklich sein, wenn sie Freiheit in Hinblick auf Sexualität, Kinder, Arbeit und finanzielles Auskommen erreicht habe. Magnus Hirschfeld zog, was Dänemark betrifft, offenbar die Zusammenarbeit mit dem Arzt Jonathan Høegh von Leunbach (1884–1955) der mit Jo Jacobsen vor.

Jo Jacobsen starb am 18. August 1963 in Kopenhagen.

Veröffentlichungen (Auswahl)

Jacobsen, Jo (1930): Fosterfordrivelsesparagraffen § 241. Tvangsfødsel eller Forebyggelse. Kopenhagen: Forlaget „Concordia”.

Jacobsen, Jo (1930): The Marriage Problem. In: Norman Haire (Hrsg.): Sexual Reform Congress. W.L.S.R. World League for Sexual Reform. Proceedings of the Third Congress. London: Kegan Paul, Trench, Trubner & Co., S. 58-62.

Weiterführende Literatur

Chakravarty, Dorthe (2016): Jo. Carlsbergfruen, der gik sine egne veje. Et portræt af Jo Jacobsen. København: Gyldendal.

Hilden, Adda (2022): Jacobsen, Jo. Eintrag im Dänischen Frauenbiografischen Lexikon (Dansk Kvindebiografisk Leksikon), online hier.