Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Liselotte Hehner, Sozialarbeiterin

geb. 19.4.1904 (Berlin) gest. 5.9.2006 (Berlin)

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Liselotte Hehner, 1998. Standbild aus Rosa von Praunheims Film „Schwuler Mut".
Liselotte Hehner wurde am 19. April 1904 als einziges Kind des selbständigen Theaterausstatters Heinrich Hehner (1870–1911) und dessen Frau Helene geb. Linke (1867–1955) in Berlin geboren. Sie wuchs in Kreuzberg auf und besuchte zunächst die Kgl. Elisabeth-Schule in der Kochstraße. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit ihrer Schwester Nana und ihrer Tochter 1915 nach Schöneberg, und fortan besuchte Liselotte Hehner die Auguste-Viktoria-Schule. Hier lernte sie ihre Mitschülerin Marlene Dietrich (1901–1992) kennen, und im Schulorchester spielten die beiden Mädchen oft zusammen: Liselotte Hehner am Klavier, Marlene Dietrich an der Violine. 1920 ging Liselotte Hehner mit dem Abschlusszeugnis von der Schule ab.

Anschließend besuchte sie eine Frauenschule, in der sie Unterricht in Literatur, Englisch, Französisch, Handarbeit, Musik und Kochen hatte. Sie entschloss sich jedoch schon bald, eine Ausbildung zu machen, um mit Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Nach einer vorübergehenden Tätigkeit für eine Im- und Exportfirma besuchte sie die soziale Frauenschule Anna-von-Gierke-Schule in Charlottenburg, um Sozialarbeiterin zu werden. Schon als Schülerin musste sie sich zunächst um Kleinrentner kümmern, erhielt dann aber bald vom Pflegeamt des Landeswohlfahrts- und Jugendamtes im Polizeipräsidium am Alexanderplatz 4 die Aufgabe, sozial schwache und benachteiligte Menschen zu betreuen: Arbeitslose, Fabrikarbeiterinnen, Prostituierte und Homosexuelle. So lernte sie auch die Bordelle und Kneipen des „lasterhaften Berlin“ kennen.

Liselotte Hehner betreute Frauen, die sich Geschlechtskrankheiten zugezogen hatten, und Männer aus der Oberschicht, die wegen homosexueller Handlungen im Gefängnis saßen. Unter anderem beriet sie auch ein lesbisches Paar, das gemeinsam ein Kind angenommen hatte und pflegte. In dieser Zeit lernte sie auch Magnus Hirschfeld persönlich kennen. Rosa von Praunheim gegenüber sagte Liselotte Hehner über Hirschfeld später: „Er war sehr reizend, aber kurz, sachlich, interessiert für das, was man ihm sagte. Er wirkte untersetzt, sehr intelligente Augen. Er hörte sehr gut zu und ging sofort auf das ein, was man wollte.“

Liselotte Hehner arbeitete zwischenzeitig auch in einem Obdachlosenasyl in Prenzlauer Berg, blieb aber bis 1933 Mitarbeiterin des Pflegeamts am Alexanderplatz. Anschließend wurde sie als Berufsberaterin an Schulen tätig.

Ihren späteren Mann Hans-Joachim Laabs (1910–?) lernte Liselotte Hehner Anfang der 1930er Jahre kennen, als dieser noch Student war. Er promovierte 1934 und wurde Richter am Amtsgericht Charlottenburg. Weil jedoch inzwischen die Nazis an der Macht waren, sprang er von der Richterlaufbahn ab, um nicht Mitglied der NSDAP werden zu müssen, und wurde Justiziar der Preußischen Staatsbank. Liselotte Hehner und Joachim Laabs heirateten 1936, zogen in die Gervinusstraße in Charlottenburg, trennten sich aber 1950 wieder und ließen sich 1957 scheiden.

In den Anfangsjahren ihrer Ehe war Liselotte Laabs „zum Hausfrauendasein verurteilt“, wie sie selbst es ausdrückte. Nach einigen Jahren nahm sie deshalb Kontakt mit Helmut Selbach (1909–1987), Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité, auf und bat ihn um eine Stelle als Fürsorgerin. Ihre Aufgabe bestand ab 1940 vor allem darin, mit den Angehörigen internierter Patienten zu sprechen. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter war der Psychiater Max de Crinis (1898–1945), und sie erfuhr im Lauf der Zeit, dass viele Patienten der Charité Opfer der Euthanasie wurden. Im Frühjahr 1945 arbeitete sie kurzfristig im Operationsbunker der Charité unter dem Chirurgen Ferdinand Sauerbruch (1875–1951). Ende 1946 hatte Liselotte Laabs schließlich einen prominenten Patienten in der Universitäts-Nervenklinik und Poliklinik der Charité zu betreuen, den Schriftsteller Hans Fallada (1893–1947), der von seiner Alkohol- und Morphiumsucht stark gezeichnet war.

Liselotte Laabs arbeitete ab 1952 erneut als Fürsorgerin, jetzt für das Deutsche Rote Kreuz, anschließend war sie bis 1970 als Bibliothekarin im Krankenhaus Wilmersdorf tätig. Im Alter von 66 Jahren wollte sie sich eigentlich zur Ruhe setzen, kehrte jedoch noch einmal zum Roten Kreuz zurück und ging erst 1975 in Rente.

Liselotte Hehner war 1960 in die Rankestraße nach Charlottenburg gezogen, wo sie bis zu ihrem Lebensende alleine wohnte. Sie war bis ins hohe Alter aktiv und umtriebig, veröffentlichte ihre Memoiren (unter ihrem Mädchennamen), lernte Rosa von Praunheim und Charlotte von Mahlsdorf (1928–2002) kennen und sprach mit der Schauspielerin Corinna Harfouch über deren Rolle als Eva Braun in einem Theaterstück am Berliner Ensemble.

Liselotte Hehner starb am 5. September 2006 im Alter von 102 Jahren in Berlin.

Weiterführende Literatur

Friedrich-Freksa, Jenny (2004): Voll das Leben. Interview mit der hundertjährigen Liselotte Hehner. In: Fluter. Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung (12), S. 44-47, kostenloses PDF hier.

Füchsel, Katja (2004): Mit der Dietrich im Schulorchester. Lilo Hehner ist 100 Jahre alt. Die Memoiren der Berlinerin sind wieder im Buchhandel erhältlich. In: Der Tagesspiegel, 29.4.2004.

Füchsel, Katja (2006): Lilo Hehner (geb. 1904). „Das Alter hätte ich mir auch anders vorgestellt.” In: Der Tagesspiegel, 6.10.2006.

Kuhnke, Manfred (2001): Wir saßen alle an einem Tisch. Sekretärin und Krankenschwester, Pflichtjahrmädchen und Haustöchter erzählen von Hans Fallada. Neubrandenburg: federchen Verlag, S. 166-179.

Sapparth, Henry. Hrsg. (2000): Das Leben der Lilo Hehner. Kaleidoskop einer uralten Berlinerin. Berlin: edition HEWIS.

Schmitt, Peter-Philipp (2006): Für Hirschfeld im Milljö. Lilo Hehner betreute vor acht Jahrzehnten Prostituierte und Homosexuelle in Berlin. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2006 (Nr. 64), S. 9.

Film

Praunheim, Rosa von (1998): Schwuler Mut. 100 Jahre Schwulenbewegung (DVD). Berlin: Rosa von Praunheim Film.