Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Wissenschaftliches Gutachten zur Rolle des ehemaligen Geschäftsführers der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft beauftragt

Seit Oktober 2024 wird die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. (MHG) mit Fragen zur früheren Tätigkeit ihres damaligen Geschäftsführers konfrontiert. Hintergrund ist, dass der langjährige Geschäftsführer während seiner Funktion in der MHG seit 1983 parallel zeitweise führend in der „Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität e.V.“ (AHS) mitwirkte, die nachweislich auch in pädo-aktivistischen Diskursen aktiv war.

Es geht entsprechend um seine Rolle bei der Duldung, Mitwirkung oder Autorschaft von Texten und Positionen, die aus heutigem Wissen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bagatellisieren und auch legitimieren. Dabei stellt sich zugleich die Frage, ob seine Arbeit in der MHG in den 1980er- und 1990er-Jahren von seiner Rolle in der AHS und deren Positionen beeinflusst worden sei. Diese Vermutung ist bislang weder belegt noch widerlegt. Auch ist unklar, ob und wie die MHG selbst und deren weiteren Protagonisten sich zu den Pädophiliediskursen der 1980er und 1990er Jahre positionierten.

Um diese Fragen auf Basis der derzeitigen Erkenntnisse möglichst transparent und unabhängig prüfen zu lassen, hat die MHG im Juni 2025 ein externes wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben. Die Gesellschaft beauftragte dafür den empirischen Kulturwissenschaftler und Archivar Sven Reiß M.A.

Sven Reiß gilt als ausgewiesener Experte für die kulturwissenschaftliche Aufarbeitung pädo-aktivistischer Diskurse. Er war gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Iris Hax maßgeblich an der von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs beauftragten Vorstudie zu „Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin“ beteiligt. In diesem Rahmen forschte er ab Herbst 2018 intensiv im Archiv des Schwulen Museums Berlin. Die viel gelobte Arbeit dort gab maßgebliche Impulse zur wissenschaftlichen Aufarbeitung und sensibilisierte für zentrale Fragen des juristischen und moralisch angemessenen Umgangs mit pädo-aktivistischen Archivbeständen.

Wir als MHG möchten die an uns gestellten offenen Fragen als Gelegenheit nutzen, den historischen Kontext und etwaige Auswirkungen entsprechender Diskurse auf unsere Arbeit in jener Zeit wissenschaftlich einzuordnen, um so nach Möglichkeit zu einer sachgerechten und kritischen Aufarbeitung unserer eigenen Geschichte beizutragen.

Das Projekt wird teilweise aus Eigenmitteln der MHG finanziert. Hinzu kommt die Unterstützung queerer Stiftungen (einige Förderanträge sind noch in Bearbeitung): Ein wesentlicher Beitrag kommt von der Schachtsiek Familien Stiftung, die die Untersuchung mitfördert, um einen transparenten und wissenschaftlich fundierten Blick auf die Geschichte der MHG zu ermöglichen und einen verantwortungsvollen Umgang mit möglichen Verstrickungen zu unterstützen. Die Schachtsiek Familien Stiftung hatte, als sie am 18.02.2025 von den Vorwürfen erfuhr, den damaligen Geschäftsführer in einem Gespräch umgehend zum Rücktritt aufgefordert. Ihr Engagement gilt der gesamten Community mit dem Anspruch, sich auch schwierigen Themen zu stellen, um Aufklärung, ein besseres Verständnis und eine verantwortungsvolle Gestaltung der gemeinsamen Zukunft zu ermöglichen. Eine wichtige Voraussetzung der Förderung war daher eine Veröffentlichung des Gutachtens. Diese ist nach jetziger Planung für Mai 2026 vorgesehen.

Berlin, September 2025