Call for Papers: Jahrbuch Exilforschung 2026


Ende Januar 2025 erreichte uns ein Call for Papers, den wir hiermit gerne weiterverbreiten möchten. Inhaltlich geht es um Fragen rund um das Thema „Queer Exile“. Abstracts von bis zu einer DIN A 4-Seite können bei den Herausgeber*innen des Jahrbuchs Exilforschung 2026 bis 15. März 2025 eingereicht werden.
Das Jahrbuch Exilforschung 2026 unter dem Titel „Queer Exile“ verbindet Ansätze und Methoden der Exilforschung mit denen der Queer Studies und geht auf queere Exilerfahrungen ein. Während queere Perspektiven seit den 2000er Jahren zunehmend in den Diaspora-Studien Beachtung finden, gibt es bisher nur wenige Arbeiten, die sich mit den historischen und aktuellen Erfahrungen queerer Exilierter oder mit theoretischen Fragen intersektionaler Beziehungen von Queerness und Exil befassen.
Der Begriff „Queer Exile“ lässt sich aus mindestens drei Perspektiven deuten. Erstens als analytische Kategorie, die einen Dialog zwischen Theorieansätzen und Methoden der Exilforschung und der Queer Studies anstrebt. Diese Perspektive eröffnet neue Einsichten in das Zusammenspiel von Queerness und Exilerfahrungen und schafft erweiterte analytische Zugänge. Im Fokus der interdisziplinär agierenden Queer Studies steht die Untersuchung von Geschlecht und Sexualität im intersektionalen Zusammenspiel mit weiteren gesellschaftlichen Normierungsprozessen sowie Macht- und Herrschaftsverhältnissen wie Antisemitismus, Rassismus und Ableismus. Als kritische Heteronormativitätsforschung befassen sich die Queer Studies einerseits mit der Analyse und Dekonstruktion binärer Identitätskonzeptionen und -kategorisierungen und andererseits mit literarischen, künstlerischen und aktivistischen Artikulationen, die binäre Vorstellungen von Geschlecht, Begehren und Sexualität unterlaufen, erweitern, oder ihnen im Sinne eines Queer Worldmaking Alternativen entgegensetzen. Exilforschung ist ebenso interdisziplinär ausgerichtet. Sie untersucht die vielfältigen Ausprägungen und Erfahrungen von Vertreibung, Flucht, Entortung und Migration in Geschichte und Gegenwart, das Verhältnis von Exilerfahrung und künstlerischer Produktion, fragt aber auch nach geschlechtsspezifischen, generationalen oder religiösen Perspektiven, die Erfahrungen und Darstellungen des Exils in spezifischer Weise konturieren. Indem queeren Subjekten und Körpern häufig ex-zentrische (Gopinath 2024) Positionalisierungen in Bezug auf Vorstellungen von Familie, Heimat und Nation zugeschrieben werden, lässt sich mit Ortíz (2006) und Lamm (2008) beispielsweise fragen, ob und inwiefern das Dasein im Exil als queerer Zustand begriffen werden kann.
Zweitens lässt sich Queer Exile als historische und gegenwärtige Erfahrung von queeren Menschen im Exil begreifen, die ihr Heimatland verlassen mussten, um sich vor Verfolgung, Folter und Tod aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität oder ihres Begehrens zu schützen. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde beispielsweise die vielseitige und weitverzweigte queere Subkultur mit ihren Zeitschriften, Clubs, Vereinsheimen, Dachverbänden, Bars sowie dem von Magnus Hirschfeld gegründeten Institut für Sexualwissenschaft zerschlagen und verboten, Aktivist*innen wurden verfolgt und ermordet. Einige Vertreter*innen queerer Literatur und Kunst wie Erica Anderson, Annette Eick, Kurt Hiller, Erika und Klaus Mann, Christa Winsloe und Charlotte Wolff konnten sich ins Exil retten. Welche spezifischen Netzwerke und Freund*innenkreise nutzen und etablieren queere Menschen auf der Flucht und im Exil? Wie und auf welche Weisen konnten queeres Begehren und queeres Leben auch im Exil realisiert werden? Wie wirkte sich die fragile Situation des Exildaseins auf das Selbstverständnis schwuler, lesbischer, bisexueller, nichtbinärer oder von trans* Personen aus – gerade, wenn Homosexualität, so wie in Großbritannien oder vielen anderen Ländern des Exils, unter Strafe stand bzw. heute noch unter Strafe steht? Welche literarischen, künstlerischen Tropen, Motive und Narrative kennzeichnen diese Erfahrungen und welche spezifisch queeren Kunstpraxen der Exilierten etablierten sich auch in den jeweiligen Exilgesellschaften? Inwiefern unterscheiden sich historische und gegenwärtige Exilerfahrungen in ihren literarischen und künstlerischen Ausdrucksformen, welche Transformationen, aber womöglich auch Kontinuitäten lassen sich feststellen?
Insbesondere in queeren Selbsterzählungen findet sich drittens häufig das Narrativ von der notwendigen Abkehr von Familie, Zuhause und Geburtsland und der nachfolgenden Migration in eine Stadt oder in ein anderes Land, um in einer selbstgewählten queeren Gemeinschaft selbstbestimmt(er) leben zu können. Zugleich handelt es sich dabei um ein insbesondere westliches Narrativ (vgl. Gopinath 2005). Für die spezifische Situation queerer Menschen aus der Karibik, die aufgrund von Repression und Verfolgung emigrier(t)en, haben Guzmán (1997) und La Fountain-Stokes (2009) den Begriff ‚sexile‘ geprägt. Wie lassen sich queere Exilerfahrungen an der Schnittstelle von Geschlecht, Sexualität, race und Kolonialismus untersuchen? Ein Queer Exile muss des Weiteren nicht zwangsläufig als geografischer Ort verstanden werden, sondern kann auch ein Nicht-Ort wie etwa ein Buch, eine Zeitschrift oder queere Literatur sein. Diese bieten zwar keine geografische Heimat, schaffen jedoch einen textuellen Möglichkeitsraum. Welche Möglichkeiten, aber auch Fallstricke verbinden sich mit breiten ebenso wie mit engen Begriffsverständnissen von Queer Exile?