Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Tagungsprogramm: Staat und Homosexualitäten im 20. Jahrhundert

Brüche und Kontinuitäten in französisch- und deutschsprachigen Ländern

Während sich die französische Gesetzgebung 1791 von der deutschen Gesetzgebung absetzt, indem homosexuelle Beziehungen entkriminalisiert werden, dauert es in Deutschland bis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis § 175 StGB, nach dem sexuelle Beziehungen zwischen volljährigen Männern strafbar sind, abgeschafft wird. Diese entscheidende Diskrepanz im rechtlichen Kontext erklärt sich durch einen kulturellen Unterschied, der im weitesten Sinne die deutschsprachigen und französischsprachigen Staaten hinsichtlich der Wahrnehmung vor Homosexualität trennt. Diese Diskrepanz hat zu unterschiedlichen Konfigurationen innerhalb des „Homosexuellen-Milieus“ in der ersten Hälfte des 20. Jh geführt – der organisierte Aktivismus der deutschsprachigen „Homosexuellen“ kontrastiert lange Zeit mit dem Individualismus des französischen „Homosexuellen“. Auch wenn sie bedeutsam ist, lässt diese Trennlinie doch einige Kontinuitäten zwischen der deutsch- und französischsprachigen Welt, wie aber auch bestimmte regionale oder zeitliche Brüche innerhalb der einzelnen Sphären außer Acht. Ist es infolgedessen noch möglich für das gesamte 20. Jahrhundert ein deutsches Modell der staatlichen Regulierung der Homosexualitäten zu identifizieren, das sich einem französischen Modell gegenüberstellt?

Die wissenschaftliche Tagung, organisiert in Zusammenarbeit zwischen dem Centre Marc Bloch, dem Archiv für Sexualwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, soll ForscherInnen zusammenbringen, die sich für die Frage der Interaktionen zwischen Staaten und Homosexualitäten im 20. Jahrhundert in deutsch- oder französischsprachigen Ländern interessieren. Es sollen einerseits Bruchstellen und Dynamiken des Austauschs und des Transfers zwischen Staaten, sowie die Zeitlichkeit und die Logik der Kontrolle der Sexualität zwischen Menschen des gleichen Geschlechts untersucht werden. Andererseits sollen die Auswirkungen der staatlichen Eingriffe auf Individuen und soziale Organisationen sowie die Entstehung homosexueller sozialer Bewegungen und deren Einfluss auf staatlichen Diskurs und staatliches Handeln näher betrachtet werden.