Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Recha Tobias, Schwester Magnus Hirschfelds

geb. 9.6.1857 (Kolberg, heute Kołobrzeg, PL) gest. 18.9.1942 (Theresienstadt)

Zur Biografie

vergrößern
Recha Tobias, o.J. Unbekannter Fotograf.
Recha Hirschfeld wurde am 9. Juni 1857 im Ostseebad Kolberg (heute Kołobrzeg) geboren. Sie war das älteste Kind des jüdischen Arztes Hermann Hirschfeld und dessen Frau Friederike geb. Mann. Magnus Hirschfeld war ihr jüngster Bruder.

Sie heiratete um 1877 den Kaufmann Martin Tobias, der einer in Mecklenburg ansässigen jüdischen Familie entstammte. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Georg, Margarethe und Gustav, die zwischen 1878 und 1881 geboren wurden. Vermutlich lebte die Familie bis Anfang der 1880er Jahre im mecklenburgischen Teterow nördlich der Müritz, bevor sie nach Kolberg zog. 1882 war Martin Tobias der Erbauer der dortigen Solbadeanstalt. Später übernahm er das Solbad selbst, und nach seinem Tod wurde es von seiner Witwe weitergeführt. Sie lebte bis mindestens 1913 in Kolberg.

Ab etwa 1920 wohnte Recha Tobias in Berlin, und zwar zunächst in Schöneberg. Hier lebte auch ihr jüngster Sohn Gustav, der als Kaufmann tätig war. Einige wenige Jahre später zog sie in das Gebäude In den Zelten 9a in Tiergarten, das ihr Bruder Magnus Hirschfeld kurz zuvor erworben hatte. Es handelte sich um ein Nebengebäude zum Institut für Sexualwissenschaft. Möglicherweise war Recha Tobias aber schon weiter vorher in die Tätigkeiten im Institut für Sexualwissenschaft eingebunden. Bekannt ist ein Foto vom Besuch des preußischen Kultusministers Konrad Haenisch (1876–1925) vom 1. März 1920 im Institut, auf dem sie neben Magnus Hirschfeld sitzt.

Recha Tobias bewohnte hier den hinteren Trakt einer großen Wohnung, deren vordere Zimmer sie vermietete. Zwischen der Wohnung und dem Institutsgebäude gab es eine Verbindungstür, die Recha Tobias den direkten Zugang zu den Räumen ihres Bruders ermöglichte. So war sie im Institutsbetrieb durchaus präsent. Sie soll als Hirschfelds „Hausdame“, das heißt, als Leiterin des Haushalts, tätig gewesen sein. Recha Tobias war es auch, die den Institutsangestellten im Frühjahr 1932 die Nachricht überbrachte, ihr Bruder werde von seiner Weltreise nicht nach Berlin zurückkehren. Magnus Hirschfeld hatte ihr zuvor brieflich eine entsprechende Mitteilung zukommen lassen.

Zu den bekanntesten Untermietern von Recha Tobias gehörten die Schriftsteller Christopher Isherwood (1904–1986) und Walter Benjamin (1892–1940), der Philosoph Ernst Bloch (1885–1977) und der Archäologe Francis Turville-Petre. 1976 hielt Christopher Isherwood in seinem Erinnerungsbuch Christopher and His Kind (Christopher und die Seinen) über seine ehemalige, über 70-jährige Vermieterin fest: „Sie lebte irgendwo weitab im rückwärtigen Teil der Wohnung, auf einer Lichtung innerhalb eines Schwarzwalds von Möbelstücken. Falls ihr hin und wieder Beischlafgeräusche ans Ohr drangen, dann beschwerte sie sich nie. Vielleicht war sie im Prinzip sogar damit einverstanden – schließlich war sie ja Hirschfelds leibliche Schwester.“

Als das Institut für Sexualwissenschaft am 6. Mai 1933 geplündert und Teile der umfangreichen Bibliothek wenige Tage später auf dem Berliner Opernplatz verbrannt wurden, wurde auch Recha Tobias von den Ereignissen in Mitleidenschaft gezogen. Sie musste ihre Wohnung In den Zelten 9a Ende 1933 verlassen und zog zunächst nach Halensee, wo sie bis etwa 1938 wohnte. Danach siedelte sie zu ihrem ältesten Sohn Georg nach Biesdorf über, der ab 1907 als Augenarzt in Lichtenberg-Friedrichshain bzw. Karlshorst praktizierte. Von Biesdorf zog Recha Tobias schließlich in die Augsburger Straße 64 nach Schöneberg, wo sie zur Untermiete bei einer Lehrerin namens Margarethe Kallmann wohnte. Am 17. August 1942 wurde Recha Tobias von hier aus mit dem „1. großen Alterstransport“ nach Theresienstadt deportiert. Kaum sechs Wochen nach ihrer Ankunft in dem Lager kam sie am 28. September 1942 ums Leben. Sie war 85 Jahre alt. Als offizielle Todesursache wurde Herzschwäche angegeben.

Gedenken

Seit 2013 erinnert ein Stolperstein, der auf Initiative der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft verlegt wurde, vor dem Berliner Haus der Kulturen der Welt (John-Foster-Dulles-Allee 10) an Recha Tobias.

Weiterführende Literatur

Dose, Ralf (2004): Die Familie Hirschfeld aus Kolberg. In: Elke-Vera Kotowski und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Magnus Hirschfeld. Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft (Sifria. Wissenschaftliche Bibliothek, 8). Berlin: be.bra wissenschaft, S. 33-64.

Dose, Ralf (2021): Haus-, medizinisches und Verwaltungspersonal des Instituts für Sexualwissenschaft. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Heft 67, S. 9-32.

Wolfert, Raimund (2013): Recha Tobias née Hirschfeld, auf: Stolpersteine in Berlin.