Marcel Thellier, möglicherweise ein Pseudonym für Achille Essebac, 1868–1936
Zur Biografie
Bislang hat sich nicht ermitteln lassen, wer sich hinter dem Namen „Maurice Thellier“ verbarg. Ganz offensichtlich handelte es sich um ein Pseudonym. Der französische Schriftsteller Achille Essebac (eigentlich Achille Bécasse, 1868–1936) verwendete den Namen in seinem 1901 erschienenen Roman Dédé. Das „poetisch sentimentale“ Werk thematisiert die Liebe und Freundschaft zwischen Marcel Thellier und André Dalio (genannt „Dédé“) und wurde schon ein Jahr nach seinem Erscheinen in Frankreich in deutscher Übersetzung veröffentlicht.
Mit Dédé konnte Essebac Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts besonders in Deutschland Erfolge feiern. Numa Praetorius (eigentlich Eugen Wilhelm, 1866–1951) bescheinigte dem Roman 1903 „Zartheit“, „Feinheit der Empfindung“ und „poetischen Schwung“. In den 1920er Jahren verfassten mindestens zwei deutschsprachige Autoren Gedichte, die explizit an „André Dalio/Dédé“ und Achille Essebac anspielten, und noch 1931 gab es laut Curt Moreck (eigentlich Konrad Haemmerling, 1888–1957) in Berlin eine „Nachtbar des Herrn“, die den Namen „Dédé“ trug. Sie lag an der Ecke Bülow- und Frobenstraße.
Insofern als alle Romane Achille Essebacs, so wird vermutet, starke autobiografische Züge aufweisen, kann angenommen werden, dass es sich bei der Romanfigur des Maurice Thellier um ein literarisch verschleiertes Selbstporträt Essebacs handelt. Folglich könnte Essebac selbst 1920 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt worden sein und sich bei der Gelegenheit des Pseudonyms „Maurice Thellier“ bedient haben. Bereits 1907 figurierte Marcel Thellier in einem Artikel, der in einem Monatsbericht des WhK Erwähnung fand. Demnach hatte sich Thellier mit einem russischen Schriftsteller namens Botzianowsky in St. Petersburg brieflich in Verbindung gesetzt.
Andererseits ist der Lebensweg Essebacs heute auch nur in groben Zügen bekannt, und es ist im Detail nicht geklärt, welche Beziehungen er zu Berlin, Magnus Hirschfeld und dem WhK unterhielt. Genauso gut könnte sich 1920 ein anderes Mitglied des WhK, das sich der Figur des Thellier oder des „Dédé“ besonders verbunden fühlte, in Anspielung an Essebacs Roman „Maurice Thellier“ genannt haben. Hans Blüher (1888–1955) schrieb später, Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts habe an dem Steglitzer Gymnasium, das er besuchte, „jeder von uns […] seinen Liebling oder Eromenos“ gehabt, – „wir nannten ihn auch Dédé nach einem sentimentalen Roman […].“ 1903 wählte ein anderer, nach wie vor namentlich unbekannter Autor in der Zeitschrift Der Eigene für seine Gedichte das Pseudonym „André Dalio“.
Achille Essebac alias Bécasse wurde am 29. Januar 1868 in Paris geboren. Er starb am 1. August 1936 an einer Lungenentzündung ebenfalls in Paris und wurde in dem Familiengrab auf dem Friedhof von Montmartre beigesetzt. Kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende legte er drei, zu seiner Zeit ausgesprochen erfolgreiche, homoerotische Romane vor: Dédé (1901), Luc (1902) und L’Élu (ebenfalls 1902).
Weiterführende Literatur
Féray, Jean-Claude: Achille Essebac und sein Roman Dédé (Nachwort), in: Essebac, Achille: Dédé (Bibliothek rosa Winkel, 47). Hamburg: Männerschwarm Verlag 2008, S. 239-256.
Féray, Jean-Claude: Achille Essebac, romancier du désir. Paris: Quintes-Feuilles 2008.
Monatsbericht des Wissenschaftlich-humanitären Komitees vom 1.11.1907 (Jg. 6, Nr. 11), S. 217-218.