Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Margaret Sanger, Sexualreformerin

geb. 15.9.1879 (Corning, New York, USA) gest. 6.9.1966 (Tucson, Arizona, USA)

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Margaret Sanger, 1922. Foto: Underwood & Underwood – Library of Congress Prints and Photographs division, reproduction number LC-USZ62-29808, gemeinfrei.
Margaret Sanger wurde am 15. September 1879 als sechstes von elf Kindern eines Steinmetzes und dessen Frau in Corning, New York, geboren. Ihr Geburtsname war Margaret Louise Higgins. Ihre zwei älteren Schwestern arbeiteten, um das Familieneinkommen aufzubessern, und ermöglichten ihr so auch eine Ausbildung an einem College in den Catskills. Nachdem Margaret Higgins diese Schule verlassen hatte, wurde sie Lehrerin für Einwandererkinder, wurde sich jedoch schnell bewusst, dass ihr die Arbeit nicht lag.

Als ihre Mutter im Alter von 49 Jahren starb, machte Margaret Higgins den Kinderreichtum ihrer Eltern für den frühen Tod der Mutter verantwortlich. Sie empörte sich ebenso darüber, dass ihre älteren Schwestern große Opfer bringen mussten, um die Familie zu unterstützen. Als ihr Vater, den Margaret Higgins liebte, von ihr verlangte, sie solle den Platz ihrer Mutter im Familienhaushalt übernehmen, verließ sie ihre Familie und ging nach New York, wo sie eine Krankenpflegeschule besuchte.

1902 lernte Margaret Higgins den Architekten William Sanger (1873–1961) kennen, der gebürtig aus Berlin stammte, und ging mit ihm die Ehe ein. Sie wurde Mutter dreier Kinder, fühlte sich in ihrer Rolle als traditionelle Hausfrau und Mutter aber nicht wohl. Sie engagierte sich in der Organisation „International Workers of the World“ und bewunderte Emma Goldman, die sich öffentlich für das Recht der Frau auf Kontrolle ihrer eigenen Sexualität und Fruchtbarkeit einsetzte. Bald war Margaret Sanger eine in den USA weithin bekannte Sexualreformerin, vor allem auch im Zuge ihrer Veröffentlichungen in der US-amerikanischen Tagespresse.

Als die US-Post sich weigerte, Publikationen mit Artikeln Sangers zu befördern, weil es ihr laut Gesetz verboten sei, „sexuelles Material“ zu verbreiten, und Sanger sich mit Schäden auseinandersetzte, die Frauen durch wiederholte Geburten und durch selbst herbeigeführte Schwangerschaftsabbrüche erlitten, entschied sich Sanger, sich fortan ganz der Bewegung zur Empfängnisverhütung zu widmen. Sie trennte sich von ihrem Mann und richtete schließlich ein Netz von Beratungsstellen in den USA ein, in denen Frauen zuverlässige Informationen über Möglichkeiten zur Empfängnisverhütung erhalten konnten. Mehrmals war Margaret Sanger von Verfolgung durch die Polizei und Staatsanwaltschaft bedroht, der sie sich unter anderem durch Flucht nach Europa entzog. Auf dieser Reise lernte sie den britischen Sexualreformer Havelock Ellis (1859–1939) kennen und freundete sich mit ihm an.

Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben Ellis‘ besuchte Margaret Sanger am 1. September 1920 Magnus Hirschfeld im neu gegründeten Institut für Sexualwissenschaft. Sanger zeigte sich von dem Gebäude, seiner Einrichtung und von Hirschfeld selbst beeindruckt. Sie befand, er sei über das Thema Empfängnisverhütung gut orientiert und stehe ihrer Arbeit aufgeschlossen gegenüber. Gleichwohl konnte sie später über das Institut festhalten: „Es war kein Ort, den ich besonders mochte.” Sanger bat Hirschfeld auch um die Adresse einer deutschen Firma, die ein gewisses chemisches Verhütungsmittel herstellte, von dem sie 1914 zum ersten Mal erfahren hatte. Das Gelee, so hieß es, sei hundertprozentig wirksam und von der deutschen Regierung offiziell zugelassen. Hirschfeld gab Sanger eine Adresse in Dresden, die sich indes als falsch erwies. Als Margaret Sanger nach Dresden fuhr und sich dort und andernorts nach dem Gelee erkundigte, wusste niemand etwas von dessen Existenz.

1916 hatte Margaret Sanger zusammen mit einer ihrer Schwestern eine Klinik in Brooklyn gegründet, in der sie zehn Tage lang knapp 500 Frauen über Verhütungsmittel beriet, bevor die Polizei die Klinik schloss. Durch ihre Verhaftung wurde Sanger zu einer national bekannten Persönlichkeit, und sie erreichte mit der Zeit, dass in den USA Kliniken zur Geburtenkontrolle mit ärztlichem Personal eingerichtet werden konnten.

Indem Margaret Sanger ihre eigene radikale Vergangenheit herunterspielte und fortan eugenische Argumente für die Geburtenkontrolle anstelle von feministischen zu verwenden, gewann sie zunehmend die Unterstützung von Ärzten und Politikern. 1921 gründete sie die „American Birth Control League“, die 1942 in die „Planned Parenthood Federation of America“ umgewandelt wurde. 1923 eröffnete Sanger mit Hilfe ihres zweiten Ehemanns, eines Millionärs, die erste von Ärzten geleitete Verhütungsklinik in den USA, an der später auch Sidonie Fürst als Assistentin tätig wurde. 1925 konnte Sanger einen früheren Freund überzeugen, eine Firma zu gründen, um das erste Diaphragma der USA zu produzieren. Im Zuge mehrerer Gerichtsprozesse, die Sanger zusammen mit ihren Unterstützern anstrengte, entschied die American Medical Association 1937, dass die Empfängnisverhütung fortan als legitime medizinische Dienstleistung und als Bestandteil der ärztlichen Ausbildung anzuerkennen sei.

1952 unterstützte Sanger die Gründung der „International Planned Parenthood Federation“, deren erste Präsidentin sie wurde. In dieser Zeit gelang es ihr ebenfalls, die Philanthropin Katharine Dexter McCormick (1875–1967) dafür zu gewinnen, die Entwicklung der Antibabypille durch Gregory Pincus (1903–1967) finanziell zu fördern.

Margaret Sanger starb am 6. September 1966 in Tucson, Arizona, an Herzversagen.

Margaret Sanger war und ist eine kontroverse Figur. Einerseits wurde sie für ihren Einsatz für die Geburtenkontrolle gefeiert und zur Ikone stilisiert. Das Time Magazin ernannte sie 1999 zu einer der hundert wichtigsten Persönlichkeiten des Zwanzigsten Jahrhunderts, und der Bürgerrechtler Martin Luther King (1929–1968) verglich ihre Arbeit einmal mit seinem eigenen Kampf. Andererseits wurde und wird Margaret Sanger insbesondere aus Kreisen der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wegen ihrer Verbindungen mit Eugenikern und Rassisten scharf kritisiert. Angela Davis (*1944) etwa behauptete, dass es Margaret Sanger seinerzeit nicht um die selbstbestimmte Empfängnisverhütung von schwarzen Müttern gegangen sei, sondern darum, den Anteil von Schwarzen an der US-amerikanischen Bevölkerung zu minimieren.

Schriften (Auswahl)

Sanger, Margaret (1927): Die neue Mutterschaft. Geburtenregelung als Kulturproblem. Mit einer Einleitung von Adele Schreiber. Dresden: Sibyllen-Verlag.

Sanger, Margaret (1929): Zwangs-Mutterschaft. Vorbemerkung „Zur Lage” von Friedrich Wolf. Stuttgart, Berlin, Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt.

Sanger, Margaret (1978): An Autobiography. New York: Norton.

Weiterführende Literatur und Archivalien (Auswahl)

Anonym (1928): Geburtenkontrolle [Ausführungen zu einem Vortrag von Margret Sanger im Berliner Ärztinnenverein], in: Die Ehe (Jg. 3), Nr. 2, S. 33-34.

Anonym (2012): Sanger’s Hunger Games. A Post-War German Odyssey, in: The Newsletter, Nr. 61, online hier.

Herrn, Rainer (2022): Der Liebe und dem Leid. Das Institut für Sexualwissenschaft 1919–1933. Berlin: Suhrkamp, S. 227.

Margaret Sanger Papers, 1761–1995. Finding aid prepared by Peter Engleman (2003), online hier.