Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Ruth Roellig, Schriftstellerin

geb. 14.12.1878 (Schwiebus, heute Świebodzin, Polen) gest. 31.7.1969 (Berlin)

Zur Biografie

Ruth (Margarete) Roellig wurde am 14. Dezember 1878 als Tochter des Gastwirts Otto Roellig und dessen Frau Anna im schlesischen Schwiebus (heute Świebodzin, Polen) geboren. Sie hatte mindestens eine jüngere Schwester. 1887 zog die Familie nach Berlin, wo Ruth Roellig eine Höhere-Töchter-Schule besuchte. Anschließend widmete sie sich privaten Studien und ließ sich zur Redakteurin ausbilden. In ihrer Frühzeit schrieb sie vornehmlich Gedichte, unter anderem für den Berliner Lokalanzeiger und die Zeitschrift Bazar, später schrieb sie auch Kurzgeschichten für die Frauenliebe, die 1930 in die Zeitschrift Garçonne einging.

Ruth Roelligs erstes Buch, Geflüster im Dunkeln, erschien 1913. Es folgten mehrere Prosabände und Romane, die zum Teil im Zirkus- und Theatermilieu angesiedelt sind. Der 1931 erschienene Roman Kette im Schoß schildert die Geschehnisse um ein in Berlin lebendes Geschwisterpaar persischer Herkunft.

1928 erschien Ruth Roelligs Berliner Stadtführer der besonderen Art. Der Titel des Buches lautete Berlins lesbische Frauen. In ihm beschrieb Roellig vierzehn Berliner Clubs und Bars „der Frauenwelt“, unter ihnen der mondäne Club „Mali und Igel“, die „Taverne“ am Alexanderplatz und das „Eldorado“ im Westen Berlins. Das Buch erschien schon 1930 in einer zweiten Auflage, und es wurde auch später, ab den 1980er Jahren, mehrfach neu aufgelegt.

Lesbische Frauen wurden um 1930 in Deutschland nicht strafrechtlich verfolgt, sie sahen sich aber besonders starker gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Roellig hielt in ihrem Buch fest: „Lesbische Frauen sind weder Kranke noch Minderwertige – lesbische Frauen sind zwar andersartige, aber den normalen völlig gleichwertige Geschöpfe.“

Diese Auffassung spiegelte auch Magnus Hirschfeld in seinem knappen Vorwort für Berlins lesbische Frauen wider, wenn er schrieb, Roelligs Buch handele von „Frauen, die ebensowenig als krank, minderwertig, wie unsittlich oder gar als verbrecherisch anzusehen sind.“ Im Übrigen lesen sich seine Ausführungen aus heutiger Sicht aber etwas befremdlich. Hirschfeld behauptete, homosexuelle Menschen seien „zur Gründung einer Familie nicht geeignet“, denn sie liefen stets „Gefahr einer Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses durch Geistes- oder Nervenstörungen aller Art“; angesichts „ihres schweren Geschicks“ blieben sie „als Geschlechtswesen besser unter sich“.

Bedacht werden muss indes, dass Magnus Hirschfeld dieses Vorwort zu einer Zeit schrieb, als ihm die Vorstellung einer gleichgeschlechtlichen Ehe mit oder ohne Kinder gar nicht in den Sinn kam oder ganz und gar utopisch erscheinen musste. Immerhin hatte er aber 1928 von einer noch gut dreißig Jahre zuvor von ihm vertretenen, überholten These Abschied genommen. 1896 hatte Hirschfeld in Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts? über lesbische Frauen in einer gemischtgeschlechtlichen Ehe geschrieben: „Die homosexuellen Frauen – und ihre Zahl ist Legion – führen fast stets eine glückliche Ehe, die freilich im Grunde nur eine ruhige leidenschaftslose Freundschaft ist.“ Jetzt räumte Hirschfeld ein, „so manches unglückliche Ehebündnis zwischen einem normalen Mann und einer lesbischen Frau wäre nicht oder doch unter ganz anderen Voraussetzungen geschlossen worden, wenn die Partner über ihre gegenseitigen Neigungen aufgeklärt gewesen wären.“

Ruth Roellig lebte über dreißig Jahre mit ihrer Partnerin Erika (Nachname unbekannt) zusammen, die etwa vierzig Jahre jünger als sie selbst war. Erika war Fremdsprachenkorrespondentin bei der Reichsbank. Das Paar lebte zunächst in der Goltzstraße 35 in Schöneberg, und später in der Lützowstraße 85 b in Tiergarten. Aus Anlass einer Denunziation in den späten 1930er Jahren gab Ruth Roellig ihre Freundin Erika als ihre Pflegetochter aus.

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 war Ruth Roellig zeitweise arbeitslos und lebte von Wohlfahrtsunterstützung. Sie interessierte sich für Spiritismus und Okkultismus und hielt als Haustier einen Affen. Von ihr erschienen noch 1935 der Kriminalroman Der Andere und 1937 der vermeintliche „Tatsachenbericht“ Soldaten, Tod, Tänzerin, in dem sie ein „Loblied auf die deutsche Heimatliebe“ sang, das nicht nur antirussische, sondern auch antisemitische Stereotypen bediente und durchaus im Sinne der herrschenden NS-Ideologie war. Die Handlung von Soldaten, Tod, Tänzerin spielte zu großen Teilen in Rumänien, und das rumänische Verkehrsamt beanstandete 1938 gar die Publikation, da man durch sie das rumänische Volk herabgewürdigt sah. Das Propagandaministerium in Berlin sah aber keine Veranlassung, Schritte gegen Roellig und die Veröffentlichung zu unternehmen.

Ruth Roellig bemühte sich 1936 um die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer (RSK), was eine Vorbedingung für schriftstellerische Veröffentlichungen im „Dritten Reich“ war. In ihrem Antrag betonte sie, sie sei „ein durch und durch deutsch fühlender Mensch und bringe den Bestrebungen unseres verehrten Führers die innigsten Sympathien entgegen.“ Ihr Buch Berlins lesbische Frauen wurde gleichwohl 1938 auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt, und fortan erschienen keine weiteren Bücher mehr von ihr.

Nachdem ihre Wohnung Ende 1943 bei einem Luftangriff auf Berlin zerstört worden war, zog Ruth Roellig vorübergehend nach Schlesien. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte sie nach Berlin-Schöneberg zurück, wo sie von Sozialunterstützung lebte. Ruth Roellig starb am 31. Juli 1969.

Schriften (Auswahl)

Roellig, Ruth (1919): Traumfahrt. Eine Geschichte aus Finnland. Eisleben: Probst.

Roellig, Ruth (1928): Berlins lesbische Frauen. Leipzig: Bruno Gebauer Verlag für Kulturprobleme.

Roellig, Ruth (1930): Ich klage an. Berlin: Bergmann-Verlag online hier.

Roellig, Ruth (1930): Lesbierinnen und Transvestiten, in: Esterházy, Gräfin Agnes (Hrsg.): Das lasterhafte Weib. Wien: Verlag für Kulturforschung, S. 67-81.

Roellig, Ruth (1937): Soldaten, Tod, Tänzerin. Gütersloh: Bertelsmann.

Roellig, Ruth Margarete (1996): Lesbierinnen. In: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Nr. 29, S. 46-47 (auszugsweiser Nachdruck).

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1928): Vorwort. Nachdruck in: Meyer, Adele. Hrsg. (1994): Lila Nächte. Die Damenklubs im Berlin der Zwanziger Jahre. Berlin: Edition Lit. Europe, S. 11.

Kokula, Ilse (1994): Lesbisch leben von Weimar bis zur Nachkriegszeit, in: Meyer, Adele. Hrsg. (1994): Lila Nächte. Die Damenklubs im Berlin der Zwanziger Jahre. Berlin: Edition Lit. Europe, S. 101-123.

Ramien, Th. [d. i. Hirschfeld, Magnus] (1896): Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts? Leipzig: Max Spohr online hier.

Schoppmann, Claudia (1996): Die innigsten Sympathien für den Führer. Ruth Margarete Roellig im „Dritten Reich“. In: Christiane Caemmerer und Walter Delabar (Hrsg.): Dichtung im Dritten Reich? Zur Literatur in Deutschland 1933–1945. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 169-176.

Schoppmann, Claudia (1998): Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 146-158 (erstmals erschienen 1993).