Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Hertha Riese, Dr. med., Psychiaterin, Frauenrechtlerin

geb. 15.3.1892 (Berlin) gest. 25.11.1981 (Glen Allen, Virginia, USA)

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Hertha Riese um 1933. Atelier Nini und Carry Hess. Quelle: Frauenschaffen und Frauenleben (Abreißkalender).
Hertha Riese wurde am 15. März 1892 als Tochter des jüdischen Anwalts Wilhelm Pataky und dessen Frau Mathilde geb. Scheinberger geboren. Der Vater war knapp zehn Jahre zuvor von Ungarn nach Deutschland eingewandert. Nach dem Schulbesuch studierte Hertha Pataky Medizin an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität und in Frankfurt am Main, wo sie Anfang 1919 als Ärztin approbiert wurde. Wenige Monate später wurde sie hier mit einer Arbeit über „Erfahrungen mit Choleval“, einem Mittel zur Behandlung der Gonorrhoe, promoviert. Zu diesem Zeitpunkt lebte sie zusammen mit ihrem Mann Walter Riese (1890–1976) in Wiesbaden. Das Ehepaar hatte im Sommer 1915 geheiratet. Hertha Riese wurde Mutter zweier Töchter, die 1916 und 1917 geboren wurden.

Hertha Riese machte sich ab Ende 1924 vor allem als Leiterin der Sozial- und Beratungsstelle des Frankfurter Bundes für Mutterschutz einen Namen. Anschließend war sie bis 1933 als niedergelassene Ärztin in Frankfurt/Main tätig. Sie prangerte wiederholt die elenden Wohn- und Lebensverhältnisse für Frauen der Arbeiterklasse an, verlangte, dass diesen Frauen das Wissen um Verhütungsmethoden nicht länger vorenthalten werde, und argumentierte dafür, dass die soziale Indikation zum Schwangerschaftsabbruch berechtigen müsse. Unterstützt wurde Hertha Riese in der Beratungsstelle durch Lotte Fink (1898–nach 1955), die wie sie selbst Ärztin war. Finanziell gefördert wurde die Beratungsstelle ab Ende der 1920 Jahre auch durch die US-amerikanische Sexualreformerin und Frauenrechtlerin Margaret Sanger.

Hertha Riese nahm zusammen mit ihrem Mann Walter Riese ab etwa 1924 an so gut wie allen internationalen Kongressen teil, die sich mit Fragen der Sexualität, Geburtenregelung und Bevölkerungspolitik befassten. Auf dem Züricher Kongress für Geburtenregelung etwa berichtete sie 1930, sie habe in ihrer Zeit an der Frankfurter Beratungsstelle über 400 Fälle von „Sterilisationen“ beobachten können. Hertha Riese hob dabei hervor, der Eingriff habe positive gesundheitliche Auswirkungen auf die sterilisierten Frauen gehabt.

Zusammen mit ihrem Mann sowie mit Paul und Maria Krische gehörte Hertha Riese auch dem Arbeitsausschuss der Weltliga für Sexualreform (WLSR) an, deren Kopenhagener Prozess sie mit vorbereitete. Über den Kongress berichtete sie ausführlich in mehreren deutschsprachigen Zeitschriften, und zusammen mit dem dänischen Arzt Jonathan Høegh von Leunbach (1884–1955) gab sie 1929 den entsprechenden Kongressbericht heraus.

Als Jüdin musste Hertha Riese 1933 aus Deutschland emigrieren. Zuvor war ihr als Ärztin die Kassenzulassung entzogen worden, und zusammen mit ihrem Mann wurde sie Ende Februar 1933 vorübergehend in einem Frankfurter Gefängnis in „Schutzhaft“ genommen. Die Familie Riese flüchtete daraufhin unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe über die Schweiz zunächst nach Frankreich und 1940 von dort weiter in die USA. Hertha Riese blieb in der Emigration für lange Zeit eine erneute medizinisch-therapeutische Arbeit verwehrt. Erst 1942 konnte sie in einer Einrichtung für „delinquent negroes“ im US-amerikanischen Richmond wieder Fuß fassen.

Hertha Riese nahm wie ihr Mann 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Noch Mitte der 1960er Jahre arbeitete sie in einem katholischen Heim für elternlose Kinder, und auch nach ihrer Pensionierung war sie als Beraterin und behandelnde Psychiaterin an verschiedenen Institutionen tätig. Hertha Riese starb am 25. November 1981 in Glen Allen, Virginia (USA).

Nachlass

Der Nachlass von Hertha (und Walter) Riese wird heute in der VCU Health Sciences Library in Richmond/Virginia verwahrt, ein Bestandsverzeichnis findet sich hier.

Schriften (Auswahl)

Riese, Hertha (1927): Die sexuelle Not unserer Zeit (Prometheus-Bücher). Leipzig: Hesse & Becker.

Riese, Hertha (1928): Der internationale Kongreß in Kopenhagen der Weltliga für Sexualreform (W.L.S.R.). In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik (Jg. 15), Nr. 5, S. 337-348.

Riese, Hertha (1929): Germany. In: International Medical Group for the Investigation of Birth Control. London: The Hon. Mrs. M. Farrer, S. 12-14.

Riese, Hertha (1929): Die wahren Aufgaben der Sexualberatungsstellen, in: Die Aufklärung (Jg. 1), Nr. 1, S. 6-8.

Riese, Hertha und Jonathan Høegh von Leunbach. Hrsg. (1929): Sexual Reform Congress. W.L.S.R. World League for Sexual Reform. Proceedings of the Second Congress. Copenhagen, 1–5 July 1928. Kopenhagen, Leipzig: Levin & Munksgaard, Georg Thieme Verlag.

Riese, Hertha (1930): Das Sexualleben des Trinkers und seine Familie, in: Die Volksgesundheit (Jg. 40), Nr. 12, S. 274-278.

Riese, Hertha (1932): Geschlechtsleben und Gesundheit, Gesittung und Gesetz. Berlin: Sturm-Verlag.

Riese, Hertha (1962): Heal the Hurt Child. An Approach through Educational Therapy with Special Reference to the Extremly Deprived Negro Child. Chicago: University of Chicago Press.

Quellen und weiterführende Literatur

Grossmann, Atina (1995): Reforming Sex. The German Movement for Birth Control and Abortion Reform, 1920–1950. New York, Oxford: Oxford University Press.

Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité (2015): Riese, Hertha [Biografischer Eintrag auf „Ärztinnen im Kaiserreich“], online hier.

Kühl, Richard (2009): Hertha Riese, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 591-593.

Linnemann, Dorothee (2014): Hertha Riese, geb. Pataky (1892–1981), auf:Frankfurter Frauenzimmer.

Wolfert, Raimund (2023): Riese, Hertha, in: Frankfurter Personenlexikon.