Michael von Muromzew, Übersetzer
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Magnus Hirschfeld bezeichnet Michael von Muromzew in Von einst bis jetzt (1922/23) als „russischen Obmann” des WhK. Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen heißt es, von Muromzew habe aus Anlass der Jubiläumsfeier zum 25-jährigen Bestehen des WhK in einer „von dichterischem Schwung erfüllten” Ansprache die „sexuelle Not seiner Brüder” geschildert – gemeint war die Situation Homosexueller als Angehörige der „Ostvölker”. Einer der Anwesenden bei dieser Ansprache war der homosexuelle russische Übersetzer Sergej Nabokov (1900–1945), ein Bruder des späteren weltberühmten Schriftstellers Vladimir Nabokov. Magnus Hirschfeld kannte den Vater der beiden, nachdem dieser im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 1903 einen Beitrag unter dem Titel „Die Homosexualität im Russischen Strafgesetzbuch” veröffentlicht hatte. Hirschfeld schrieb, es sei ihm eine besondere Freude gewesen, Sergej Nabokov bei der Jubiläumsfeier des WhK 1922 „persönlich die Hand drücken zu dürfen.”
Michael von Muromzew war um 1919 im Gefolge der russischen Revolution nach Deutschland gekommen. Die Vertretung des Völkerbundes in Genf (Schweiz) bestätigte dem ehemaligen russischen Staatsangehörigen am 8. Januar 1925, dass er zur „Kategorie der russischen Flüchtlinge” gehöre. Das Berliner Adressbuch verzeichnet ihn ab Mitte der 1920er Jahre als Kaufmann in der Eislebener Str. 15 (Wilmersdorf). Im gleichen Haus wohnte der Neurologe Dr. Nikolai Golubev (1879–1927), dessen Tod von Muromzew beim Standesamt anzeigte. 1928 ließ sich Michael von Muromzew, der von sich behauptete, stets „germanophil” gewesen zu sein, in Deutschland einbürgern. Auf den Adelstitel musste er dabei verzichten, da die deutschen Behörden ihn nicht anerkennen wollten. Um diese Zeit arbeitete Michael Muromzew für die Weberei F. V. Grünfeld in der Leipziger Straße.
Spätestens Mitte der 1930er Jahre hat Michael Muromzew dann Berlin und Deutschland verlassen und ist nach Bulgarien gezogen. Die näheren Umstände sind noch unbekannt. Nach 1945 muss er dann aber nach Berlin zurückgekehrt sein und wurde hier wieder als Übersetzer und Dolmetscher tätig. Michael Muromzew starb am 9. Juni 1959 in (West-) Berlin und wurde wenig später auf dem russisch-orthodoxen Friedhof in Berlin-Tegel beigesetzt. Sein Grab ist heute leider nicht mehr erhalten – wohl weil es keine Angehörigen gab, die es über die letzten Jahrzehnte hinweg hätten pflegen können.
Schriften (Auswahl)
Muromzew, Michael von (1923): Der Pathicus, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 23), S. 46-57. [In russischer Übersetzung und mit einer Einleitung von Lev Sokolinsky auch auf parniplus.com (2024).]
Weiterführende Literatur
Hirschfeld, Magnus (1986): Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hgg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, 1). Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 121.
Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (1923), Jg. 23, S. 180.
[Auf Russisch:] Sokolinsky, Lev (2024): Michael von Muromzew. Wie ein brillanter Adliger zum politischen Emigranten und Queer-Aktivisten wurde: Alles wie bei uns heute, nur vor einem Jahrhundert, auf: parniplus.com (erschienen 1. Juni 2024).
[Auf Russisch:] Sokolinsky, Lev (2024): Die herrschaftlichen Schwulen des Imperiums: Passiv, auf: parniplus.com (erschienen 7. Dezember 2024).