Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Meta Kraus-Fessel, Journalistin, Sozialexpertin

geb. 6.8.1884 (Przytullen, heute Przytuły, PL) gest. 21.11.1940 (New York, USA)

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Zeichnung: Karin Herberg, aus dem Jahreskalender der Roten Hilfe 2013.
Meta Kraus-Fessel wurde am 6. August 1884 als Tochter eines Gutsbesitzers im masurischen Przytullen (heute Przytuły, Polen) geboren. Nach einem Studium in Berlin, wo sie auch ihren späteren Ehemann, den Wirtschaftswissenschaftler Siegfried Kraus (1880–?), kennenlernte, arbeitete sie ab 1914 als Sozialexpertin an der Beratungsstelle für Kriegsinvalide und Hinterbliebene am Städtischen Fürsorgeamt in Frankfurt am Main. Da die Ehe aber nicht glücklich war, trennte sich das Ehepaar schon nach kurzer Zeit wieder.

1918 kehrte Meta Kraus-Fessel ohne ihren Mann nach Berlin zurück, wo sie ihre soziale Arbeit fortsetzte. Im Zuge ihres Engagements für Menschen in Arbeitervierteln wie dem Wedding, Moabit und Prenzlauer Berg lernte sie u.a. die Malerin Käthe Kollwitz kennen, die 1919 als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen worden war.

Meta Kraus-Fessel wurde am 1. Oktober 1919 als erste Frau Beamtin im Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt, hier war sie zunächst als Referentin, später auch als Regierungsrätin tätig. Inhaltlich war sie mit der Kleinkinderfürsorge und der Fürsorge für die „sittlich gefährdete weibliche Jugend“ betraut. Meta Kraus-Fessel trat aus bislang unbekannten Gründen schon 1924 in den einstweiligen Ruhestand, arbeitete ab dieser Zeit aber immer wieder mit Magnus Hirschfeld zusammen.

So schrieb sie etwa für Hirschfelds Sittengeschichte der Nachkriegszeit (1931) einen Beitrag über „Frauenarbeit und Frauenemanzipation in der Nachkriegszeit ab 1919“, in dem sie die Berufstätigkeit der Frauen als unabdingbare Voraussetzung für deren Emanzipation hervorhob: „Der Weg der Frau ins Erwerbsleben, zur wirtschaftlichen und persönlichen Unabhängigkeit ist der Anfang des Weges zu sich selbst, zum tiefsten Grunde ihres Wesens, nicht mehr, aber auch nicht weniger“, hielt sie hier fest. Unter Auswertung statistischer Daten schrieb Meta Kraus-Fessel, es gebe in Deutschland rund 155 Prozent mehr erwerbstätige Frauen als „Nur-Ehefrauen, woraus die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Ehe als wirtschaftliche Versorgung der weiblichen Bevölkerung klar wird.“ 1930 nahm Meta Kraus-Fessel auch an dem Kongress der Weltliga für Sexualreform (WLSR) in Wien teil.

Politisch engagierte sich Meta Kraus-Fessel zunächst in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), trat aber bereits 1919 der Kommunistischen Partei (KPD) bei. Sie betätigte sich innerhalb der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) und war 1924 Mitbegründerin der Roten Hilfe Deutschlands (RHD). Deren Ziel war es, den nach dem Spartakusaufstand 1919 inhaftierten Revolutionären juristischen Schutz bei Gerichtsverhandlungen zu bieten und deren Angehörige emotional und finanziell zu unterstützen. Die Rote Hilfe betrieb in Deutschland auch Kinderheime, so etwa den Barkenhoff des Malers und Architekten Heinrich Vogeler (1872–1942) in Worpswede.

Als der Barkenhoff in finanzielle Schwierigkeiten geriet und die deutschen Behörden immer wieder nach neuen Gründen suchten, das Kinderheim zu kriminalisieren, wurde 1926 ein Kuratorium zum Erhalt der Einrichtung gegründet, dem neben Meta Kraus-Fessel, Käthe Kollwitz und anderen Prominenten auch Magnus Hirschfeld angehörte.

Angesichts der Entwicklungen in der Sowjetunion wandte sich Meta Kraus-Fessel von der KPD ab und schloss sich anarchistischen Kreisen an. Nach der Ermordung des Anarchisten Erich Mühsam (1878–1934) im Konzentrationslager Oranienburg, den Meta Kraus-Fessel zeitweise bei sich versteckt gehalten hatte, um ihn vor der Verhaftung durch die Nationalsozialisten zu schützen, kümmerte sie sich um dessen Witwe Zenzl Mühsam (1884–1962), von der sie sich allerdings bald entfremdete.

1933 entzog sich Meta Kraus-Fessel einer drohenden Verhaftung durch die Gestapo, indem sie nach Amsterdam flüchtete. Von hier zog sie bald nach Österreich und 1938 von dort weiter nach Paris, um sich schließlich in den USA niederzulassen. Die US-amerikanische Anarchistin Emma Goldman hatte ihr angeboten, sie könne einen Lehrstuhl an der Universität im kanadischen Victoria übernehmen. Doch dazu kam es nicht mehr. Meta Kraus-Fessel war an Darmkrebs erkrankt und musste sich im Mai 1940 einer schweren Operation unterziehen. Mit der Unterstützung Emma Goldmans konnte sie, unheilbar krank, das Krankenhaus verlassen. Am 21. November 1940 schied sie in New York durch Selbstmord aus dem Leben.

Schriften (Auswahl)

Kraus-Fessel, Meta und Siegfried Kraus (1919): Die Organisation und die Tätigkeit des Städt. Fürsorgeamtes für Kriegshinterbliebene in Frankfurt. Frankfurt am Main: H. L. Brönner.

Kraus-Fessel, Meta (1923): Fürsorgewesen und Arbeiterklasse. In: Sozialistische Monatshefte (Jg. 29), Nr. 11, S. 671-675 (online hier).

Kraus-Fessel, Meta (1923): Krisis in den Beratungen des Ges.-Entw. zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. In: Soziale Praxis. Centralblatt für Sozialpolitik (Jg. 32), S. 158.

Kraus-Fessel, Meta (1925): Schwangeren-, Mütter- und Kinderschutz als Aufgabe der Justizreform. In: Die neue Generation (Jg. 18), S. 68-78.

Kraus-Fessel, Meta (1926): Strafe auf Schwangerschaftsunterbrechung. In: Die neue Generation (Jg. 22), S. 54.

Kraus-Fessel, Meta (1927): Frauen im Polizeidienst. In: Die neue Generation (Jg. 23), S. 46.

Kraus-Fessel, Meta (1927): Polizei-Terror gegen Kind und Kunst. Dokumente zur Geschichte der sozialen Republik Deutschlands. Berlin: Mopr.

Kraus-Fessel, Meta (1929): Schule und Aufklärung. In: Die Ehe (Jg. 4), Nr. 3, S. 76-78.

Kraus-Fessel, Meta (1931, Reprint 1966): Frauenarbeit und Frauenemanzipation in der Nachkriegszeit ab 1919. In: Magnus Hirschfeld (Hrsg.): Zwischen zwei Katastrophen (früher: Sittengeschichte der Nachkriegszeit). Hanau/Main: Verlag Karl Schustek, S. 165–196.

Weiterführende Literatur

Bergemann, Hans; Dose, Ralf; Keilson-Lauritz, Marita. Hrsg. (2019): Magnus Hirschfelds Exil-Gästebuch. Unter Mitarbeit von Kevin Dubout. Leipzig, Berlin: Hentrich & Hentrich, S. 215.

Eckhardt, Hanna: Kraus-Fessel, Meta. In: Frankfurter Personenlexikon.

Helm, Inge (2008): Gelebte Emanzipation. Mutige Frauen zwischen Küche, Mutterkreuz und „Roter Hilfe”. Berlin: Karin Kramer Verlag.

Kühl, Richard (2022): Der große Krieg der Triebe. Die deutsche Sexualwissenschaft und der Erste Weltkrieg. Bielefeld: transcript Verlag, S. 429.

Müller, Reinhard (2012): Meta Kraus-Fessel, in: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich.

Müller, Reinhard (2001): Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung. Hamburg: Hamburger Edition.

Schmidt, Birgit [2008]: Schönere Hüte. Frauen zwischen Feminismus, Revolution und Verfolgung. Berlin: Karin Kramer Verlag.