Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Alexandra Kollontai, Schriftstellerin, Politikerin

geb. 31.3.1872 (St. Petersburg, Russland) gest. 9.3.1952 (Moskau, SU)

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Aus Magnus Hirschfeld, Geschlechtskunde (1930).
Die russische Schriftstellerin und Politikerin Alexandra Kollontai war eine der namhaftesten sozialistischen und feministischen Agitatorinnen des frühen 20. Jahrhunderts. In ihren Schriften thematisierte sie vor allem die Situation der Frau und forderte von Anbeginn an die Gleichberechtigung der Geschlechter. Schon früh schrieb sie etwa in der schwedischen Frauenzeitschrift Morgonbris („Morgenbrise”) über zentrale Sozialistinnen wie Clara Zetkin (1857–1933) und Rosa Luxemburg (1871–1919). 1899 trat sie der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei, und ab 1905 machte sie sich für eine autonome Frauenabteilung innerhalb der Kommunistischen Partei stark. 1915 gehörte sie den Bolschewiki an, und ab 1917 unterstützte sie Wladimir Lenin. 1928 wurde sie ebenfalls Mitglied der durch Magnus Hirschfeld gegründeten Weltliga für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage (WLSR), nahm aber nie an deren Treffen teil.

Alexandra Kollontai wurde als Tochter eines ukrainisch-stämmigen Generals namens Domontowitsch und einer finnischen Mutter geboren, verlebte eine unbeschwerte Kindheit in und um St. Petersburg, wurde aber schon früh mit den Klassenunterschieden zwischen ihr und ärmeren Menschen konfrontiert, etwa wenn sie ihre Sommer in Karelien verbrachte bzw. das Leben der arbeitenden Bevölkerung in den russischen Großstädten beobachtete.

Sie heiratete 1893 ihren Cousin Wladimir Kollontai, mit dem zusammen sie einen Sohn bekam, verließ ihren Mann aber bereits fünf Jahre später, um „frei“ zu sein. Sie begann nun ein Studium der Fächer Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität im schweizerischen Zürich. 1908 wurde sie gezwungen, ihr Heimatland Russland zu verlassen und ging ins Exil zunächst nach Deutschland, dann vorübergehend nach Frankreich und ab 1914 nach Schweden und Norwegen. Als sie 1917 nach Russland zurückkehrte, lernte sie den Matrosen Pawel Dybenko (1889–1938) kennen und ging mit ihm die Ehe ein.

Alexandra Kollontai wurde 1917 in den bolschewistischen Rat der Volkskommissare aufgenommen und gehörte als erste Frau dem „revolutionären” Kabinett unter Lenin an. Sie war damit die erste Ministerin der Welt. Als alleinerziehende Mutter und Volkskommissarin setzte sie sich für eine Verbesserung des Mutterschutzes und die kollektive Kindererziehung ein und erreichte das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Mit der Zeit geriet sie jedoch in den Ruf, der parteifeindlichen Opposition anzugehören, was dazu beitrug, dass sie Funktionen im Ausland übernahm. Im Folgenden hatte sie mehrere Posten als Diplomatin und Konsulin in Norwegen (1922–1930) und anschließend in Schweden inne. Zwischenzeitig absolvierte sie einen kurzen Aufenthalt in Mexiko.

Alexandra Kollontai unterließ es ab Mitte der 1920er Jahre, die Politik Josef Stalins öffentlich zu kritisieren, und befürwortete die Verfolgung innerparteilicher Opposition. Zu den stalinistischen „Säuberungen“ in der Sowjetunion ab 1937 schwieg sie. Selbst als ihr zweiter Mann Pawel Dybenko als Trotzkist erschossen wurde, kommentierte sie dies nicht. Von Stalin wurde ihr 1943 der Botschaftertitel verliehen, und bis 1945 war Alexandra Kollontai Botschafterin in Schweden. Sie wurde 1946 und 1947 für den Friedensnobelpreis nominiert, erhielt den prestigeträchtigen Preis jedoch nie.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab Alexandra Kollontai ihre politische Karriere auf und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Sie verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens in Moskau, fungierte hier hinter den Kulissen aber als Beraterin des sowjetischen Außenministeriums.

Alexandra Kollontai schrieb wissenschaftliche Artikel, Romane, Erzählungen, Pamphlete und unzählige andere Texte, die in hohen Auflagen Verbreitung fanden und gelesen wurden. Vor allem ihre Publikationen aus der Zeit vor 1923 haben nachhaltige Bedeutung für die feministische Theorie und Forschung erlangt. In ihren Schriften trat Alexandra Kollontai für eine freie Sexualität ein und stellte die traditionell untergeordnete Rolle der Frau in Beziehungen in Frage. Vor allem die Möglichkeit, zwischen Liebesbeziehungen und sexuellen Beziehungen zu unterscheiden, wie es Männer tun, war ihr auch in Hinblick auf Frauen wichtig. Alexandra Kollontai bekämpfte die Vorstellung, allein die Kernfamilie ermögliche es einer Frau, Kinder zu bekommen und aufzuziehen. Die von Kollontai favorisierte und idealisierte „Kameradschaftsehe“ war nicht auf Lebenslänglichkeit angelegt und sollte nicht von ökonomischen Interessen geleitet sein. Kollontai plädierte dafür, dass sich Frauen von der „Verantwortung“ für ihre Ehemänner befreien und die dadurch gewonnene Zeit für politische Arbeit, Kunst und den eigenen Beruf nutzen.

Sowohl unter Lenin als auch unter dessen Nachfolger Stalin wurde Alexandra Kollontais Agitation für die Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten der Frau, die sie als mindestens ebenso wichtig wie die „Arbeiterfrage“ einschätzte, als kontrovers und potenziell gefährlich empfunden, weil sie geeignet seien, die Interessenskämpfe von männlichen und weiblichen Arbeitenden zu spalten und damit zu schwächen.

Ob sich Magnus Hirschfeld und Alexandra Kollontai je begegnet sind, ist ungeklärt. Hirschfeld schätzte Kollontai als „bewundernswürdige Dichterin“, nachdem er 1925 ihre Novellensammlung Wege der Liebe gelesen hatte, in der sie die „Kameradschaftsehe“ als neue heterosexuelle Beziehungsform schilderte. Kurt Tucholsky (1890–1935) urteilte über diese Sammlung indes schon 1926 in der Weltbühne: „Frau Kollontai ist sicherlich eine gute Politikerin. Bücher schreiben kann sie nicht.” Insofern als Magnus Hirschfeld im Bilderteil seiner Geschlechtskunde 1930 ein signiertes Foto Alexandra Kollontais veröffentlichte, das den Zusatz „Oslo 1929“ trägt, kann davon ausgegangen werden, dass die zwei zumindest vorübergehend in einem direkten brieflichen Kontakt miteinander standen.

Schriften (Auswahl)

Kollontay, Alexandra (1925): Wege der Liebe. Berlin: Malik-Verlag.

Kollontay, Alexandra (1932): Familie und Kommunismus. In: Atlantis (Jg. 4), Nr. 12, S. 747-748.

Kollontai, Alexandra (1970): Autobiographie einer sexuell emanzipierten Kommunistin. Hrsg. und mit einem Nachwort von Iring Fetscher. München: Rogner & Bernhard.

Kollontai, Alexandra (1982): Ich habe viele Leben gelebt. Autobiographische Aufzeichnungen. Berlin/DDR: Dietz.

Weiterführende Literatur

Gretter, Susanne (o.J.): Alexandra Kollontai, auf: Fembio Frauen.Biographieforschung.

Leppänen, Katarina (2018): Aleksandra Mikhajlova Kollontaj, in: Svenskt kvinnobiografiskt lexikon.

Wrobel, Ignaz [d i. Kurt Tucholsky] (1926): Wege der Liebe [Rezension], in: Die Weltbühne, 10.8.1926 (Nr. 32), S. 230.