Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Oskar Kertscher, Kaufmann

geb. 25.6.1893 (Hamburg) gest. 26.4.1956 (Hamburg)

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Oskar Kertscher, um 1954. Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 242-1 II, Abl. 13.
Oskar Kertscher wurde am 25. Juni 1893 in Hamburg geboren. Seine Eltern waren der Großhändler für Südfrüchte Clemens Kertscher (ca. 1857–1929) und dessen Frau Luise, geb. Ott (ca.1860–1923), die 1886 geheiratet hatten. Das Ehepaar hatte mehrere Kinder, von denen mindestens vier später in die USA auswanderten. Oskar Kertscher wurde wie sein Vater Kaufmann und betrieb Anfang der 1950er Jahre in seiner Heimatstadt ein florierendes Kopier- und Übersetzungsbüro, in dem auch sämtliche Drucksachen der Bremer „Homophilenorganisation“ Internationalen Freundschaftsloge (IFLO) hergestellt wurden. Dabei bezahlte Kertscher nach Angaben Dritter sein Engagement für die IFLO aus eigener Tasche.

Zwischen 1925 und 1954 war Oskar Kertscher wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen und anderer „Vergehen“ mehrfach verurteilt und inhaftiert worden. Unter anderem hatte er vier Jahre im Konzentrationslager Neuengamme verbracht. 1952 war es Kertscher, der beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen ein gegen ihn verhängtes Urteil der vierten großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts Beschwerde einlegte. Dabei wurde er von dem Hamburger Rechtsanwalt Friedrich Franz Reinhard (1915–1985) vertreten. Allerdings enthob Kertschers Tod am 26. April 1956 das Gericht der Verpflichtung, sich mit der Beschwerde zu befassen. Dass das Bundesverfassungsgericht ein Jahr später die Strafbarkeit der männlichen Homosexualität in Deutschland für rechtmäßig erklärte, erlebte Kertscher nicht mehr.

Ob Oskar Kertscher am Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) persönlich teilgenommen hat, ist nicht geklärt. Im Bericht von der internen Arbeitsversammlung des ICSE vom 2. September 1952 heißt es, ein „Hamburger Freund“ habe sich bereit erklärt, den Kongressbericht sowie alle stenografierten Diskussionen in deutscher, englischer und französischer Sprache (später war auch von einer italienischen Version die Rede) gratis in Druck zu bringen. Bei diesem „Freund“ handelte es sich um Oskar Kertscher. Im Folgejahr wurde sein Name im Periodical Newsletter auch explizit erwähnt. Der deutschsprachige Kongressbericht sollte ursprünglich ausgewählten Abgeordneten des Bundestags und anderen Persönlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Doch scheint das Vorhaben, hier Druck und Vertrieb, nie realisiert worden zu sein.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Bericht der internen Arbeitsversammlung des 2ten Intern. Kongress für Sex. Gleichber. Frankfurt/M., in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 17-19, hier S. 18.

Anonym (1953): Internal Working-Sessions of the I.C.S.E., in: Periodical Newsletter, [Nr. 13] (Oktober 1953), S. 124-125 [siehe hier auch S. 132].

Drönner, Nadine (2020): Das „Homosexuellen-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts aus rechtshistorischer Perspektive (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 115). Tübingen: Mohr Siebeck, S. 24-38.

Rosenkranz, Bernhard, Ulf Bollmann und Gottfried Lorenz (2009): Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969. Hamburg: Lambda Edition, S. 128-129.

Wolfert, Raimund (2011): Mehr als tanzen, tunten, schwuchteln, sich bewundern lassen. Die Internationale Freundschaftsloge (IFLO) im Kampf gegen ein „törichtes“ Gesetz, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 48, S. 29-52.