Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Karl Friedrich Jordan, Dr. phil., Studienrat und Gymnasialprofessor

geb. 23.9.1861 (Berlin) gest. 14.9.1926 (Berlin)

Zur Biografie

Der nachstehende Text ist ein Auszug aus einem Text von Jens Dobler, der auf Lesbengeschichte.org publiziert wurde. Es handelt sich um die überarbeitete Fassung eines Abschnitts aus seinem Buch Von anderen Ufern (2003, ebd. S. 37-39).

Ein anderes Bindeglied zwischen dem Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) und der Gemeinschaft der Eigenen (GdE) war Prof. Dr. Karl Friedrich Jordan. Zunächst wohnte er im Berliner Bezirk Mitte, ab 1898 für zehn Jahre in der Madaistraße 3 (heute Erich-Steinfurth-Straße) in Friedrichshain. Von 1909 bis 1913 lebte er in Treptow und ab 1914 bis zu seinem Tod 1926 am Kottbusser Ufer 17 (heute Paul-Lincke-Ufer) in Kreuzberg. Karl Friedrich Jordan wurde 1907, 1910 und 1920 unter dem Pseudonym „Max Katte” als Mitglied des Obmännerkollegiums des WhK genannt.

Jordan wurde 1862 als Sohn eines Beamten in Berlin geboren. Sein Abitur legte er an der Werderschen Oberrealschule ab und studierte dann Naturwissenschaften, mit den Schwerpunkten Physik, Botanik und Mathematik. Er promovierte in Halle über Blütenbiologie. Zwischen 1886 und 1887 leistet er seinen Militärdienst ab. Er war zunächst Oberlehrer, dann Professor an einem Realgymnasium und einer höheren Mädchenschule. 1908 wurde er Privatier und widmete sich seinen schriftstellerischen Tätigkeiten. Er schrieb für die Zeitschriften Naturwissenschaftliche Wochenschrift, Natur, Gäa und Kosmos und veröffentlichte ein Lehrbuch der Physik. Zugleich ist er auch regelmäßiger Autor der Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen, der Zeitschrift für Sexualwissenschaft, Der Eigene von Adolf Brand, von Geschlecht und Gesellschaft von Reitzenstein und der Homosexuellenzeitschrift Die Freundschaft. Außerdem schrieb er Festspiele, hielt Vorträge und schrieb für die Tageszeitung Freie Presse. Vor 1908 trat er in Zusammenhang mit homosexuellen oder sexualwissenschaftlichen Veröffentlichungen unter den Pseudonymen „Max Katte” und „Dr. phil. Arduin” auf. Aber auch seine inoffizielle Lebensgeschichte ist überliefert: Im Jahr 1900 veröffentlichte er im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen von Hirschfeld unter „Max Katte” den Aufsatz: „Aus dem Leben eines Homosexuellen” (JfsZ 2, 1900, S. 295ff). Ausdrücklich bietet er sich mit diesem Aufsatz „(…) als Objekt der Beobachtung oder, um den Mund noch voller zu nehmen der Forschung dar, bitte aber, unbefangen und ohne Vorurteil zu bedenken und zu prüfen, was ich über mich sage.” Katte/Jordans Aufsatz gehört damit zu jener Bekenntnisliteratur, die um die Jahrhundertwende versucht, deutlich zu machen, dass Homosexuelle ebenso normal und vollwertig sind und nicht abartige Wesen, als die sie oft dargestellt wurden. Solch eine Veröffentlichung in jener Zeit setzte einigen Mut voraus: „Fast möcht’ ich, indem ich damit beginne, wieder davon absehen; denn was ich durchlebt und was ich hier schildern will, es ist so eigenartig und so intim, dass ich mich scheue, es der Öffentlichkeit preiszugeben.” Er bekennt, dass er sich nie zu Frauen hingezogen fühlte. Sein Interesse und seine Schwärmerei für gleichaltrige Mitschüler begann mit 8 Jahren und im Alter von 14 Jahren machte er erste gleichgeschlechtliche Erfahrungen mit einem Mitschüler und verliebte sich in diesen. Mit 19 liebte er ihn immer noch, obgleich die Liebe nicht erwidert wurde da „er anderer Natur war als ich”. Jordan berichtet dann ausführlich, dass er lange von zwei Männern erpresst worden war. Er stand in dieser Zeit kurz vor dem Selbstmord, aber er nahm dann vermutlich Kontakt zum WhK auf, denn es wurde ihm dringend geraten, die Erpressung anzuzeigen. Er tat es, und die beiden Erpresser wurden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Solcherlei Schilderungen waren damals Überlebenshilfen, denn nicht wenige Schwule befanden sich in einer ähnlichen Situation.

Im selben Jahrbuch veröffentliche Jordan unter „Dr. phil. Arduin” einen Aufsatz über die Frauenfrage (JfsZ 2, 1900, S. 211-233). Der Aufsatz ist ein spannendes aber in sich widersprüchliches Dokument über die Ansichten eines homosexuellen Mannes der damaligen Zeit zu diesem Thema. Zunächst referiert er die klassische Frage, ob Frauenemanzipation eine wichtige oder nebensächliche Gesellschaftsfrage sei: Ist die Frauenfrage eine soziale Frage und müsse deswegen Priorität haben, oder geht es primär um die zu verändernden wirtschaftlichen Verhältnisse, die Emanzipation der Frau also sekundär ist? Dann argumentiert er zunächst klassisch antifeministisch: Der Mann sei der Frau körperlich und geistig klar überlegen, er repräsentiere die Kultur, sie die Natur. Schließlich leitet er zu den Homosexuellen über und unterscheidet vier Gruppen:

1. Homosexuelle Männer, die sich als Mann fühlen und deren Liebe sich daher auf Männer mit weiblichem Wesen, vor allem auf Jünglinge und jüngere Männer richtet. 2. Homosexuelle Männer, die die Rolle der Frau annehmen und die deswegen nach vorwiegend männlich entwickelten Männern Verlangen haben. 3. Homosexuelle Frauen, die die Rolle des Mannes annehmen und dem gemäß sehr weibliche Frauen bevorzugen. 4. Homosexuelle Frauen, die sich wahrhaft als Frau fühlen und darum zu männlich angelegten Individuen des weiblichen Geschlechts Neigung haben. Wegen dieser Einteilung kommt Jordan zu der bemerkenswerten Feststellung: „Es handelt sich bei der Frauenfrage um zweierlei, und zwar deshalb, weil der Begriff Frau (ebenso wie der Begriff Mann) kein schlechthin einheitlicher ist.” Damit nun die „männlichen” homosexuellen Frauen ihrer „Natur” gemäß sich entfalten können, sei allen Frauen der Zutritt zum Berufsleben zu ermöglichen und insofern seien die Forderungen der Emanzipationsbewegung völlig berechtigt.

Jordan ist […] Teilnehmer der Halbjahreskonferenz im Hotel Prinz Albrecht im Jahre 1903. 1909 wird er zum beisitzenden Vorstand des WhK gewählt, außerdem wird er Mitglied im so genannten Obmann-Kollegium, das eine Art Berater- und Repräsentationszirkel innerhalb des WhK war. Jordan hielt regelmäßig Vorträge auf WhK-Versammlungen und ab 1919 auch im Institut für Sexualwissenschaft. Seine Themenpalette reichte vom „Geschlechtsleben der Pflanzen” über „Richard Wagner” bis zu „Sadismus-Masochismus”. Besonders beschäftigte er sich mit geistigen und religiösen Fragen im Zusammenhang mit Sexualität. Er kann außerdem als ein wichtiger Unterstützer von Hirschfelds Zwischenstufentheorie gelten. Jordan war ebenfalls Mitglied der Gemeinschaft der Eigenen und vertrat diese ab 1920 im Aktionsausschuss zur Abschaffung des § 175, einem Gremium aller drei Homosexuellenorganisationen der Weimarer Republik. Auch für die GdE hielt er Vorträge und inszenierte Theaterstücke. Am 22. September 1922 veranstaltete das WhK eine Feier zu seinem 60. Geburtstag. Vier Jahre später starb Karl Friedrich Jordan an den Folgen einer nicht bekannten Krankheit.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (2003): Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain
Berlin: bruno gmünder, S. 37, 38, 40, 69 und 89.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 615.