Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

George Cecil Ives, Privatgelehrter

geb. 1.10.1867 (Frankfurt/Main) gest. 4.6.1950 (Hampstead, Middlesex, Großbritannien)

Zur Biografie

George Cecil Ives wurde am 1. Oktober 1867 als unehelicher Sohn eines britischen Offiziers in Frankfurt/Main geboren. Seine Mutter Jane Violet Tyler heiratete später Karl von Malortie, einen Dresdner Baron. Ives wuchs bei seiner Großmutter väterlicherseits auf und verbrachte seine Kindheit überwiegend in England und im Süden Frankreichs. Seine Mutter traf er nur zweimal, zu seinem Vater hatte er ein angespanntes Verhältnis.

George Cecil Ives besuchte das Magdalene College in Cambridge und zog nach dem Abschluss seiner Universitätsausbildung nach London. Er konnte fortan von einem erheblichen privaten Vermögen leben und sich in seiner Freizeit ungestört Fragen der Strafrechtsreform und insbesondere des Homosexuellenstrafrechts widmen. 1892 lernte er Oscar Wilde (1854–1900) kennen, fünf Jahre später gründete er den „Order of the Chaeronea“, die erste Selbsthilfeorganisation in Großbritannien für Homosexuelle.

Dem „Order of the Chaeronea“ gehörten mehrere britische Schriftsteller wie auch andere Mitglieder außerhalb Großbritanniens an, so dass von einer internationalen Vereinigung gesprochen werden kann. Ein ausgeklügeltes System von Siegeln, Codes und Passwörtern, sowie die tiefe Verschwiegenheit Ives‘ und der anderen Mitglieder sorgten jedoch dafür, dass heute über die Gruppe sehr wenig bekannt ist. Sie scheint bis in die 1940er Jahre existiert zu haben. Intern sicherte sie denjenigen ihrer Mitglieder, die von antihomosexuellen Gesetzen in Mitleidenschaft gezogen worden waren, Unterstützung zu, und extern leistete sie Lobbyarbeit.

Neben Oscar Wilde zählte George Cecil Ives insbesondere den romantischen Dichter und Sozialisten Edward Carpenter (1844–1929) zu seinen Freunden. Darüber hinaus kannte er die Sexualwissenschaftler Henry Havelock Ellis (1859–1939) und Magnus Hirschfeld gut, und zusammen mit Carpenter, Havelock Ellis, Hirschfeld und anderen gründete er 1914 die „British Society for the Study of Sex Psychology“ (ab 1931 „British Sexological Society“). Sie beschäftigte sich in Form von Vorträgen und Publikationen mit sämtlichen Fragen der Sexualität von der Abtreibung, der Geburtenkontrolle, den Geschlechtskrankheiten und der Prostitution bis hin zur Sterilisation.

George Cecil Ives sprach sich 1894 im Rahmen eines Zeitungsartikels erstmals öffentlich für eine Reform des Homosexuellenstrafrechts aus. Wohl auch weil er für diesen Artikel heftige Kritik erntete, hielt er sich in seinen späteren Veröffentlichungen ein wenig bedeckter, doch sprach er in allen seinen Hauptwerken das Thema Homosexualität und Strafrecht an und drängte auf entsprechende Veränderungen auf dem Gebiet der Justiz. Zudem schrieb er Leserbriefe an die Presse (unter dem Pseudonym Tab Can) und sammelte Zeitungs- und Zeitschriftenartikel für insgesamt 45 „Fallbücher“ über den Zeitraum 1893 bis 1950.

Bemerkenswert ist das Tagebuch, das George Cecil Ives hinterlassen hat. Es umfasst über 120 Bände und umspannt den Zeitraum von 1887 bis 1949. Es ist nicht nur ein einzigartiges Zeugnis über Ives‘ „Netzwerk“ (Edward Carpenter, Radclyffe Hall, George Bernhard Shaw, Oscar Wilde und viele andere), sondern zeigt auch, wie sein Autor als Angehöriger der britischen Oberschicht sein Leben im Spannungsfeld zwischen seinem homosexuellen Begehren und dem sozialen Stigma, das dieses bedeutete, bewältigte.

Nachdem George Cecil Ives 1901 in London ein Haus gekauft hatte, lebte er dort mit etlichen Männern und Frauen aus einfacheren Verhältnissen zusammen, die er finanziell unterstützte und als seine „Familie“ bezeichnete. Dabei dürften die Beziehungen Ives‘ zu einzelnen Männern in dieser „Adoptivfamilie“ zunächst sexueller oder erotischer Natur gewesen sein. Sie scheinen aber schnell platonisch geworden zu sein.

George Cecil Ives starb am 4. Juni 1950 im Alter von 82 Jahren. Als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1907, 1910 und 1920 genannt.

Schriften (Auswahl)

Ives, George Cecil (1980): Man bites Man. The Scrapbook of an Edwardian Eccentric. London: Jay Landesman.

Nachlass

George Cecil Ives’ Nachlass – darunter die umfangreiche Sammlung seiner Tagebücher – befindet sich im Harry Ransom Center der University of Texas, eine detaillierte Bestandsbescheibung ist online zugänglich.

Weiterführende Literatur

Cook, Matt (2009): George Ives. Queer Lives and the Family (Radio-Podcast mit Transkription.)

Cook, Matt (o.J.): Ives, George Cecil (1867–1950), in: Oxford Dictionary of National Biography. Der Eintrag erfordert eine kostenpflichtige Anmeldung.

Wolfert, Raimund (2022): Ives, George Cecil. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/13076.