Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Norman Haire, Dr. med., Arzt und Sexualreformer

geb. 21.1.1892 (Sydney, Australien) gest. 11.9.1952 (London, Großbritannien)

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Norman Haire in den 1940er Jahren. Unbekannter Fotograf. University of Sydney library.
Norman Haire wurde am 21. Januar 1892 im australischen Sydney als elftes Kind des polnisch-britischen Ehepaares Henry und Clara Zając geboren, die ihren Familiennamen in Zions geändert hatten. Bei der Einwanderung nach Großbritannien nahm Norman Zions den Namen Haire an, vermutlich um seine jüdische Herkunft zu kaschieren. In dem Namen klingt das englische Wort für „Hase“ („hare“) an, was dem polnischen „zając“ entspricht.

Nach eigenen Angaben hatte Norman Haire um 1910 in der Stadtbücherei von Sydney Havelock Ellis‘ Studies in the Psychology of Sex entdeckt, und die Lektüre inspirierte ihn, sich systematisch und eben auch hauptberuflich mit der Sexualität zu beschäftigen. In seiner Kinder- und Jugendzeit habe ihn das Thema immer mit Ängsten und Schuldgefühlen erfüllt. Fortan wollte Haire anderen helfen, wie ihm auch Ellis‘ Enzyklopädie geholfen habe.

Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums arbeitete Norman Haire zunächst an einigen australischen Krankenhäusern, wo er sich zum Facharzt für Gynäkologie ausbildete. Nachdem einer seiner Patienten verstorben war und ihm selbst ärztliches Fehlverhalten vorgeworfen wurde, wurde Haire entlassen und wanderte nach Großbritannien aus.

1920 eröffnete er in London eine gynäkologische Praxis, die ihn schnell reich und wohlhabend machte. Er bot auch sogenannte Verjüngungsoperationen nach Eugen Steinach (1861–1944) an männlichen Patienten an, die bis ins hohe Alter sexuelle Potenz und Vitalität versprachen. Einer seiner berühmtesten Patienten war der britische Schriftsteller William Butler Yeats (1865–1939).

Norman Haire wurde früh Mitglied der „British Society for the Study of Sex Psychology“, die 1913 auf Anregung Magnus Hirschfelds und nach dem Vorbild des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gegründet worden war. Haire leistete daneben kostenlose ärztliche Versorgung für notleidende Patientinnen der ersten Londoner „Birth Control Clinic“, und er widmete sich der Aufklärung über Sexualität und Empfängnisverhütung.

1923 reiste Norman Haire zum ersten Mal nach Berlin, um Magnus Hirschfeld persönlich kennen zu lernen. Er begann, Deutsch zu lernen, und beherrschte die Sprache bald perfekt. Gleichzeitig verlegte er sich auf eine Karriere als sexualwissenschaftlicher Sachbuchautor. Er bearbeitete Werke von Ludwig Levy-Lenz (1889–1966) und später Hans Giese, übersetzte sie ins Englische und ließ sie zum Teil unter Pseudonym erscheinen. Ab etwa Mitte der 1920er Jahre behauptete Haire wiederholt, dass Deutschland ihm eine geistige Heimat sei.

Im Zuge des Bombenkrieges der deutschen Wehrmacht auf London ließ sich Norman Haire wieder in Sydney nieder, kehrte jedoch nach dem Ende des Krieges nach Großbritannien zurück, um seine dortigen Tätigkeiten als Arzt und Publizist wieder aufzunehmen. Von 1948 bis zu seinem Tod 1952 gab er zudem das Journal of Sex Education heraus.

Norman Haire war spätestens ab Ende der 1930er Jahre Diabetiker und litt an einer Nierenschwäche. Seit einem Herzanfall 1950 war seine Gesundheit nachhaltig zerrüttet, so dass er am 11. September 1952 im Alter von 60 Jahren starb. Norman Haire hat nie geheiratet und war vermutlich homosexuell, obwohl er sich nie selbst zur Homosexualität bekannt hat.

Am Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) im Spätsommer 1952 konnte Haire aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr teilnehmen. Wenig später hieß es im Peridocial Newsletter, dass man den Tod Haires mit tiefstem Bedauern habe zur Kenntnis nehmen müssen. Haire, Präsident der „Sex Education Society“, Herausgeber des Journal of Sex Education und einstiger Co-Präsident der Weltliga für Sexualreform (WLSR), habe die Aktivitäten des ICSE stets mit Interesse verfolgt: Er „wollte auf dem zweiten Kongress in Frankfurt sprechen, doch eine Krankheit verhinderte bereits seine Anwesenheit. Viele Bücher sind von ihm über Sexologie veröffentlicht worden. Wir hoffen sehr, mit dem Nachfolger von Dr. Haire unseren wertvollen Kontakt fortsetzen zu können.“

Weiterführende Literatur

Forster, Frank Menzies Cameron (2006): Norman Haire (1892–1952), auf: Australian Dictionary of Biography.

Haire, Norman (1935): Magnus Hirschfeld in Memoriam, in: Marriage Hygiene (Jg. 2), Nr. 2, S. 120-122.

Haire, Norman (1965): Geschlecht und Liebe heute. München: List.

Hertoft, Preben (1990): Hvem var Norman Haire? – en kontroversiel reformist, in: Nordisk Sexologi (Jg. 8), Nr. 1, S. 77-94.

Herzer, Manfred (2009): Norman Haire (1892–1952), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 251-255.

[Kurznotiz], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 12.

Wyndham, Diana (2003): Versemaking and Lovemaking. W.B. Yeats’ “Strange Second Puberty”: Norman Haire and the Steinach Rejuvenation Operation, in: Journal of the History of the Behavioral Sciences (Jg. 39), Nr. 1, S. 25-50.