Hans Giese, Dr. med. et phil., Arzt
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1941 trat Hans Giese in die NSDAP ein. Da er aufgrund eines Herzfehlers nicht zur Wehrmacht eingezogen wurde, konnte er sein Studium während des Zweiten Weltkriegs fortsetzen. 1943 wurde er zum Dr. phil. und 1946 zum Dr. med. promoviert. Titel seiner medizinischen Dissertation war „Die Formen männlicher Homosexualität“.
1949 gründete Hans Giese in seiner Privatwohnung in Kronberg (Taunus) das Institut für Sexualforschung, das er noch im selben Jahr nach Frankfurt verlegte. Von hier aus beteiligte sich Giese an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) und organisierte den ersten sexualwissenschaftlichen Kongress in der Bundesrepublik Deutschland. Die 1952 von Giese begründete Schriftenreihe „Beiträge zur Sexualforschung“ existiert heute noch.
Hans Giese verfasste selbst zahlreiche Nachschlagewerke und Handbücher zur Sexualwissenschaft, durch die er sich rasch zu dem „einflussreichsten Sexualwissenschaftler der Adenauer-Zeit“ im deutschen Sprachraum profilieren konnte. Er hielt wechselnde Beziehungen als kennzeichnend für den Mann und forderte eine feste Eheform auch für „Homophile“. Für derartige langandauernde Verhältnisse forderte er gesellschaftliche Anerkennung, da er überzeugt war, die gesellschaftliche Ausgrenzung und Aberkennung der Homosexualität führe zu Unbeständigkeit und Neurosen und schade damit der „Volksgesundheit“. Privat war Giese mit dem Schauspieler August Engert (1918–1969) verbunden, den er 1950 kennen gelernt hatte und der zum Teil an der Erstellung seiner Publikationen beteiligt war. Engerts Name wurde dabei aber nicht genannt.
Hans Giese bemühte sich 1949 zunächst, Magnus Hirschfelds Wissenschaftlich-humanitäres Komitee (WhK) neu zu gründen, verwarf die Pläne aber nach kurzer Zeit und distanzierte sich fortan von der nicht-akademisch motivierten „Homophilenbewegung“ seiner Zeit. 1959 zog er mit seinem Institut für Sexualforschung nach Hamburg, wobei sich seine jüngeren Assistenten im Lauf der 1960er Jahre zunehmend von Gieses Positionen distanzierten und sich durch andere Schwerpunktsetzungen selbst einen Namen machten.
Ende 1970 sollte Hans Giese eigentlich eine Gastprofessur an der Universität in Prag (Tschechien) wahrnehmen, doch dazu kam es nicht mehr. Während eines Urlaubs an der französischen Mittelmeerküste verunglückte Giese im Sommer 1970 in der Nähe von Saint-Paul-de Vence tödlich. Die Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt.
Weiterführende Literatur
Dannecker, Martin (1997): Der unstillbare Wunsch nach Anerkennung. Homosexuellenpolitik in den fünfziger und sechziger Jahren, in: Grumbach, Detlef (Hrsg.): Was heißt hier schwul? Politik und Identitäten im Wandel. Hamburg: MännerschwarmSkript-Verlag, S. 27-44.
Dannecker, Martin (2009): Hans Giese (1920–1970). In: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt am Main/New York: Campus, S. 226-235.
Kühl, Richard (2023): Giese, Hans, in: Frankfurter Personenlexikon.
Liebeknecht, Moritz (2018): Sexualwissenschaft als Lebenswerk. Zur Biografie Hans Gieses (1920–1970), in: Initiative Queer Nations (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten (Jg. 3), S. 111-132.
Liebeknecht, Moritz (2020): Wissen über Sex. Die deutsche Gesellschaft für Sexualforschung im Spannungsfeld westdeutscher Wandlungsprozesse (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, 60). Göttingen: Wallstein Verlag.
Sigusch, Volkmar (2008): Geschichte der Sexualwissenschaft. Frankfurt am Main/New York: Campus, S. 391-429.
Wolfert, Raimund (2015): Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (hirschfeld-lectures, 8). Göttingen: Wallstein Verlag.