Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Coenraad Van Emde Boas, Dr. med., Psychiater

geb. 17.6.1904 (Rotterdam, Niederlande) gest. 27.9.1981 (Amsterdam, NL)

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Coenraad van Emde Boas, 1970. Fotograf: Joost Evers / Anefo, CC0, via Wikimedia Commons.
Coenraad (van Emde) Boas wurde am 17. Juni 1904 in eine niederländisch-jüdische Kaufmannsfamilie in Rotterdam geboren. Früh zeigte sich, dass er vielseitig interessiert war. Bereits neben seinem Medizinstudium an der Universität in Leiden veröffentlichte er einen Band Gedichte. Nachdem er in Kontakt mit der Psychoanalyse gekommen war, unterzog er sich bereits Mitte der 1920er Jahre einer ersten Lehranalyse. Weitere folgten in den 1940er und 1950er Jahren. Aufgrund seiner literarischen Interessen befasste er sich mit den Beziehungen zwischen Psychologie und Sexualität einerseits und den künstlerisch-ästhetischen Lebensäußerungen des Menschen andererseits. Er unternahm mehrere Studienreisen, besuchte Vorlesungen an anderen Universitäten und fuhr nach Berlin, um Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaft kennenzulernen. 1932 vertrat van Emde Boas die Niederlande auf dem Kongress der Weltliga für Sexualreform (WLSR) in Brno.

Nachdem er 1930 das Arztexamen abgelegt hatte, spezialisierte er sich auf Psychiatrie und Neurologie und gründete eine eigene Praxis als Nervenarzt, Psychoanalytiker und Sexologe in Amsterdam. Gleichzeitig führte er als Leiter des „Dr. Alletta Jacob Huis“ Beratungen auf dem Gebiet der Geburtenkontrolle und Sexualaufklärung für Hilfesuchende durch. Seine Studie über die „periodische Unfruchtbarkeit und ihre Bedeutung für die Regelung der Kinderzahl“, die ab 1934 in zahlreichen Neuauflagen und populärwissenschaftlichen Bearbeitungen erschien, wurde nicht als Doktorarbeit anerkannt, da sie dem universitären Establishment seiner Zeit in den Niederlanden als zu gewagt galt. Erst mit einer zweiten Doktorarbeit über Shakespeares Sonette und „transvestitische“ Verwechslungsspiele kam van Emde Boas 1951 zu akademischen Würden.

Coenraad van Emde Boas war bereits in den 1930er und 1940er Jahren an der Gründung niederländischer Fach- und Studentenvereinigungen zu Fragen der Sexualität beteiligt. Doch erst in den 1960er Jahren wurde die Sexologie im medizinischen Curriculum der Niederlande anerkannt. 1970 wurde an der Universität in Amsterdam der erste außerordentliche Lehrstuhl eingerichtet, der sich den Aspekten der menschlichen Beziehungen und des Geschlechtslebens widmen sollte. Ein zweiter Lehrstuhl an der Universität in Leiden folgte im Jahr darauf. Coenraad van Emde Boas bekleidete beide Lehrstühle bis Ende der 1970er Jahre, als bei ihm ein Herzleiden konstatiert wurde.

Besonders in der frühen Nachkriegszeit war Coenraad van Emde Boas eine umstrittene Persönlichkeit in den Niederlanden. Einerseits wurde er von konservativen Psychoanalytikern angegriffen, die sich gegen seine Behandlungsmethoden wandten, andererseits galt vielen seiner Berufsgenossen seine Sicht auf tabuisierte Themen der Gesellschaft wie Empfängnisverhütung, Abtreibung, Homosexualität, Transsexualität und Pornographie als zu liberal und zu progressiv. Als Jude, Humanist und linksliberaler Sozialist verglich Coenraad van Emde Boas etwa die Diskriminierung Homosexueller mit der Diskriminierung anderer Minderheiten ethnischer, kultureller oder religiöser Art.

Coenraad van Emde Boas war zweimal verheiratet und wurde mehrfacher Vater. Er starb im Alter von 77 Jahren am 26. September 1981 in Amsterdam.

Der Vortrag, den Coenraad van Emde Boas auf dem Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) hielt, war ein Auszug aus seiner Doktorarbeit „Shakespeare’s sonnetten en hun verband met de Travesti-Double Spelen“ (dt. „Shakespeares Sonette und ihre Beziehungen zu den Travestie-Verwechslungsspielen“) vom Vorjahr. In ihm wandte er sich gegen die „Soziogenese der vitalen Abneigung“ des modernen Westeuropäers gegen alle Äußerungen der Homosexualität und Homoerotik. Diese Abneigung der judäo-christlichen Kultur, die van Ende Boas als ein typisch künstliches Produkt verstand, sei auf die seinerzeitige Isolation des jüdischen Volkes während seiner Ansiedlung inmitten einer heidnischen Umwelt zurückzuführen und damit als Ausnahme zu betrachten. Coenraad van Emde Boas verwies auf die gleichzeitig bei Hethitern und Phöniziern bestehenden Bräuche, die Homosexuelle ehrten und deren Freundschaften untereinander mit der Ehe gleichsetzten. Auch in der klassischen griechischen Gesellschaft seien homosexuelle Handlungen niemals als strafbar und verwerflich angesehen worden.

Bei dem Vortrag von Coenraad van Emde Boas handelte es sich ganz offenbar um eine gekürzte Version seiner Druckschrift in der „Wereld-Bibliotheek“ aus dem Jahr 1951.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Dieser Kongresz [sic!], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 15-17, hier S. 15-16 [siehe hier auch S. 4 und 22].

Oosterhuis, Harry (2009): Coenraad van Emde Boas, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/Main und New York: Campus Verlag, S. 720-724.

Van Emde Boas, Coenraad (1951): De sociogenese van de vitale afkeer tegen de homo-sexualiteit (Overdruk). Amsterdam/Antwerpen: Wereld-Bibliotheek [32 Seiten].

Van Emde Boas, Coenraad (1961): Sex Life in Europe, in: Ellis, Albert und Albert Abarbanel (Hrsg.): The Encyclopedia of Sexual Behavior (Vol. 1). New York/London: Hawthorn/The Corsano, S. 373-383.

Van Emde Boas, Conrad (1967): Die Lage der Homosexuellen in den Niederlanden. In: Dührssen, Annemarie, Arthur Jores und Werner Schwidder (Hrsg.): Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse (Jg. 13). Göttingen: Verlag für medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, S. 55-63.