Ernst Ludwig Driess, Aktivist
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Ernst Ludwig Driess wurde wegen gleichgeschlechtlicher Kontakte mit Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren 1936 zum ersten Mal kriminalisiert und im Jahr darauf zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Im Zuge einer Hausdurchsuchung wegen „Führerbeleidigung“ und „Zersetzung der Wehrkraft“ kamen 1944 erneut Fälle „sexueller Vergehen“ ans Licht, und Driess wurde zum zweiten Mal zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Zwar gelang ihm im Frühjahr 1945 die Flucht aus einem nationalsozialistischen Lager, dennoch war er fortan ein gezeichneter Mensch. Nachdem er 1945 die Nachprüfung der zwei während der NS-Zeit gegen ihn verhängten Strafen beantragt hatte, musste er zudem eine „Reststrafe“ von anderthalb Jahren in der Landesstrafanstalt Bruchsal (Baden-Württemberg) verbüßen.
Nach einem weiteren „Vorfall“, bei dem Driess gleichgeschlechtliche Kontakte nachgewiesen werden konnten, wurde er im Herbst 1947 als geistig Gesunder für über drei Jahre in die Heil- und Pflegeanstalt Philippshospital in Goddelau bei Darmstadt eingewiesen. Driess behauptete später, er habe sich allein durch das Vertiefen in Arbeit und durch mitmenschliche Hilfe vom Anstaltsalltag unter „Geisteskranken und Schwachsinnigen“ ablenken können.
Nach seiner Entlassung tat sich Ernst Ludwig Driess in der bundesdeutschen Presse vor allem anonym als Psychiatriekritiker hervor, er arbeitete aber auch für den Schweizer Kreis und andere Blätter der deutschsprachigen „Homophilenbewegung“. Seine Denkschrift, die er im Philippshospital ausgearbeitet hatte, sollte unter dem Titel „Sexualprobleme stehen zur Diskussion“ in Buchform erscheinen, doch lehnten alle angeschriebenen Verlage das Manuskript ab, so dass es heute als verschollen gelten muss. Der einzige Teil des Buchinhalts, der gedruckt vorliegt, ist ein Vorwort von Otto Hug (1905–1965), das 1950 als Artikel im Kreis Aufnahme fand.
Die Frankfurter Zeitschrift Die Gefährten, die 1952 von Heinz Meininger als Vereinszeitschrift des Vereins für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) ins Leben gerufen wurde, ging in Teilen auf Denkanstöße und Pläne Ernst Ludwig Driess‘ zurück, und auch der Titel „Humanitas“ der Zeitschrift der Bremer bzw. Hamburger Gesellschaft für Menschenrechte (GfM) fußte auf einem Vorschlag Driess‘. Nach eigenen Angaben war Driess ebenso eine zentrale treibende Kraft hinter Heinz Meininger und sorgte so dafür, dass der 1952er Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) überhaupt in Frankfurt ausgetragen wurde. Am ersten internationalen Kongress des ICSE, der 1951 in Amsterdam stattfand, hatte Driess nicht teilnehmen können, weil die deutschen Behörden ihm aufgrund seiner Vorstrafen einen Auslandspass verweigerten.
Im Spätsommer 1952 führte die Polizei erneut eine Hausdurchsuchung bei Driess durch, weil sie kritische Flugblätter zu einem damals stattfindenden Psychiatrieprozess vermutete, Infolgedessen konnte Ernst Ludwig Driess nur am ersten und am vierten Tag des ICSE-Kongresses in Frankfurt teilnehmen. Vom Kongressauftakt, den Hermann Weber und Eric Thorsell bestritten, zeigte er sich enttäuscht. Angetan war er aber von den Beiträgen der Rechtsanwälte Eduard Seidl und Joseph Klibansky. Gleichwohl urteilte er in einem privaten Brief wenig später resigniert: „ […] es war eigentlich nur eine Tagung von Menschen, die sich über organisatorische Fragen berieten und ein kleines Pflänzchen mit Wasser begossen, damit es nicht zugrunde geht. Ob es wachsen kann, wird erst die Zukunft beweisen.“
Weiterführende Literatur
[Driess, Ernst Ludwig:] (1951): Tagebuch aus einem Irrenhaus, in: Das grüne Blatt vom 14.1., 21.1., 28.1., 4.2., 11.2 und 18.2.1951 [Artikel in sechs Teilen].
Driess, Ernst Ludwig (1952): Falsche Moral. Die deutschen Sittengesetze, ihre Widersprüche und deren Ursache, in: freond (Jg. 2), Nr. 9, S. 4-6.
[Hug, Otto:] (1950): Ein neues Buch von Ernst Driess, Darmstadt, wartet auf seinen Verleger, in: Der Kreis (Jg. 18), Nr. 12, S. 34-35.
Wolfert, Raimund (2019): Emanzipationsbestrebungen in der Tradition Magnus Hirschfelds. Das Beispiel Ernst Ludwig Driess, in: Initiative Queer Nations (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten, S. 71-96.