Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Anita Berber, Tänzerin

geb. 10.6.1899 (Leipzig) gest. 10.11.1928 (Berlin)

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Briefmarke der deutschen Bundespost mit dem Gemälde, das Otto Dix 1925 von Anita Berber gemalt hat, 1991.
Anita Berber wurde am 10. Juni 1899 als Tochter eines Konzertgeigers und dessen Frau, einer Kabarettsängerin, in Leipzig geboren. Die Eltern hatten erst aus Anlass der Schwangerschaft geheiratet, und die Ehe war auch nicht glücklich. Sie wurde schon 1902 wieder geschieden. Weil die Mutter sich im Zuge wechselnder Engagements nicht um ihre Tochter kümmern konnte, wuchs Anita Berber ab 1906 bei ihrer Großmutter mütterlicherseits in Dresden auf.

Um 1914 zog Anita Berger nach Berlin, wo sie Unterricht bei der österreichischen Theaterschauspielerin Maria Moissi (1874–1943) nahm. Zeitgleich ließ sie sich bei der deutschen impressionistischen Ausdruckstänzerin Rita Sacchetto (1880–1959) ausbilden. 1916 stand sie zum ersten Mal auf einer Bühne und tanzte vor Publikum, es folgten Auftritte in Städten wie Hannover, Leipzig, Hamburg und Frankfurt am Main, Gastspiele brachten sie auch nach Österreich und in die Schweiz.

1918 wurde Anita Berber von dem österreichischen Produzenten, Drehbuchautor und Filmregisseur Richard Oswald (1880–1963) für den Film entdeckt. Sie zeigte sich 1919 unter anderem an der Seite Magnus Hirschfelds und Conrad Veidts (1893–1943) in dem Aufklärungsfilm „Anders als die Andern“ und in dem Sittenfilm „Die Prostitution“. Insgesamt war sie in etwa fünfundzwanzig Filmen zu sehen. Bilder von ihr wurden bald sogar in US-amerikanischen Medien wie der Zeitschrift Vanity Fair gedruckt.

Anita Berber trat in dem Berliner Kabarett „Schall und Rauch“ und in Hamburg auf St. Pauli auf, wo sie die erste Nackttänzerin ihrer Zeit war. Entblößte Brüste waren bis dahin von der deutschen Polizei nur in „Standbildern“ und nicht in bewegten Szenen geduldet worden.

1922 ließ sich Anita Berber nach nur drei Jahren Ehe von ihrem ersten Mann scheiden und zog zu ihrer lesbischen Freundin Susi Wanowski (Susu Wannowsky u.ä.), die später die Frauenbar „La Garçonne“ in der Kalkreuthstraße 11 in Berlin-Schöneberg betrieb.

Die Erfolge, die Anita Berber insbesondere an der Seite ihres künstlerischen homosexuellen Partners Sebastian Droste (eigentlich Willy Knobloch, 1898–1927) feiern konnte – unter ihnen das Programm „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“ – konnten nicht verhindern, dass Berber ebenso wie Droste bald drogensüchtig wurde. Insbesondere Droste kam wegen Eigentumsdelikten auch mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt und musste Haftstrafen antreten.

Am 10. September 1924 heiratete Anita Berber den amerikanischen Tänzer Henri Châtin-Hofmann (1900–1961), den sie im Jahr zuvor in Berlin kennengelernt hatte. Sie stand in Kontakt mit Klaus Mann (1906–1949) und Otto Dix (1891–1969), fortwährende Drogen- und Alkoholexzesse, Tumulte, Skandale und Beschwerden über ihre „unsittlichen“ Darbietungen führten aber dazu, dass ihr Stern langsam sank.

Im Sommer 1928 brach Anita Berber während eines Auftritts in Damaskus (Syrien) vor ihrem Publikum zusammen. Die herbeigerufenen Ärzte diagnostizierten eine Tuberkulose-Erkrankung, die keine Aussichten auf Heilung mehr versprach. Anita Berber starb am 10. November 1928 im Bethanien-Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg. Sie war 29 Jahre alt geworden. Magnus Hirschfeld schrieb in Die Weltreise eines Sexualforschers (1933): „Wie überall zeigen auch auf Bali viele Tänzer einen auffallend weiblichen, viele Tänzerinnen einen jungenhaften Einschlag. Androgynen Tänzerpaaren, wie ‚Anita Berber und Henry‘ begegnete ich in der ganzen Welt wieder.“

Weiterführende Literatur

Berber, Anita und Sebastian Droste (1922): Die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Wien: Gloriette-Verlag.

Fischer, Lothar (1996): Anita Berber 1918–1928 in Berlin. Tanz zwischen Rausch und Tod (Edition Jule Hammer). Berlin: Haude & Spener.

Fischer, Lothar (2006): Anita Berber. Göttin der Nacht. Collagen eines kurzen Lebens. Berlin: edition ebersbach.

Hirschfeld, Magnus (1933): Die Weltreise eines Sexualforschers. Brugg: Bözberg-Verlag, S. 152.

Scheub, Ute (2000): Verrückt nach Leben. Berliner Szenen in den zwanziger Jahren. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

Wunderlich, Dieter (2009): AußerOrdentliche Frauen. 18 Porträts. München: Piper-Verlag, S. 106-115.

Film

Praunheim, Rosa von (1987): Anita – Tänze des Lasters / Anita – Dances of Vice [mit Lotti Huber (1912–1998) u.a.]. Rosa von Praunheim (Regie). DVD: Pillarbox.