André Baudry, Aktivist, Herausgeber von „Arcadie“
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André Baudry selbst wurde 1955 wegen Sittenwidrigkeit verklagt und zu einer Geldstrafe von 400.000 Francs verurteilt. Um die Mitglieder von „Arcadie“ und die Abonnenten der Zeitschrift nicht zu verschrecken, behauptete Baudry lange Zeit, er sei nie verurteilt worden. Arcadie erschien in der Folge bis 1982 mit insgesamt 314 Ausgaben und hatte zeitweise eine Auflage von 40.000 Exemplare. Baudry unterhielt enge Beziehungen zur Schweizer „Homophilenzeitschrift“ Der Kreis und dem amerikanischen Pendant One.
1957 erweiterte Baudry „Arcadie“ um einen Treffpunkt in einem ehemaligen Pariser Theater, der den Namen „Club littéraire et scientifique des pay latins“ (Clespala, dt. „Literarischer und wissenschaftlicher Club der lateinischen Länder“) erhielt. Hier wurden Vorträge, öffentliche Diskussionen, Tanznachmittage und Bankette durchgeführt.
1960 ließ André Baudry sämtliche Kleinanzeigen und Fotografien aus Arcadie entfernen, da er befürchtete, die Zeitschrift könne im Zuge einer Gesetzesverschärfung erneut verboten werden. Gut zehn Jahre später war er dabei behilflich, dass in Spanien die „Bulletins des Moviemiento Español de Liberación Homosexual“ erscheinen konnten, die sich für Homosexuellenrechte einsetzten. 1975 nannte Baudry seine Gruppe „Arcadie“ in „Mouvement homophile de France“ um, und vier Jahre später lud er zahlreiche intellektuelle Sympathisanten wie Michel Foucault (1926–1984) und Philippe Ariès zu einem Kongress ein.
Foucault schrieb einmal über Baudry: „Arcadie war die einzige [Bewegung], die das Wort ‚Volk‘ benutzte. Darin bestand Baudrys prophetische Torheit […]. Man kann schon darüber staunen, dass der Leiter der Arkadier ständig deren schlechten Sitten anprangerte. Aber in der Tat muss das ‚Volk‘ sündig sein, um einen Propheten zu brauchen.“
Im Zuge der Liberalisierung der französischen Gesetzgebung und geänderten Haltungen auf Seiten der französischen Polizei Homosexuellen gegenüber löste André Baudry „Arcadie“ am 13. Mai 1982 auf. Er selbst verließ Frankreich und ließ sich in Neapel (Italien) nieder, wo er am 1. Februar 2018 verstarb.
2015, drei Jahre vor seinem Tod, schenkte André Baudry seine Sammlung von etwa 800 belletristischen und wissenschaftlichen Büchern zum Thema Homosexualität der „Bibliothèque historique de la ville de Paris“, die daraufhin den „Fonds André Baudry“ einrichtete.
Einen Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) hatte André Baudry 1953 erstmals besucht. Hier hielt er einen Vortrag unter dem Titel „Gestaltung der Jünglinge und der jungen Homophilen“. Als Sekretär des ICSE bediente er sich des Pseudonyms „André Romane“. Es scheint, die Niederländer und André Baudry haben sich von Anfang an nicht gut verstanden. Im Herbst 1953 kritisierte „Floris van Mechelen“ (Henry Methorst), Baudry habe der „Durchschlagskraft“ seiner eigenen Rede vieles dadurch wieder genommen, dass er sich „zu sehr von einer rauschenden Rhetorik wegreißen“ ließ.
Zwei Jahre später eskalierte die Situation, und für „Bob Angelo“ (Niek Engelschman) war Baudry der Hauptschuldige für Versäumnisse, Unregelmäßigkeiten und Konflikte bei der Vorbereitung des Pariser ICSE-Kongresses. Im Schweizer Kreis hieß es, Baudrys „diktatorische Haltung“ und seine „engstirnige, provinzialistische Auffassung“ seien unvereinbar mit dem, was man von dem Leiter einer demokratischen Organisation erwarten dürfe. Baudry habe nicht das geringste Verständnis für das Wesentliche „unserer internationalen Anstrengungen“ aufzubringen vermocht, sondern habe versucht, das Ganze „den Interessen seiner Gruppe“ unterzuordnen.
In der Tat hatte Baudry 1955 darauf bestanden, einziger Ausrichter der Veranstaltung in Paris zu sein. Er verweigerte der französischen Zeitschrift Futur die offizielle Teilnahme. Hinzu kamen Auseinandersetzungen mit der Gruppe „Le Verseau“ (dt. „Der Wassermann“), die 1952 gegründet worden war. Kurz vor der Eröffnung des Pariser ICSE-Kongresses zog sich dann André Baudry ganz von der Vorbereitung der Veranstaltung zurück.
Weiterführende Literatur
Baudry, André (1953): Gestaltung der Jünglinge und der jungen Homophilen, in: Bericht des dritten internationalen Kongresses fur sexuelle Gleichberechtigung (I.C.S.E.), 12-14 September 1953 Amsterdam, S. 24-29, online hier (Deutsch) bzw. hier (Englisch).
Baudry, André (1954): Le comité international d’Amsterdam, in: Arcadie, Nr. 1, S. 45-49.
Engelschman, Niek (1955): Menschenrechte und Ursprung der Moral. Der 4. Kongress des I.C.S.E., in: Der Kreis (Jg. 23), Nr. 12, S. 20-21, hier S. 20.
Jackson, Julian T. (2009): Arcadie. La vie homosexuelle en France, de l’après-guerre à la dépénalisation. Chicago: University of Chicago Press, bzw.: Ders. (2009): Living in Arcadia. Homosexuality, Politics, and Morality in France from the Liberation to AIDS. Chicago/London: University of Chicago Press.
Martel, Frédéric (1996): Le rose et le noir. Les homosexuels en France depuis 1968. Paris: Le Seuil [hier vor allem „Chapitre III“, S. 100-117].
Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1953): Dritter internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung, in: Periodical Newsletter, [Nr. 13] (Oktober 1953), S. 128.
Ostertag, Ernst (2005): André Baudry. Gründerpersönlichkeit, auf: schwulengeschichte.ch.
