Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Poul Andræ, Amtsverwalter

geb. 26.8.1843 (Kopenhagen, Dänemark) gest. 5.6.1928 (Kopenhagen, Dänemark)

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Poul Andræ, 1923. Quelle: Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen.
Poul Andræ war seit 1879 persönlich mit Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895) bekannt, er suchte 1891 den deutsch-österreichischen Psychiater Richard von Krafft-Ebing (1840–1902) auf und veröffentlichte 1892 unter dem Pseudonym „Tandem” einen Aufsatz über die „konträre Sexualempfindung” und war damit der erste Däne, der in einer medizinischen Fachzeitschrift für die Gleichberechtigung Homosexueller das Wort ergriff.

Andræ wurde 1903 Mitglied des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). Offenbar hatte er sich wenig zuvor erstmals an das WhK gewandt, um die Möglichkeiten eines persönlichen Besuches in Berlin auszuloten. Bereits um diese Zeit bestellte er auch eine Reihe von Aufklärungsschriften der Organisation. In der Folge bedachte er das WhK wiederholt mit kleineren oder größeren Geldbeiträgen.

Poul Andræ wurde im August 1907 zum Obmann des WhK gewählt. Er nahm die Wahl wenige Tage später an, hatte jedoch gewisse Bedenken. Magnus Hirschfeld versuchte, diese Bedenken bei ihm zu zerstreuen, und versicherte, besondere Pflichten und Lasten würden Andræ aus dem Amt nicht erwachsen. Das WhK behalte sich lediglich vor, in wichtigen Angelegenheiten den Rat seiner Obmänner einzuholen. Zudem wünsche man, den WhK-Mitgliedern vor Ort „in etwa vorkommenden Fällen” einen Obmann als Vertrauensmann empfehlen zu können. Als ein Beispiel für diese Art der Hilfe von Seiten des WhK mag der Fall eine jungen, stellenlosen Dänen aus Slagelse (Sjælland) dienen, der sich um 1909 mit der Frage an das WhK in Berlin gewandt hatte, ob man ihm bei der Beschaffung einer neuen Stellung behilflich sein könne. Max Tischler (1876–1919) leitete diese Bitte an Poul Andræ weiter, doch ist unbekannt, ob dieser seinem jungen Landsmann helfen konnte.

Unbekannt ist auch, wie lange Poul Andræ für das WhK war tätig war, denn schon auf einer Obmänner-Liste aus dem Jahre 1910 war sein Name nicht mehr verzeichnet. Offenbar hatte er das Amt schon noch kurzer Zeit niedergelegt. Eine Abkehr Andræs vom WhK erfolgte damit allerdings nicht. Noch in seinem Testament berücksichtige er 1926 die Organisation mit 1.000 Kronen. Hier verfügte er auch, dass derjenige, der Magnus Hirschfelds Broschüre Was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen? ins Dänische übersetzte und herausgab, weitere 500 Kronen erhalten sollte. Die Publikation erschien noch in Andræs Sterbejahr 1928 unter dem Titel Det tredie Køn (Das dritte Geschlecht). Es sollte die einzige Übersetzung der Broschüre noch zu Lebzeiten Magnus Hirschfelds werden.

Über die Rezeption von Det tredie Køn im skandinavischen Sprachraum liegen bislang keine Angaben vor. Es ist aber anzunehmen, dass die Aufnahme weitgehend positiv war. Im Sommer 1930 beschloss das Kopenhagener Parlament mit dem § 225 des dänischen Strafgesetzbuches die Entkriminalisierung der einvernehmlichen Homosexualität unter Erwachsenen. Der neue Paragraf trat am 1. Januar 1933 in Kraft, elf Jahre bevor in Schweden und 39 Jahre bevor in Norwegen ähnliche Gesetzesänderungen vollzogen wurden.

Schriften (Auswahl)

Tandem [d.i. Andræ, Poul] (1892): Den kontrære Sexualfornemmelse. Fragmenter til Oplysning. In: Bibliotek for Læger, S. 205-222 und 247-281.

Weiterführende Literatur

Pedersen, Karl Peder (2014): „Ich bin ein höchst vollständiges und makelloses Exemplar der Rasse und wurde deshalb auch wie ein kostbarer Schatz empfangen.” Über den dänischen Amtsverwalter Poul Andræ (1843–1928), die Konträrsexualität und die Ärzte. In: Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 16, S. 38-68.

Pedersen, Karl Peder (2021): Poul og kærligheden. En kontrærseksuels bekendelser. København: Gads Forlag.

Wolfert, Raimund (2014): Poul Andræs Briefwechsel mit dem WhK, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 50/51, S. 78-88.