Der fünfte Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE)


Am Pfingstwochenende 1958 fand in Brüssel der fünfte Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) statt. Der belgische Verein „Centre de Culture et de Loisirs“ (CCL, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“) richtete die Veranstaltung in den eigenen Räumen in der 29, Rue Jules van Praet aus, und von Seiten ausländischer Gruppierungen waren Vertreter und Vertreterinnen des niederländischen „Cultuur- en Ontspannings Centrum“ (COC), der Bremer Internationalen Freundschaftsloge (IFLO), der Berliner Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (GfRdS), der französischen Vereinigung „Le Verseau“ (dt. „Der Wassermann“), des norwegischen Verbands DNF-48 (Det Norske Forbundet av 1948) und der beiden US-amerikanischen Organisationen „Mattachine Society“ und „One“ anwesend. Für etliche Besucher war das Motto des Kongresses „World Vision on Homosexuality“ ein wenig hochgegriffen, andere verteidigten den Titel. Schließlich habe man sich gegen eine Weltausstellung behaupten müssen, die zeitgleich in Brüssel stattfand.
Im Brüsseler Versammlungssaal des CCL hatten etwa einhundert Personen Platz. Wohl auch deshalb wurde in der internen Berichterstattung angemerkt, „Symposium“ wäre wohl ein besseres Wort gewesen als „Kongress“. Nachdem sich das ICSE 1952 fast ausschließlich und seit 1956 überwiegend mit den Verhältnissen in Deutschland befasst habe, bedeute der Brüsseler Kongress des ICSE 1958 eine Wendung zum Internationalen hin, hielt „Floris van Mechelen“ (Henri Methorst), der Präsident der Vereinigung, in seiner Begrüßung an die Kongressteilnehmer fest. Die weitaus meisten von ihnen waren Männer: Etwa fünfzig kamen aus Belgien und etwa fünfzig aus dem Ausland. Frauen seien vor allem aus den nordischen Ländern angereist, heißt es in den Unterlagen. Namentlich ist von ihnen aber bislang keine bekannt.
Eine Richtungsentscheidung
Offenbar war diese Kehrtwende weg von den deutschen Verhältnissen eine Reaktion darauf, dass das ICSE während seiner Arbeit mit und für Deutschland „dort nur wenig Widerhall gefunden“ hat, so „van Mechelen“. Wie es an anderer Stelle zudem hieß, war das ICSE durch die Aufklärung der öffentlichen Meinung in Deutschland bei gleichzeitig geringer finanzieller Unterstützung aus dem Land selbst „an den Rand des Ruins“ getrieben worden. Seine Hoffnungen setzte man deshalb 1958 in die Veröffentlichung eines vollständigen Kongressberichts, mit dem ein möglichst breites Publikum erreicht werden sollte. Vermutlich dachte man dabei an eine Veröffentlichung in Englisch. Den deutschen Kongressteilnehmern blieb es überlassen, ob sie ein solches Kompendium auch in deutscher Sprache erscheinen lassen wollten.
Realisiert wurde aber schließlich weder ein englisch- noch ein deutschsprachiger Bericht, und so ist das Wissen über den Brüsseler Kongress des ICSE auch heute noch nur bruchstückhaft. Überhaupt verhallte schon die Veranstaltung selbst weitgehend ungehört. Da die Brüsseler Polizei eine Pressekonferenz zu dem Kongress untersagt hatte, wurde er zu seiner Zeit auch in der belgischen Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen. Finanziell ging der Kongress insbesondere für das niederländische COC mit einem erheblichen Minus einher.
In den folgenden Jahren wurde es auch um das ICSE selbst still. Zwar war ein weiterer Kongress der Vereinigung für 1960 in London geplant, doch auch er wurde nicht mehr realisiert. Von Seiten des COC, damals „absolut und relativ die größte Homosexuellenorganisation der Welt”, ließ das internationale Interesse nach, und man wandte sich wieder niederländischen Verhältnissen zu. Auch wollte man für die europäischen Initiativen nicht mehr finanziell aufkommen. So starb das ICSE 1964, sechs Jahre nach seinem Brüsseler Kongress, „einen sanften Tod”.
Erst mit der 1978 gegründeten Organisation International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA World), die als weltweiter Dachverband von Organisationen für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche mit Sitz in Genf (Schweiz) fungiert, betrat ein neuer, international agierender Verein, der sich für die Gleichberechtigung von LSBTI einsetzt und sich gegen entsprechende Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen wendet, die politische Bühne.
Zum Abschluss unserer Projektreihe über das ICSE
Mit dem Projektauftritt zum fünfen Kongress des International Committee for Sexual Equality ergänzen wir unsere Webauftritte zum ersten Amsterdamer ICSE-Kongress von 1951, zum Frankfurter ICSE-Kongress von 1952, zum dritten ICSE-Kongress von 1953 in Amsterdam und zum Pariser ICSE-Kongress von 1955 und schließen die Reihe ab. Da die Projektpräsentationen aber grundsätzlich offen und erweiterbar angelegt sind, nehmen wir Hinweise auf Ergänzungen und Vorschläge für Verbesserungen wie immer gerne entgegen!
Teilnehmer, Eingeladene, Unterstützer und Gäste des fünften ICSE-Kongresses in Brüssel:
Alderson, Clive (englischer Redakteur des „ICSE-Newsletters“)
Zur Biografie
Über Clive Alderson haben sich noch keine biografischen Angaben ermitteln lassen. Alderson wurde auf dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) 1958 zum Nachfolger von Johannes Werres ernannt, der von seiner Position als mehrsprachiger Redakteur des ICSE-Newsletters zurücktrat. Offenbar hatte Alderson zuvor schon als „englischer Redakteur und Redaktionsassistent“ mit Werres zusammengearbeitet.
Alderson war gebürtiger Engländer, lebte aber in Amsterdam. Über ihn nahm das ICSE auch Kontakt mit der britischen „Homosexual Law Reform Society“ (HLRS, dt. „Gesellschaft zur Reform der Homosexuellengesetzgebung“) auf, die 1958 gegründet worden war, um sich für die Entkriminalisierung homosexueller Handlungen unter Männern in Großbritannien einzusetzen. Nach dem Protokoll der ICSE-Arbeitstagung von Anfang August 1959 war Clive Alderson auch um diese Zeit noch (ehrenamtlicher) Schriftführer des ICSE-Newsletters.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Brief minutes of the business session of the I.C.S.E. at Brussels, 1958, online hier.
Anonym (1959): Protokoll der I.C.S.E.-Arbeitssitzung in Bremen (8 S.), online hier, vgl. hier insbesondere S. 3 und 5-6.
mehr …Angelo, Bob (Aktivist, Schauspieler) geb. 12.11.1913 (Amsterdam, Niederlande) gest. 27.10.1988 (Amsterdam, Niederlande)
Zur Biografie


In den wirtschaftlich schwierigen 1920er Jahren musste Niek Engelschman seine Schulausbildung abbrechen und als „Diener“ in eine jüdische Importfirma eintreten, die Warentransporte aus und in das ehemalige Niederländisch-Indien (heute Indonesien) organisierte. Engelschman engagierte sich früh politisch, er war zunächst Mitglied der sozialdemokratischen Partei und später – ab 1935 – der leninistischen Jugendgarde (LJG). Er beteiligte sich an Aktionen gegen die Jugendarbeitslosigkeit und publizierte neben einer Broschüre auch eine Oper unter dem Titel „Fascistische Terreur“ („Faschistischer Terror“), die 1936 im LJG-Bühnenclub zur Aufführung kam.
Nach eigenen Angaben wurde Engelschman im Alter von etwa 24 Jahren bewusst, dass er homosexuell war. Er nahm Kontakt mit dem Rechtsanwalt Jacob Anton Schorer (1866–1957) auf, der im niederländischen Wissenschaftlich-humanitären Komitee (NWhK) für die Legalisierung homosexueller Handlungen in seinem Heimatland kämpfte. Ab 1940 veröffentlichte Engelschman unter dem Pseudonym „Bob Angelo“ auch Artikel in der niederländischen Zeitschrift Levensrecht („Lebensrecht“), die er mitbegründet hatte und die nach der deutschen Besetzung der Niederlande eingestellt werden musste.
In den Kriegsjahren nahm Niek Engelschman Schauspielunterricht und wurde im illegalen Widerstand gegen die deutschen Besatzer tätig. Neben der Produktion und dem Vertrieb von Zeitschriften half er zusammen mit einem seiner Brüder auch jüdischen Mitmenschen, die sich versteckt halten mussten, um zu überleben.
1946 erschien die Zeitschrift Levensrecht erneut, und Engelschman engagierte sich jetzt auch im neu entstandenen Shakespeareclub, der später in Cultuur- en Ontspanningscentrum (COC, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“) umbenannt wurde. Zusammen mit Jaap van Leeuwen (1892–1978) führte Engelschman 1949 in den Niederlanden das Wort „homofilie“ ein.
Engelschman war bis Anfang der 1960er Jahre das öffentliche Gesicht des COC in den Niederlanden. Er war Leiter des Amsterdamer COC-Büros, Herausgeber der Vereinszeitschrift Vriendschap („Freundschaft“) und erster Vorsitzender des Vereins. Als er 1962 von seinen Ämtern zurücktrat, wurde er zum Ehrenvorsitzenden des COC ernannt.
Beruflich führte er seine Arbeit als Schauspieler und Theaterschauspieler bis zu seinem Tod fort. Engelschman trat auch in niederländischen Filmen und Fernsehserien auf.
Als posthume Ehrung führte das COC 1991 die Bob-Angelo-Medaille ein, die ihren Namen nach dem Pseudonym Engelschmans trägt. Seitdem wird diese Medaille an Personen oder Organisationen verliehen, die zur schwul-lesbischen Emanzipation beigetragen haben. Ebenfalls 1991 wurden in den Niederlanden mehrere Straßen und ein Park nach Engelschman benannt. Auch die Brücke über die Keizersgracht, die im Zentrum von Amsterdam zum Homomonument führt, heißt heute „Niek Engelschman Brücke“.
Weiterführende Literatur
Stokvis, Benno J. (1939): De homosexueelen. 35 autobiographieën. Lochem: De Tijdstroom, S. 49-53.
Warmerdam, Hans und Pieter Koenders (1987): Cultuur en Ontspanning. Het COC 1946–1966. Utrecht: Interfacultaire Werkgroep Homostudies.
Warmerdam, Hans (2002), Engelschman, Nico (1913–88), in: Aldrich, Robert und Garry Wotherspoon (Hrsg.): Who’s Who in Contemporary Gay & Lesbian History. From World War II to the Present Day. London/New York: Routledge, S. 124-126.
Warmerdam, Hans (2013): Engelschman, Nico (1913–1988), in: Biografisch Woordenboek van Nederland.
mehr …Bramlev, Holger (Rechnungsprüfer) geb. 24.6.1906 (unbekannter Ort) gest. 6.7.1987 (Frederiksborg, Dänemark)
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Über den Lebensweg von Holger Bramlev liegen nur wenige Angaben vor. Bramlev wurde 1952 Vorsitzender des dänischen „Forbundet af 1948“ (F-48, dt. „Verband von 1948“), nachdem er hier vorher schon als Kassierer tätig gewesen war. Er hatte das Amt bis 1958 inne. Für einige Zeit war er auch Redakteur der dänischen „homophilen“ Zeitschrift Pan. Bramlev wohnte in Søborg, etwa zehn Kilometer nordwestlich von Kopenhagen.
1954 entwickelte Holger Bramlev ein politisches Programm für den dänischen „Verband von 1948“, das er als eine mögliche gemeinsame Richtschnur für alle Homosexuellen und Bisexuellen in Skandinavien verstand. Bei Bramlevs „Manifest“ handelte es sich um einen radikalen sexualpolitischen Entwurf, der „gleiche Rechte für alle“ forderte und ein Schutzalter von 14 oder 15 Jahren vorschlug. Männliche Prostitution galt diesem Entwurf zufolge nicht als Problem. Bramlev behauptete vielmehr, ein Junge aus „schlechtem Elternhaus“ könnte von einer Beziehung mit einem homosexuellen Mann profitieren, wenn er von diesem „erzogen und unterrichtet“ würde, um dann „anständige“ Arbeit zu finden. Bramlev verschickte sein „Manifest“ an eine Reihe von Experten, Schauspieler und andere Prominente in ganz Dänemark, um Unterstützer zu finden, doch niemand reagierte auf sein Schreiben.
1958 wurde Holger Bramlev zum ersten Schatzmeister des International Committee for Sexual Equality (ICSE) gewählt.
Literatur
Axgil, Axel und Helmer Fogedgaard (1985): Homofile kampår. Bøsseliv gennem tiderne. Rudkøbing: Forlaget Grafolio.
Edelberg, Peter (2024): From criminal radicalism to gay and lesbian lobbyism. A transnational approach to the Scandinavian homophile movement, 1948–1971, in: Scandinavian Journal of History (Jg. 49), Nr. 4, S. 513-536, online hier.
Møller Leisner, Jacob (2025): Seksualitet som strategi, En undersøgelse af seksualitetsbegrebets dobbeltrolle i dansk LGBT+-aktivismes tidlige historie, in: Culture and History Student Research Papers (Jg. 9), Nr. 1, S. 21-31.
mehr …Brusselmans, Robert (Dr. med., Mediziner, Gründer des belgischen CCL)
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„Robert Brusselmans“ war das Pseudonym von Dr. Robert Lemal, dem Gründer des belgischen „Homopilenvereins“ „Centre de Culture et de Loisirs” (CCL, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum”), der 1954 nach niederländischem Vorbild entstand. Lemal war ausgebildeter Mediziner, durfte aber wegen Kollaboration mit den deutschen Besatzern zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Belgien nach 1945 nicht mehr als Arzt arbeiten. Er leitete stattdessen ein medizinisches Laboratorium.
Inspiriert durch den 1953er Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) hatte „Suzan Daniel“ (d.i. Suzanne De Pues, 1918–2007) Ende 1953 eine erste belgische Vereinigung für homosexuelle Männer und Frauen in Belgien gegründet. Ihr Name lautete „Centre Culturel Belge” (CCB, dt. „Belgisches Kulturzentrum”). De Pues strebte zunächst eine Zusammenarbeit mit Robert Lemal an, doch bei einem öffentlichen Treffen im Herbst 1954 kam es zu einem Eklat: Lemal erhob sich von seinem Stuhl und erklärte, er wolle sich nicht von einer Frau „herumkommandieren” lassen. De Pues fühlte sich gedemütigt, löste das CCB auf und zog sich von jeglicher Zusammenarbeit mit homosexuellen Männern und Frauen ihrer Zeit zurück.
Robert Lemal gründete daraufhin das CCL, das nie über den Status eines kleinen privaten Clubs herauswuchs. Es richtete vornehmlich Abendveranstaltungen für seine Mitglieder aus und unterhielt einen „Studienzirkel” und eine Theatergruppe. Politische Aktionen und Vorstöße in die belgische Mehrheitsgesellschaft wurden nicht unternommen. Das CCL organisierte zwar auch den Brüsseler ICSE-Kongress von 1958, unterließ es dabei aber, belgische Wissenschaftler einzuladen. Da die Brüsseler Polizei zudem eine Pressekonferenz zu dem Kongress untersagt hatte, wurde die Veranstaltung zu ihrer Zeit in der belgischen Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen.
Um 1958 fungierte „Robert Brusselmans“ auch als Vizepräsident des ICSE.
1963, zum zehnjährigen Jubiläum des CCL, wurde er durch Odon Guelton (?–1972) als erster Vorsitzender der Vereinigung abgelöst. Weitere biografische Angaben zu „Robert Brusselmans” alias Robert Lemal liegen bislang nicht vor.
Weiterführende Literatur
[Diverse] (1957): Glückwünsche aus aller Welt, in: Der Kreis (Jg. 25), Nr. 9, S. 18-22, hier S. 20.
Hellinck, Bart (2003): Il y a 50 ans. La préhistoire du mouvement gay/lesbien belge, in: Het ondraaglijk besef. Nieuwsbrief van Het Fonds Suzan Daniel, Nr. 9, S. 4-10, online hier.
mehr …Carlberg, Gösta Albert (Schriftsteller) geb. 23.9.1909 (Norrköping, Schweden) gest. 13.3.1973 (Stockholm, Schweden)
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Auf dem Pariser Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) hielt Carlberg einen Vortrag unter dem Titel „Structural Constellation of Childhood and of Adult Personality among 300 Homosexuals in Stockholm“. Die Untersuchung, über die er referierte, war im Auftrag der schwedischen Hauptstadt durchgeführt worden, wie es im Periodical Newsletter des ICSE hieß.
Nach Angaben Göran Söderströms hatte Gösta Albert Carlberg bereits 1937 einen ersten Auftrag erhalten, „die Ursachen und die Ausbreitung der Homosexualität“ in Schweden zu untersuchen. Damals soll er insgesamt 1.133 homosexuelle Männer befragt haben. 1956 erhielt Carlberg den für die damalige Zeit hohen Betrag von 12.000 Schwedischen Kronen, um seine Forschungen fortzuführen, und er suchte über die schwedische „Homophilenzeitschrift“ Följeslagaren („Der Gefährte“) nach Versuchspersonen. Mittels einer Chromosomenuntersuchung wollte er eine angeblich angeborene Weiblichkeit bei homosexuellen Männern feststellen. Seine Beschäftigung mit dem Thema resultierte aber in kaum mehr als einem Artikel und einigen Vorträgen für den damaligen schwedischen „Nationalen Verband für sexuelle Gleichberechtigung“ (Riksförbundet för Sexuellt Likaberättigande, RFSL).
Auch für den 1958er Kongress des ICSE in Brüssel war Gösta Albert Carlberg als Redner angekündigt worden. Sein Vortrag sollte „Results and Conclusions of an Investigation concerning the Personality Structure of Homosexuals“ heißen. Wegen Krankheit konnte Carlberg an dem Kongress aber nicht teilnehmen.
Weiterführende Literatur
[Anonym] (1955): Program of the Fourth International Congress for Sexual Equality, in: Periodical Newsletter. Nr. 7 (Oktober 1955), S. 1-3, online hier.
[Anonym] (1958): Den internasjonale kongress, S. 3, online hier, siehe auch hier.
Carlberg, Gösta (1954): Das Lied von Laïos und Chrysippos [Ausschnitt aus „Den sparade ynglingen“, aus dem Schwedischen übertragen von Gert Lantman; mit einer kurzen biografischen Einführung], in: Der Kreis (Jg . 22), Nr. 9, S. 5-8.
Carlberg, Gösta (1954): Dein Bild [Gedicht, aus dem Schwedischen von Hans Weil], in: Der Kreis (Jg. 22), Nr. 9, S. 9.
Söderström, Göran (1999): Föreningsliv, in: Söderström, Göran u.a. (Hrsg.): Sympatiens hemlighetsfulla makt. Stockholms homosexualla 1860–1960. Stockholm: Stockholmia Förlag, S. 648-677, hier S. 662.
Wasniowski, Andréaz (2007): Den korrekta avvikelsen. Vetenskapsanvändning, normalitetssträvan och exkluderande praktiker hos RFSL, 1950–1970. Umeå: Förlaget Holzweg, S. 109.
mehr …Dungen, Karel van (Zweiter Schatzmeister des ICSE)
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Der Niederländer Karel van Dungen war Zweiter Schatzmeister des International Committee for Sexual Equality (ICSE) und nahm in dieser Funktion am 1958er Kongress der Vereinigung in Brüssel teil. Zu ihm haben sich noch keine biografischen Angaben ermitteln lassen.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Vorläufige Tagesordnung der 8. Jahresversammlung des ICSE in Brüssel, online hier.
mehr …Gerhard, Kurt (Abgesandter der Berliner GfRdS)
Zur Biografie
An dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) nahm auch ein Mitglied der Berliner Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (GfRdS) teil. Nach handschriftlichen Aufzeichnungen von Dermot Mack lautete sein Name Kurt Gerhard. Gerhard fungierte auch als Beisitzer des ICSE. Über seine Identität und Biografie haben sich noch keine Angaben ermitteln lassen. Das Berliner Adressbuch von 1957 kennt vier Männer namens Kurt Gerhard. Möglicherweise war Gerhard aber auch nicht sein Familienname, sondern ein zweiter Vorname. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass es sich um ein Pseudonym handelte.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Vorläufige Tagesordnung der 8. Jahresversammlung des ICSE in Brüssel, online hier.
Anonym (1958): Brief minutes of the business session of the I.C.S.E. at Brussels, 1958, online hier.
mehr …Halkema Kohl, Joseph Frederik (Dr., Soziologe) geb. 24.4.1899 (Surabaya, Indonesien)
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Über Joseph Frederik [Frits] Halkema Kohl liegen heute nur wenige Angaben vor. Er wurde am 24. April 1899 in Surabaya im damaligen Niederländisch-Indien geboren. Auf dem Pariser Kongress des International Committee for Equality (ICSE) hielt er 1955 einen Vortrag unter dem Titel „Mensch, Moral und Menschenrechte“, und offenbar ergriff er auch auf dem Brüsseler Kongress des ICSE drei Jahre später das Wort. Er hatte einen Doktor-Titel und wohnte in der frühen Nachkriegszeit in Den Haag (Niederlande).
Joseph Frederik Halkema Kohl war kein Arzt, sondern ursprünglich Wirtschaftswissenschaftler. 1923 hatte er in Rotterdam erfolgreich ein Examen in „Handelsökonomie“ abgelegt. Im Jahr darauf trat er in die niederländische Marine ein, und wenig später fungierte er als Vorsitzender der niederländischen „Vereeniging vor Staatkunde“ („Vereinigung für Staatskunde“) an der Handelshochschule in Den Haag. In den Unterlagen des ICSE wurde er auch als Soziologe bezeichnet.
In den 1930er Jahren lebte Joseph Frederik Halkema Kohl offenbar im niederländisch-indischen Batavia, heute Jakarta (Indonesien), wo er für das niederländische Außenministerium tätig wurde und in wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften Artikel etwa über die „belgisch-niederländisch-luxemburgische Wirtschaftskooperation“, die „japanischen Exportvereinigungen“ und andere wirtschaftspolitische Sachfragen veröffentlichte. Offenbar trat Halkema Kohl auch in Theaterstücken auf. So verkörperte er in Ben van Eysselsteijns „De gendarm van Europa“ (Die Gendarmen von Europa) 1938 den russischen Gouverneur Boris Iwalowski in der („niederländisch-indischen“) „Stadsschouwburg“ in Batavia. Zwischen 1942 und 1945 war Joseph Frederik Halkema Kohl niederländischer Kriegsgefangener in Japan.
Um 1957 figurierte ein gewisser „Frits Halkolm“ neben „Floris van Mechelen“ (Henri Methorst) und anderen als Herausgeber des zweimonatlich erscheinenden ICSE-Newsletter. Möglicherweise handelte es sich bei ihm um Joseph Frederik Halkema Kohl.
Weiterführende Literatur
[Anonym] (1938): „De Gendarm van Europa“. Eerste Opvoering door Nederlandsche en Indische Tooneelvereeniging, in: Het Nieuws van den Dag, 10.12.1938 (Jg. 43, Nr. 283, zweites Blatt).
Engelschman, Niek (1955): Menschenrechte und Ursprung der Moral. Der 4. Kongress des I.C.S.E., in: Der Kreis (Jg. 23), Nr. 12, S. 20-21.
ICSE-Sekretariat (1954): Protokoll der Arbeitssitzung des I.C.S.E., (Internationales Komitee für Sexuelle Gleichberechtigung), den 23., 24. und 25. Okt. 1954 in Kopenhagen, S. 1-19 [unterzeichnet „J. H.“].
Weissenhagen, Norbert [d.i. Johannes Werres] (1958): 5. Internationaler Congress des ICSE in Bruxelles. Eine übernationale Tagung zur Lösung eines übernationalen Problems, in: Der Kreis (Jg. 26), Nr. 5, vordere und hintere Umschlagseite [Nachdruck aus „Newsletter“, Mai 1958].
mehr …Kruisen, Bert van (Zweiter Sekretär des ICSE)
Zur Biografie
Der Niederländer Bert van Kruisen war der Zweite Sekretär des International Committee for Sexual Equality (ICSE) und nahm 1958 am Brüsseler Kongress der Vereinigung teil. Zu ihm haben sich noch keine biografischen Angaben ermitteln lassen.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Vorläufige Tagesordnung der 8. Jahresversammlung des ICSE in Brüssel, online hier.
mehr …Last, Jef (Schriftsteller und Journalist) geb. 2.5.1898 (Den Haag, Niederlande) gest. 15.2.1972 (Laren, Niederlande)
Zur Biografie


1918 nahm Jef Last ein Studium der chinesischen Sprache an der Universität in Leiden auf. Er brach das Studium aber schon im Folgejahr ab, um seinen Wehrdienst bei der Marine zu absolvieren. Anschließend wurde er in vielen Berufen tätig, so etwa in einer Kunstseidenfabrik, und er verbrachte auch mehrere Monate in den USA.
Von 1923 bis 1938 war Last (zum ersten Mal) mit der Lehrerein Ida ter Haar (1893–1982) verheiratet und wurde Vater von drei Töchtern. Im Lauf der 1920er Jahre radikalisierte er sich politisch. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel in niederländischen Zeitschriften wie Het Volk, De Socialistische Gids und Eenheid, veröffentlichte aber auch erste Gedichte. Seinem ersten Buch Verzen (1926) sollten zahlreiche weitere Bücher mit Gedichten, Prosa, Artikeln und Reportagen folgen.
Unzufrieden über die Politik der SDAP gegenüber Niederländisch-Indien, engagierte sich Last immer stärker im antikolonialen und revolutionären Kampf, und 1930 löste er sich von der SDAP. Stattdessen wurde er vorübergehend Mitglied der Revolutionären Sozialistischen Partei (RSP, Revolutionair-Socialistische Arbeiderspartij). Last setzte sich zusammen mit seiner Frau in verschiedenen Organisationen praktisch für die Entwicklungsarbeit und die Unterstützung schwer erziehbarer Kinder ein. Anfang der 1930er Jahre war er auch Redakteur der Zeitschrift De Baanbreker und veröffentlichte zusammen mit anderen einen Aufruf zur Schaffung von revolutionärer Literatur. Erstes konkretes Ergebnis dieses sich selbst und anderen auferlegten Zieles war sein Theaterstück Hollands Welvaren (1935).
Nach einem Bruch mit der RSP konzentrierte sich Jef Last ganz auf sein schriftstellerisches Schaffen, und in den folgenden Jahren legte er jedes Jahr regelmäßig einen neuen Roman, einen Band Gedichte sowie Dutzende von Artikeln in nationalen wie internationalen Zeitungen und Zeitschriften vor.
In den 1930er Jahren war Jef Last stark von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und Veränderungen in der Sowjet-Union beeindruckt. Er begann, als niederländischer Referent bei der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller in Moskau zu arbeiten, unternahm eine große Reise durch den Ural und wurde schließlich Mitglied der Kommunistischen Partei der Niederlande (CPN).
Last reiste auch häufig nach Paris, um deutschen Flüchtlingen zu helfen, und er freundete sich mit französischen Schriftstellern wie André Malraux (1901–1976) und André Gide (1869–1951) an. Unter Gides Einfluss schrieb er den Roman Zuiderzee (1934), in dem er zum ersten Mal das Thema Homosexualität aufgriff. Mit Gide zusammen unternahm der bisexuelle Last auch eine weitere Reise in die UdSSR.
Last beteiligte sich zusammen mit seinem deutsch-baltischen Freund, dem Hochstapler und Schriftsteller Harry Domela (1904/5–1979), der seinerzeit als „der falsche Prinz“ bekannt war, an Kämpfen im Spanischen Bürgerkrieg. Er distanzierte sich aber innerlich immer weiter von der dort betriebenen kommunistischen Politik. Als ihn ein Kriegsgericht Ende 1937 zum Tode verurteilte, gelang es Last, nach Skandinavien zu fliehen, wo er unter anderem von Willy Brandt (1913–1992) unterstützt wurde, indem dieser ihn als Dolmetscher arbeiten ließ.
1940 erschien Jef Lasts dokumentarischer Roman über Skandinavien Kinderen van de middernachtszon (Kinder der Mitternachtsonne), und im selben Jahr gründete er in den Niederlanden zusammen mit anderen die illegale Zeitschrift De Vonk. Ab 1942 lebte er in dem von den Deutschen besetzten Land weitestgehend in der Illegalität.
Nach dem Zweiten Weltkrieg heiratete Jef Last erneut Ida ter Haar, nachdem die Ehe zwischen beiden 1938 geschieden worden war. Er engagierte sich jetzt zunächst für den Jugendaustausch zwischen Deutschland und den Niederlanden, doch reiste er 1950 auf Einladung des indonesischen Politikers und Unabhängigkeitskämpfers Mohammed Hatta (1902–1980) auch nach Indonesien, wo er drei Jahre blieb. Er arbeitete hier als Lehrer an einer Schule auf Bali.
Nach seiner Rückkehr in die Niederlande bestritt Jef Last seinen Lebensunterhalt hauptsächlich als Journalist und Schriftsteller. In zahlreichen Vorträgen berichtete er von seiner umfassenden Reisetätigkeit und seinen politischen Erfahrungen. An der Universität in Hamburg schloss er schließlich sein 1918 begonnenes Studium der chinesischen Sprache ab und promovierte 1957 mit einer Dissertation über den chinesischen Dichter Lu Hsün (Lu Xun, 1881–1936), den Begründer der modernen chinesischen Literatur, dessen Werke bis Ende der 1980er Jahre in China verboten waren.
Nach wie vor reiste Jef Last viel, und er veröffentlichte groß angelegte Reportagen über Länder wie Japan, Südkorea und China. Er kehrte aber auch nach Spanien zurück und veröffentlichte 1966 ein Buch unter dem Titel Mijn vriend André Gide (Mein Freund André Gide). Nach einem internen Bericht des International Committee for Sexual Equality (ICSE) nahm Jef Last 1958 am Brüsseler Kongress der Organisation teil und beteiligte sich an diversen Diskussionen im Anschluss an die Vorträge.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Jef Last im niederländischen Laren, wo er am 15. Februar 1972 an Krebs starb.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Brief Minutes of the Business Session of the I.C.S.E. at Brussels, 1958, S. 5, online hier.
Franke, Wolfgang (1972): Jef Last †, in: NOAG. Zeitschrift für Kultur und Geschichte Ost- und Südostasiens, Nr. 112, S. 5, online hier.
Wester, Rudi (2021): Bestaat er een raarder leven dan het mijne? Jef Last, 1898–1972. Amsterdam: Prometheus.
Wester, Rudi (2021): LAST, Josephus Carel Franciscus, in: Biografisch Woordenboek van het Socialisme en de Arbeidersbeweging in Nederland (BWSA) 8, S. 141-146, online hier.
Wester, Rudi und Elke Weesjes (2023): The many lives of writer Jef Last (1898–1972). Anti-fascist, socialist, humanist and gay rights activist, in: Twentieth Century Communism, Nr. 25, S. 126‑156.
mehr …Liehr, Heinz (Journalist, Dressman) geb. 24.1.1917 (Berlin) gest. 11.9.1990 (Positano, Italien)
Zur Biografie
Heinz (Fritz Siegfried) Liehr wurde am 24. Januar 1917 in Berlin-Neukölln geboren. Über seinen frühen Lebensweg ist so gut wie nichts bekannt, so ist auch nicht belegt, ob und zu welchem Beruf er sich ausbilden ließ. Um 1950 lernte Liehr den Hamburger Konstitutionsbiologen Willhart S. Schlegel kennen, der nach einer Tuberkuloseinfektion zeitweise pflegebedürftig war. Die beiden gingen eine Lebensbeziehung ein, die indes 1984 im Streit zerbrach.
Insbesondere in den Anfangsjahren ihrer Beziehung übte Liehr verschiedenen Tätigkeit für Schlegel aus, so war er als sein Assistent, Privatsekretär und Chauffeur tätig. In einer dieser Funktionen dürfte er Schlegel auch auf den Brüsseler Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) begleitet haben, wo dieser einen Vortrag hielt.
Auf dem Kongress begegneten Liehr und Schlegel dem Journalisten Johannes Werres kennen, und bald gingen die drei eine private wie berufliche Dreiecksbeziehung ein. Ab etwa 1960 wohnten sie gemeinsam im hessischen Kronberg (Taunus), wo Schlegel als selbsternannter Leiter eines von ihm gegründeten „Instituts für Konstitutionsbiologie und menschliche Verhaltensforschung“ fungierte. Liehr und Werres unterstützten Schlegel bei seiner Arbeit und schrieben zahlreiche Artikel und Beiträge für die deutschsprachige Homophilen- und Schwulenpresse. Heinz Liehr bediente sich dabei mehrerer Pseudonyme, von denen „Rico di Positano“ das bekannteste war. Unter diesem „Namen“ veröffentlichte er auch softpornografische Erzählungen. Im Übrigen war er als Dressman für deutsche und niederländische Modefirmen tätig, und zusammen mit Johannes Werres übersetzte er Bücher aus dem Niederländischen.
Anfang der 1980er Jahre besuchte Ralf Dose Heinz Liehr und Johannes Werres in Kronberg, weil die beiden der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft ursprünglich einen Teil ihres Archivs verkaufen wollten. Dazu ist es dann aber aus finanziellen und anderen Gründen nicht mehr gekommen. Als die Beziehung zwischen Heinz Liehr und Willhart S. Schlegel 1984 zerbrach, zogen Liehr und Werres nach Italien und ließen sich in Positano südlich von Neapel nieder. Um ihr Lebensende rankten sich lange Zeit Gerüchte und Vermutungen. So hieß es, beide seien 1990 plötzlich verschwunden. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, ob sie einem Verbrechen oder einem Unfall zum Opfer gefallen waren.
Weder das eine noch das andere war richtig. Heinz Liehr starb am 11. September 1990 in Positano, knapp vier Monate nach seinem Freund und Lebensgefährten Johannes Werres. Die sterblichen Überreste der beiden wurden in zwei getrennten, aber benachbarten Ossarium-Nischen der Kapelle auf dem Friedhof in Positano beigesetzt.
Weiterführende Literatur
Hergemöller, Bernd-Ulrich (2010): Werres, Johannes, in: Hergemöller, Bernd-Ulrich (Hrsg.): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum (zwei Bände). Münster/Berlin: Lit-Verlag, S. 752.
Kay, Ernest. Hrsg. (1986): The International Authors and Writers Who’s Who (10. Ausgabe). Cambridge (GB): International Biographical Centre, S. 380.
Werres, Johannes (1990): Als Aktivist der ersten Stunde. Meine Begegnungen mit homosexuellen Gruppen und Zeitschriften, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte (Jg. 3), Nr. 1, S. 33-51.
Internetquellen
Scheda anagrafica sepolture [Registerblatt zur Beisetzung], auf der Website der Gemeinde Positano: positano.sa.it.
mehr …Mack, Dermot (Jurist) geb. 29.11.1914 (Bergen, Norwegen) gest. 18.2.2001 (Oslo, Norwegen)
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Als die norwegische Aktivistin Turid Eikvam Dermot Mack 1984 für Løvetann interviewte, erwähnte er auch die Kongresse des ICSE, an denen er teilgenommen hatte. Dass er gebürtig aus Bergen stammte, sollte Eikvam in der Zeitschrift aber nicht festhalten, offenbar um seine Anonymität zu wahren. Lachend erzählte er, dass er einst ein deutsches Buch von Anfang des Jahrhunderts gelesen habe, in dem es hieß, Homosexualität sei besonders in West-Norwegen weit verbreitet. Er konnte sich allerdings nicht mehr an den Namen des Autors erinnern. Es handelte sich um Magnus Hirschfelds Die Homosexualität des Mannes und des Weibes von 1914, in dem Hirschfeld mitteilte, ein „vielgereister Uranier“, der als Sach- und Fachkundiger gelten könne, habe ihm erzählt, dass Bergen „die homosexuellste Stadt der Welt“ sei (ebd. S. 534).
Das Exemplar des Plakats vom Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE), das sich heute im Schwulen Museum in Berlin befindet, geht auf Dermot Mack zurück. Er muss es seinerzeit mit nach Oslo genommen haben. Als Dauerleihgabe der norwegischen Aktivistin Karen-Christine Friele (1935–2021) kehrte es 1997 nach Deutschland zurück.
Auch die überwiegend deutschsprachigen Materialien zum ICSE aus den 1950er Jahren, die das norwegische Arkivverket 2025 digitalisierte und damit online zugänglich machte, stammen aus dem Nachlass von Dermot Mack.
Weiterführende Literatur
Dermot Mack i opptak fra 1984 [mit Transkription], auf: Skeivt Arkiv.
Hector [d.i. Dermot Mack] (1986): International Committee for Sexual Equality og 1950-årene, in: Løvetann (Jg. 10), Nr. 1, S. 30-31, und Nr. 2, S. 2.
Wolfert, Raimund (2010): Auf Freundschaft und Treue. Ein schlesisches Freundschaftsglas im Schwulen Museum Berlin, in: Invertito (Jg. 12), S. 24-39, hier S. 29-30.
Archivalien
Det Norske Forbundet av 1948/Landsforeningen for Lesbisk og Homofil Frigjøring, AV/RA-PA-1216/F/Fb/L0001: ICSE, 1951–1959.
mehr …Mageno, Bill (US-amerikanischer Abgesandter)
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Bill Mageno war Abgesandter der beiden US-amerikanischen Organisationen „Mattachine Society“ und „One“ und wurde 1958 in dieser Funktion als Teilnehmer an dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) angekündigt. Zu ihm haben sich noch keine biografischen Angaben ermitteln lassen.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Vorläufige Tagesordnung der 8. Jahresversammlung des ICSE in Brüssel, online hier.
mehr …Martensen-Larsen, Oluf (Dr. med., Arzt, Psychiater) geb. 3.12.1912 (Kopenhagen, DK) gest. 18.4.2000 (vermutl. Kopenhagen, DK)
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Schon in den 1940er Jahren hatte sich Martensen-Laren mit dem damals neu entwickelten Präparat Antabus beschäftigt, das in der Behandlung von Alkoholikern eingesetzt wurde. Später arbeitete er mit dem Präparat Apomorphin. Martensen-Larsen erkannte früh, dass eine medikamentöse Behandlung allein nicht ausreiche, sondern dass zusätzlich eine psychosoziale Betreuung nötig sei. 1948 gründete er die dänische Interessenorganisation für Patienten „Ring i Ring“ (dt. „Ring im Ring“).
Auf dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexuality (ICSE) hielt Oluf Martensen-Larsen 1958 einen Vortrag unter dem Titel „The Difference between the Family Constellation in Homosexuality and Other Psychological Deviations“. Offenbar trat er hier in weiblicher Begleitung auf – mit seinem „lady-collaborator“, wie es in den Unterlagen des ICSE hieß. Die Organisation kündigte den Vortrag intern mit der Wiedergabe eines entsprechenden Artikels an, den Martensen-Larsen im Jahr zuvor in der Zeitschrift Acta Genetica et Statistica Medica veröffentlicht hatte und in dem er sich unter anderem auf die Forschungen des deutschen Rassenhygienikers Theobald Lang (1898–1957) bezog. Hier behauptete Martensen-Larsen unter anderem, Homosexualität sei in der Mehrheit der Fälle „eine psychologische Folge davon, dass Kinder in einer ungesunden, unisexuellen Atmosphäre aufwachsen.“
Zusammen mit der dänischen Journalistin Kirsten Sørrig (geb. 1957) schrieb Oluf Martensen-Larsen später das Buch Forstå dit ophav og bliv fri (1989, dt. „Verstehe deine Herkunft und werde frei“), das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und ihn auch international bekannt machte. Auf Deutsch erschien das Buch 1991 unter dem Titel „Große Schwester, kleiner Bruder. Prägung durch die Familie“.
Oluf Martensen-Larsen war mit Else Martensen-Larsen (1911–1996) verheiratet, die ab 1962 mit dem Dienstgrad Oberst in der dänischen Luftwaffe tätig war. Sie schuf das dänische „weibliche Fliegerkorps“ (Kvindeligt Fyverkorps). Oluf Martensen Larsen starb am 18. April 2000, vermutlich in Kopenhagen, und wurde neben seiner vier Jahre vor ihm verstorbenen Frau auf dem „Snesere Kirkegård“ in Næstved, etwa 100 km südwestlich von Kopenhagen, beigesetzt.
Schriften (Auswahl)
Martensen-Larsen, Oluf (1957): The Familiy Constellation and Homosexualism, in: Acta Genetica et Statistica Medica, Nr. 7, S. 445-446, schriftliche Wiedergabe im ICSE-Newsletter hier.
Martensen-Larsen, Oluf und Kirsten Sørrig (1991): Große Schwester, kleiner Bruder. Prägung durch die Familie. Wie man Schlüsselereignisse in der eigenen Familiengeschichte erkennen, interpretieren und für den eigenen Lebensweg nutzen lernt. Mit einem Vorwort von Peter Kutter. Bern u.a.: Scherz.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): [Ankündigung des Vortrags von Oluf Martensen-Larsen], in: ICSE Periodical Newsletter, Nr. 4 (April 1958), S. 1-2, online hier, mit anschließender Zusammenfassung (2 S.), online hier.
Anonym (1958): Brief minutes of the business session of the I.C.S.E. at Brussels, 1958, online hier.
Martensen-Larsen, Annette (2016): My Father Oluf Martensen-Larsen, auf: Apomorphine, a forgotten treatment for alcoholism.
Torp, Niels (2000): Martensen-Larsen, Oluf [Kurzeintrag], in: Den danske Lægestand (17. Ausg.). København: Lægeforeningens forlag, S. 1270.
mehr …Mechelen, Floris van (Aktivist) geb. 12.4.1909 (Den Haag, Niederlande) gest. 10.8.2007 (Laren, Niederlande)
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Henri Methorst studierte zunächst Jura, brach aber das Studium vorzeitig ab, um in der Folge durch Asien zu reisen. Nach seiner Rückkehr in die Niederlande lernte er die spirituelle Lehre des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti (1895–1986) kennen, die zeit seines Lebens von großer Bedeutung für ihn bleiben sollte. Wenn Krishnamurti in den Niederlanden war, fungierte Methorst auch als dessen Übersetzer.
1933 gründete Henri Methorst zusammen mit einem befreundeten Ehepaar den Verlag De Driehoek, in dem Bücher von umstrittenen Autoren wie Henry Miller und D. H. Lawrence erschienen. Ab 1934 wurde hier auch die Zeitschrift Perspectieven van Wordende Cultuur (dt. „Perspektiven einer werdenden Kultur“) verlegt, in der Artikel zu Themen wie Theosophie, Vegetarismus, Abstinenz, Homosexualität und moderne Kultur behandelt wurden. Während der Zeit des Zweiten Weltkriegs dienten die Räumlichkeiten des Verlags zum Teil als Unterkunft für untergetauchte Juden in den von den Deutschen besetzenden Niederlanden.
1946 gehörte Henri Methorst zu den Gründern des niederländischen COC, das heute die älteste noch bestehende LSBTIQ-Vereinigung der Welt ist. Methorsts zentrale Forderung war, dass Homosexuelle nicht länger als krank betrachtet werden sollten, und er verknüpfte die Agitation für ihre Rechte mit der Emanzipation der Frau und den Menschenrechten im Allgemeinen. In den

Henri Methorst starb am 10. August 2007 in der Gemeinde Laren nordöstlich von Hilversum.
In einem kurzen Beitrag für den Periodical Newsletter wertete Henri Methorst den Frankfurter Kongress des ICSE als großen Erfolg. Er schrieb, der „Sexus“ dürfe nicht mehr nach alten Maßstäben gemessen werden, da er nicht mehr in erster Linie der Fortpflanzung, dem Staat und der Familie diene. Unverheiratete Männer und Frauen, Menschen mit „eigenartiger Begabung“ sowie „männliche Frauen und weibliche Männer“ könnten eine „eigene Funktion und Erfüllung“ in der menschlichen Gesellschaft finden. Wichtig sei es, dass sie lernten, die Hemmnisse zu überwinden, die die überkommene Kultur ihnen auferlegt hatte, um Lebensfreude, Gefühlsreife und Verantwortungsbewusstsein zu erlangen – und damit auch der sozialen Gemeinschaft dienen zu können. Die „homoerotische Veranlagung“ sei etwas Natürliches und ein Problem nur insofern, als sie in einem Konflikt mit einer „zurückgebliebenen“ und „teilweise erstarrten“ Kultur und Gesellschaft stehe.
Weiterführende Literatur
Grubb, Page und Rob Pistor (1981): Henri Methorst. Laten we een internationaal comité oprichten, in: Sek (Jg. 11), Nr. 4, S. 11-13.
Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1952): Die Bewegung für sexuelle Gleichberechtigung. Ihre Wege und Ziele, in: Periodical Newsletter , [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 13-14 [siehe hier auch S. 2-3].
Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1952): Perspektiven der Bewegung für sexuelle Gleichberechtigung. Ihre Wege und Ziele, in: Der Kreis (Jg. 20), Nr. 10, S. 7-8 [mit einer redaktionellen Anmerkung von „Rolf”].
Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1953): Derde internationale congres voor sexuele rechtsgelijkheid. Gastvrouw: de Nederlandse vereniging C.O.C., in: Vriendschap (Jg. 8), Nr. 10 (Oktober 1953), S. 2-4.
Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1953): Dritter internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung, in: Periodical Newsletter, [Nr. 13: Congress Issue, Kongresznummer, Numéro du congrès], (Oktober 1953), S. 126-130.
Renders, Hans und Paul Arnoldussen (2003): Henri Methorst bleek Een Hunner, in: Renders, Hans und Paul Arnoldussen: Jong in de jaren dertig. Interviews. Soesterberg: Uitgeverij Aspekt (erweiterte Neuauflage), S. 125-132.
mehr …Neumann, Nikodemus (Dr. jur., Straf- und Völkerrechtler aus Hamburg)
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Bis heute hat sich nicht ermitteln lassen, wer sich hinter dem Namen „Nikodemus Neumann“ verbarg. Vermutlich handelte es sich um ein Pseudonym, das durch das Kürzel „N. N.“ (Nomen nominandum) motiviert war, das sich aus seinen Initialen ergibt.
„Nikodemus Neumann“ hat in den 1950er Jahren mehrere Beiträge für die Hamburger „Homophilenzeitschrift“ Humanitas geschrieben, und bei der Gelegenheit wurde er als „bekannter Straf- und Völkerrechtler“ bezeichnet. 1958 trat „Neumann“ auf dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) als Vertreter des Hamburger Griffin-Verbandes auf. Dieser wurde von Dr. Albrecht D. Dieckhoff (1896–1965) gegründet, und es liegt nahe anzunehmen, dass „Nicodemus Neumann“ eben identisch mit Dieckhoff war oder zumindest aus dessen direktem Umfeld stammte. Wie Dieckhoff benutzte „Neumann“ den Titel „Dr. jur.“
Über den Griffin-Verband, der sich für die Straffreiheit einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen unter Erwachsenen einsetzte, ist heute nur wenig bekannt. Vorsitzender war der Hamburger Gastwirt Fritz Schwenke, dessen Lebensdaten auch noch nicht ermittelt sind, und als Sekretär fungierte „L. Ahrens“ mit der Anschrift „Dorotheenstraße 123, Hamburg 39“. 1958 beantragte „Nikodemus Neumann“ für den Griffin-Verband die Aufnahme in das ICSE, doch wurde der Antrag vorerst abgelehnt, da über die Gruppierung seinerzeit kaum etwas bekannt war und man erst sehen wollte, wie sie arbeitete.
Eine Person namens „L. Ahrens“ unter der Anschrift „Dorotheenstraße 123“ in Hamburg lässt sich über die städtischen Adressbücher von 1958 nicht nachweisen. Fritz Schwenke war ab 1962 wieder Besitzer und Betreiber des Hamburger „Homosexuellenlokals“ Stadtcasino am Großneumarkt, das er 1949 selbst gegründet hatte.
Schriften (Auswahl)
Neumann, Nikodemus (1954): Menschenrechtskonvention und erotische Freiheit, in: Humanitas (Jg. 2), Nr. 3, S. 71-73.
Neumann, Nikodemus (1954): Ehe und Personenstandsgesetz, in: Humanitas (Jg. 2), Nr. 4, S. 119-120.
Neumann, Nikodemus (1954): Die Laster und der Staat, in: Humanitas (Jg. 2), Nr. 5, S. 162-163.
Neumann, Nikodemus (1955): Bereich und Grenzen humanitärer Ziele, in: Humanitas (Jg. 3), Nr. 2, S. 418-419.
Neumann, Nikodemus (1957): § 175 StGB weiterhin umstritten. Warnung vor Überbewertung des Karlsruher Entscheids, in: Der Weg (Jg. 7), Nr. 8, S. 229-230.
Weiterführende LIteratur
Anonym [d.i. vermutlich Mack, Dermot] (1958): Den internasjonale kongress [Norwegisch], S. 4, online hier.
Anonym (1960): Mein ist die Rache, spricht der Herr, in: Der Weg (Jg. 10), Nr. 6, S. 141-142.
Anzeige des Hamburger Stadtcasino (1962), in: Der Kreis (Jg. 30), Nr. 1, [S. 37] und weitere.
Lorenz, Gottfried (2010): Hamburg als Homosexuellenhauptstadt der 1950er Jahre. Die Homophilen-Szene und ihre Unterstützer für die Abschaffung des § 175 StGB, in: Pretzel, Andreas und Volker Weiß (Hrsg.): Ohnmacht und Aufbegehren. Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik (Geschichte der Homosexuellen in Deutschland nach 1945, 1). Hamburg: Männerschwarm Verlag, S. 117-151, hier S. 140.
Prien, Wolf (1965): Ein ehrenvolles Andenken [über Albrecht D. Dieckhoff], in: Der Weg (Jg. 15), Nr. 8, S. 192.
mehr …Santori, Giacomo (Prof., Dr. med., Arzt, Sexualforscher) geb. 1905 (unbekannter Ort) gest. 1979 (Rom, Italien)
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Prof. Dr. Giacomo Santori war ein italienischer Sexualforscher und Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, außerdem war er bekennender Katholik. 1958 arbeitete er am „Istituto di Genetica Medica e Gemellologi Gregorio Mendel“ (dt. „Institut für medizinische Genetik und Zwillingsforschung Gregor Mendel“) in Rom. Er war ursprünglich eingeladen worden, einen Vortrag auf dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexuality (ICSE) 1958 zu halten, doch war er kurzfristig verhindert, an dem Kongress teilzunehmen. Sein Vortrag wurde stattdessen vorgelesen.
Giacomo Santori war über die Zwillingsforschung zur Beschäftigung mit dem Thema Homosexualität gekommen. Er berief sich unter anderem auf den deutsch-amerikanischen Psychiater und Genetiker Franz Josef Kallmann (1897–1965) und ging davon aus, Homosexualität sei angeboren und nicht erworben. Er hatte in eigenen Forschungen herausgefunden, dass, wenn der eine von eineiigen Zwillingen homosexuell war, dies in der Regel auch bei dem anderen der Fall sei.
1959 wurde Giacomo Santori Direktor des neugegründeten „Centro Italiano di Sessuologia“ (CIS, dt. „Italienisches Zentrum für Sexologie“) in Rom, das medizinisch-moralische Probleme im Bereich der Sexualität untersuchte, entweder anhand von Fragebögen oder durch direkten Kontakt mit den Patienten (mit systematischer Erstellung von Krankenakten). Da das Zentrum vielfältige Hilfe und Unterstützung durch Priester und Ordensleute erhielt, die sich gleichzeitig aber auch an dem Begriff „Sexologie“ störten, verzichtete es darauf, in seinem Namen das Adjektiv „katholisch“ zu führen.
Giacomo Santori hatte offenbar zeit seines Lebens eine negative Auffassung von Homosexualität. Noch 1963 behauptete er auf einer Konferenz zum Thema „Homosexuelle Pathologie“ in Rom, Homosexuelle seien „abnorm”, weil ihre sexuelle Orientierung im Gegensatz zur „anatomischen, physiologischen, instinktiven, rationalen und sozialen Integration zwischen Mann und Frau” stehe, die er als die „normale” menschliche Sexualität bezeichnete. Deshalb könne Homosexualität nicht als einfache Abweichung im menschlichen Verhalten betrachtet werden, unabhängig davon, wie häufig sie auch auftreten möge. Es sei Aufgabe der Medizin, Homosexualität zu behandeln.
1972 kam es in San Remo zu einem Skandal, als das „Centro Italiano di Sessuologia“ unter Giacomo Santori zu einer Tagung mit dem Titel „Abweichendes Sexualverhalten“ eingeladen hatte. Nicht nur sprachen sich die anwesenden Referenten für sogenannte Korrektivtherapien im Fall von Homosexualität aus, es wurde auch ausführlich über medizinische Eingriffe referiert, in denen es darum ging, die homosexuelle Orientierung von Patienten „durch stereotaktische Behandlungen des Hypothalamus“, also durch chirurgische Eingriffe im Gehirn, zu verändern. Als es darüber zu öffentlichen Protesten kam, sah sich Santori genötigt, auf diese einzugehen. Er verteidigte indes die präsentierten Formen der „Behandlung“ in Fällen von Homosexualität, da sie „nur für diejenigen gedacht“ seien, die sie beantragten.
Die Proteste, die eine Gruppe von homosexuellen „Abweichlern“ 1972 in San Remo organisiert hatte und die letztlich zum frühzeitigen Abbruch des Sexologen-Kongresses um Giacomo Santori führten, gelten heute als erste Pride-Demonstration Italiens.
Schriften (Auswahl)
Santori, Giacomo (1958): Génétique et Gémellologie dans l’étude éthiopathogénétique de l’homosexualité [dt. „Genetik und Zwillingsforschung in der ätiopathogenetischen Untersuchung der Homosexualität“], kurze Zusammenfassung seines Vortragsmanuskripts für den ICSE-Kongress in Brüssel (3 S., französisch), online hier.
Santori, Giacomo (1958): Compendio di Sessuologia. Roma: Edizioni Orrizonte Medico.
Santori, Giacomo (1960): Omosessualità, in: Associazione Medici Cattolici Italiani, Sessualità e Medicina. Roma: Edizioni Orizzonte Medico, S. 91-100.
Santori, Giacomo (1963): Introduzione, in: Aspetti patogenici dell’omosessualità. Atti del convegno, Roma 11–12 maggio 1963. Torino: Minerva Medica, S. 7-16.
Santori, Giacomo (1972): Editoriale. Libertà e scelta del comportamento sessuale, in: Sessuologia (Jg. 13), Nr. 3, S. 137-138.
Weiterführende Literatur
Bolognini, Stefano (2020): La nascita dell’orgoglio [dt. „Die Geburt des Stolzes“], auf gay.it.
La Pietra, Olindo (1979): Giacomo Santori. Un confronto difficile, in: Minerva Medica (Jg. 70), Nr. 8, S. 635-636.
Mora Gaspar, Víctor (2023): Sanremo 1972. Los frentes de liberación homosexual contra el discurso de la psiquiatría. Textos en disputa, protesta y acción colectiva, in: Pasado y Memoria, Nr. 26, S. 403-426, online hier.
Wanrooij, Bruno P. F. (2001): „The Thorns of Love“. Sexuality, syphilis and social control in modern Italy, in: Davidson, Roger and Lesley A. Hall: Sex, Sin and Suffering. Venereal disease and European society since 1870 (Routledge Studies in the Social History of Medicine, 11). London and New York: Routledge, S. 137-159, hier vor allem S. 154, online hier.
mehr …Schlegel, Willhart Siegmar (Dr. med., Arzt, Sexualforscher) geb. 13.8.1912 (Bad Soden) gest. 25.1.2001 (Kronberg)
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Willhart Siegmar Schlegel wurde am 13. August 1912 im hessischen Bad Soden geboren. Nach dem Besuch des Reformgymnasiums in Frankfurt-Höchst nahm Schlegel, der 1932 der NSDAP beigetreten war, ein Studium der Humanmedizin in Frankfurt (Main) auf. Noch als Student wurde er 1937 Mitarbeiter am Institut für Erbbiologie unter Othmar von Verschuer (1896–1969). Er wurde damit ein Kollege des Anthropologen und späteren Kriegsverbrechers Josef Mengele (1911–1979). Im Folgejahr, 1938, promovierte Schlegel zum Dr. med.
Während des Zweiten Weltkriegs diente Willhart S. Schlegel als Arzt in der deutschen Luftwaffe. Dabei infizierte er sich mit der Tuberkulose und musste sich in der frühen Nachkriegszeit einer längeren Behandlung unterziehen. Seine Facharztausbildung schloss er 1948 in der Nordsee-Klinik auf der Insel Sylt ab.
Um 1950 lernte Willhart S. Schlegel seinen Lebenspartner Heinz Liehr kennen, der ihm über dreißig Jahre als Assistent, Privatsekretär und Chauffeur zur Seite stand. Wohl auf dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE), den beide besuchten, begegneten sie dem Journalisten Johannes Werres, und gemeinsam lebten die drei in der folgenden Zeit in einer privaten wie beruflichen Dreiecksbeziehung. Ab etwa 1960 wohnten sie gemeinsam im hessischen Kronberg (Taunus), wo Schlegel als selbsternannter Leiter eines von ihm gegründeten „Instituts für Konstitutionsbiologie und menschliche Verhaltensforschung“ fungierte. 1984 zerbrach allerdings die Beziehung zwischen Schlegel und Liehr, woraufhin sich Werres und Liehr im italienischen Positano niederließen. Willhart S. Schlegel starb am 25. Januar 2001 an seinem angestammten Wohnsitz, in Kronberg.
Willhart S. Schlegel ging davon aus, dass Homosexualität angeboren und damit die Bestrafung ihrer Ausübung ungerechtfertigt sei. Er war aber auch überzeugt, dass es eine Korrelation zwischen den sexuellen Neigungen bzw. dem sexuellen Verhalten eines Menschen und seiner körperlichen Konstitution, insbesondere beim Beckenumfang und der Beschaffenheit des Handrückens, gebe. 1957 legte er das Buch Körper und Seele vor, das wohl auch Anlass dafür war, dass er zu dem Brüsseler Kongress des ICSE eingeladen wurde. Hier hielt Schlegel einen Vortrag unter dem Titel „Konstitutionelle Grundlagen der Homosexualität des Menschen“, in dem er auch auf die „Intersexualitätstheorie“ Magnus Hirschfelds Bezug nahm.
1967 gab Willhart S. Schlegel das Buch Das große Tabu mit Zeugnissen und Dokumenten zum „Problem der Homosexualität“ heraus, in dem aus dem weiteren Umfeld des ICSE neben Johannes Werres auch Rolf Italiaander und Albrecht D. [Freiherr von] Dieckhoff (1896–1965) zu Wort kamen (vgl. den Eintrag zu „Nikodemus Neumann“).
Schriften (Auswahl)
Schlegel, Willlhart S. (1957): Körper und Seele. Eine Konstitutionslehre für Ärzte, Juristen, Pädagogen und Theologen. Stuttgart: Enke.
Schlegel, Willhart S. (1958): Sexualstrafrecht und Homosexualität [Nachdruck aus Schlegels Buch Körper und Seele], in: Der Kreis (Jg. 26), Nr. 5, S. 1-3, mit einer redaktionellen Bemerkung auf S. 3.
Schlegel, Willhart S. (1958): Konstitutionelle Grundlagen der Homosexualität des Menschen, Abschrift des Redemanuskripts (6 S.) online hier, vgl. die Übersicht über die Grundthesen seines Vortrags hier.
Schlegel, Willhart S. (1962): Die Sexualinstinkte des Menschen. Eine naturwissenschaftliche Anthropologie der Sexualität. Hamburg: Rütten & Loening.
Schlegel, Willhart S., Fritz Bauer, Theodor W. Adorno u.a. (1963): Wir diskutieren Paragraph 175, in: Twen (Jg. 5), Nr. 4, S. 42-52.
Schlegel, Willhart S. Hrsg. (1967): Das große Tabu. Zeugnisse und Dokumente zum Problem der Homosexualität. München: Rütten & Loening.
Schlegel, Willhart S. (1995): Rolf. Eine zeitgeschichtliche Erzählung. Frankfurt am Main: R. G. Fischer Verlag.
Weiterführende Literatur
Mildenberger, Florian G. (2009): Willhart S. Schlegel, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.). Personenlexikon der Sexualforschung, S. 629-631.
Mildenberger, Florian G. (2023): Erben oder Erbschleicher? Die selbst berufenen Nachfolger Magnus Hirschfelds (1936-1991). In: Sexuologie (Jg. 30), Nr. 1/2, S. 49-53.
Mildenberger, Florian G. (2024): Gestrandet im Paradies. Leben und Werk des Kronberger Arztes Willhart Siegmar Schlegel. In: Jahrbuch Hochtaunuskreis (Jg. 32), S. 220-225.
Mildenberger, Florian G. (2025): Schlegel, Willhart, in: NDB-online, online hier
Mildenberger, Florian und Wolfram Setz (2003): Goethe und das Schwarzbunte oder: Konstitutionsbiologie und Literatur. Willhart S. Schlegel und Roger de Saint Privat. In: Forum Homosexualität und Literatur, Nr. 43, S. 43-55.
Werres, Johannes (1990): Als Aktivist der ersten Stunde. Meine Begegnungen mit homosexuellen Gruppen und Zeitschriften, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte (Jg. 3), Nr. 1, S. 33-51.
mehr …Werres, Johannes (Journalist) geb. 23.9.1923 (Köln) gest. 19.5.1990 (Positano, Italien)
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Johannes Werres stammte aus einem streng katholischen Elternhaus. Offenbar nahm er als Soldat in Nord-Frankreich aktiv am Zweiten Weltkrieg teil und geriet in Kriegsgefangenschaft. Um 1945 schrieb er sich für katholische Theologie an der Universität in Bonn ein. Er wollte ursprünglich Priester werden, doch als er sich zu seinen homosexuellen bzw. päderastischen Neigungen bekannte, wurde er aus dem Konvikt und dem Studium verwiesen. Nachdem er dann auch sein Elternhaus verlassen musste, verlegte er sich aufs Schreiben und wurde Reporter und Redaktionsvolontär.
Um 1949 kam er beruflich zum ersten Mal nach Hamburg und so in Kontakt mit der dortigen „homosexuellen Szene“. In der Folge schrieb er auch für zeitgenössische „Homophilenzeitschriften“ wie Der Kreis, Die Gefährten und Zwischen den anderen – allerdings unter wechselnden Pseudonymen. Die bekanntesten waren und sind noch heute „Jack Argo“ und „Norbert Weissenhagen“. Nach Aufenthalten in Freiburg/Breisgau und Washington (USA) zog er nach Frankfurt am Main, wo er als Aushilfe für die Frankfurter Neue Presse tätig wurde und bald Wolfgang E. Bredtschneider, Hans Giese und Heinz Meininger vom Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) kennenlernte.
Zurück in Hamburg wurde Johannes Werres 1954 Sekretär des „Homophilenaktivisten“ Erwin Haarmann (1915–1972), der als Vorsitzender der Hamburger Gesellschaft für Menschenrechte (GfM) fungierte, und Mitarbeiter der „Homphilenzeitschrift“ Humanitas. Doch schon bald kam es zu unüberbrückbaren Spannungen zwischen Haarmann und Werres, und von 1956 bis 1958 arbeitete dieser dann für das niederländische COC und das International Committee for Sexual Equality (ICSE). Von Amsterdam aus redigierte er einen deutschsprachigen Pressedienst unter dem Titel „ICSE-Press“ sowie den mehrsprachigen ICSE-Newsletter. Werres übersetzte zunächst englischsprachige Presseberichte und Artikel aus amerikanischen Zeitschriften wie One und Mattachine Review, dann folgten auch Übersetzungen aus dem Niederländischen.
Auf den ICSE-Präsidenten „Floris van Mechelen“ (d.i. Henri Methorst) war Johannes Werres später nicht gut zu sprechen. Er habe ihm mehrere Ämter im Vorstand des ICSE „aufgehalst“, so Werres 1990, und er selbst sei sich dabei wie ein „Prügelknabe“ vorgekommen, „mit dem man alles machen konnte“. Negativ waren im Rückblick aber überhaupt mehrere Urteile, die Werres über frühere „homophile“ Weggefährten fällte, so etwa die über Erwin Haarmann und Hans Giese.
Da er keine gültigen Aufenthaltspapiere für die Niederlande besaß, wurde Johannes Werres Anfang 1958 nach Deutschland abgeschoben. In der Folge galt er in den Niederlanden als „unerwünschte Person“. Über den Hamburger Arzt und Sexualforscher Willhart S. Schlegel lernte Johannes Werres auf dem Brüsseler Kongress des ICSE seinen späteren Lebenspartner Heinz Liehr kennen. Im Zuge seiner Freundschaft mit Schlegel und Liehr nahm Werres auch Abschied von seinen Tätigkeiten für homosexuelle Gruppen und Zeitschriften seiner Zeit und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter an Schlegels privat geführtem „Institut für Konstitutionsbiologie und menschliche Verhaltensforschung“.
Anfang der 1980er Jahre besuchte Ralf Dose Johannes Werres und Heinz Liehr in Kronberg, weil die beiden der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft ursprünglich einen Teil ihres Archivs verkaufen wollten. Dazu ist es dann aber aus finanziellen und anderen Gründen nicht mehr gekommen.
Johannes Werres und Heinz Liehr ließen sich 1984 in Positano bei Neapel (Italien) nieder. Sie bezogen eine Wohnung im Viertel Pastiniello und zogen wohl auch als Paar manche Blicke auf sich. Insbesondere an Heinz Liehr, der stets ein Haarnetz trug und sich als Autor erotischer Romane des Pseudonyms „Rico di Positano“ bediente, konnte man sich Jahre nach seinem Tod noch erinnern. Johannes Werres starb am 19. Mai 1990, sein Lebensgefährte Heinz Liehr wenige Monate später, am 11. September 1990. Ihre sterblichen Überreste wurden in zwei getrennten, aber benachbarten Ossarium-Nischen der Kapelle auf dem Friedhof in Positano beigesetzt.
Weiterführende Literatur
Argo, Jack [d.i. Johannes Werres] (1952): Kongress Impressionen, in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 19-21 [siehe hier auch S. 8-10].
Hergemöller, Bernd-Ulrich (2010): Werres, Johannes, in: Hergemöller, Bernd-Ulrich (Hrsg.): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum (zwei Bände). Münster/Berlin: Lit-Verlag, S. 1255-1257.
Werres, Johannes (1982): „Alles zog sich ins Ghetto zurück“. Leben in deutschen Großstädten nach 1945. In: Joachim S. Hohmann (Hrsg.): Keine Zeit für gute Freunde. Homosexuelle in Deutschland 1933–1969. Ein Lese- und Bilderbuch. Berlin: Foerster, S. 82-92.
Werres, Johannes (1990): Als Aktivist der ersten Stunde. Meine Begegnungen mit homosexuellen Gruppen und Zeitschriften, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte (Jg. 3), Nr. 1, S. 33-51.
Internetquellen
Scheda anagrafica sepolture [Registerblatt zur Beisetzung], auf der Website der Gemeinde Positano: positano.sa.it.
mehr …Westwood, Gordon (Psychologe, Aktivist) geb. 24.6.1919 (Leeds, Großbritannien) gest. 27.3.2014 (London, Großbritannien)
Zur Biografie
„Gordon Westwood“ war das Pseudonym des britischen Psychologen und LSBTI-Aktivisten Michael George Schofield, der am 24. Juni 1919 in Leeds, etwa 300 km nördlich von London, geboren wurde.
„Gordon Westwood“ alias Michael Schofield veröffentlichte sein erstes Buch 1952 unter dem Titel „Society and the Homosexual“. Es war das erste nicht-medizinische Buch zum Thema Homosexualität in Großbritannien, und Schofield bereute später, dass er es unter Pseudonym geschrieben hatte. Auch kritisierte er es selbst später als zu defensiv. 1960 veröffentlichte er A Minority, eine Untersuchung an 130 Homosexuellen, die wegen ihrer sexuellen Identität weder mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren noch ärztliche Hilfe für sie in Anspruch genommen hatten. Erst seine dritte größere Studie veröffentlichte Michael Schofield unter seinem eigenen Namen. Sie erschien 1965 als Sociological Aspects of Homosexuality. Ab etwa dieser Zeit engagierte sich Schofield auch öffentlich in der britischen „Homosexual Law Reform Society“.
Auf dem 1958er Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) in Brüssel hielt „Gordon Westwood“ einen Vortrag unter dem Titel „Methods Used in a Research into the Social Implications of Male Homosexuality“, der auf seinen Forschungen beruhte, die er seit 1956 für den „British Social Biology Council“ (eigentlich „National Council for Combatting Venereal Diseases“, dt. „Nationaler Rat zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“) im Rahmen der damals angestrebten Revision des britischen Strafgesetzbuches durchgeführt hatte.
Michael Schofield veröffentlichte später auch Bücher zu anderen gesellschaftspolitischen Themen wie vorehelicher Geschlechtsverkehr bei Teenagern, Geburtenkontrolle, Drogenkonsum und Gefängnisreform.
Von seinem Vater, dem Besitzer des führenden Warenhauses in Leeds, hatte Michael Schofield ein großes Vermögen geerbt, mit dem er eine gemeinnützige Stiftung gründete, und durch Spenden aus dieser Stiftung unterstützte er über Jahrzehnte hinweg kleinere Wohltätigkeitsorganisationen in ihrer Arbeit, vornehmlich auf den Gebieten Bürgerrechte und Umweltschutz.
Michael Schofield lebte seit 1953 mit seinem Partner Anthony Skyrme (1934–2022) zusammen. Die beiden gehörten 2005 zu den ersten gleichgeschlechtlichen Paaren in Großbritannien, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingingen. Die letzten Jahre seines Lebens war Michael Schofield sehr gebrechlich. Er starb am 27. März 2014 in London.
Weiterführende Literatur
Schofield, Michael G. (1965): Sociological Aspects of Homosexuality. A Comparative Study of Three Types of Homosexuals. London: Longmans.
Westwood, Gordon (1952): Society and the Homosexual. With an Introduction by Edward Glover. London: Gollancz.
Westwood, Gordon (1958): Methods Used in a Research into the Social Implications of Male Homosexuality. Manuskript des Vortrags, gehalten auf dem 1958er ICSE-Kongress, online hier (8 S.)
Westwood, Gordon (1960): A Minority. A Report on the Life of the Male Homosexual in Great Britain. With a Foreword by Sir John Wolfenden. London u.a.: Longmans, Green, and Co.
mehr …Woensel, Walter van (Erster Sekretär des ICSE)
Zur Biografie
„Walter van Woensel“ war das Pseudonym des Niederländers Walter Jacobs, der als Erster Sekretär des International Committee for Sexual Equality (ICSE) am Brüsseler Kongress der Vereinigung von 1958 teilnahm. Zu ihm haben sich noch keine biografischen Angaben ermitteln lassen.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Vorläufige Tagesordnung der 8. Jahresversammlung des ICSE in Brüssel, online hier.
mehr …Wouters-de Vries Robbé, Johanna Hermance (Bewährungshelferin) geb. 23.7.1911 (Arnheim, NL) gest. 25.1.2010 (Doorn, NL)
Zur Biografie
Zur Biografie von Johanna Hermance Wouters-de Vries Robbé liegen nur wenige Angaben vor. Sie wurde am 23. Juli in Arnheim (Niederlande) geboren und war mindestens zweimal verheiratet. Die erste Ehe, mit Hugo Willebrord Bloemers (1908-2001) wurde 1943 geschieden. Zur Zeit ihrer Eheschließung mit Bloemers war de Vries Robbé Referendarin der Niederländischen Gesellschaft für Resozialisierung. Belegt ist ferner, dass sie Ende der 1950er Jahre in Bussum und später in Utrecht gelebt hat. Von Beruf war sie Bewährungshelferin, und sie hat sich vor allem mit Fragen der Resozialisierung von Straffälligen beschäftigt.
Johanna Hermance Wouters-de Vries Robbé nahm als Angehörige einer niederländischen Studienkommission auf dem Gebiet der Homosexualität an dem Brüsseler Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) teil und verfasste anschließend einen kurzen Kongressbericht für die Zeitschrift Maandblad voor Berechting en Reclassering (dt. „Monatszeitschrift für Justiz und Resozialisierung“). In diesem Bericht stellte sie sich insbesondere kritisch zu den auf dem Kongress vorgetragenen Ausführungen von Willhart S. Schlegel und behauptete, der Däne Oluf Martensen-Larsen habe mit seiner vorgestellten Theorie das meiste Aufsehen erregt.
Nach Martensen-Larsen hätten männliche Homosexuelle ähnlich wie ihre Väter und Großväter „immer“ mehr Brüder als Schwestern, und lesbische Frauen hätten ebenso wie ihre Mütter und Großmütter mehr Schwestern als Brüder. Spöttisch fügte Wouters-de Vries Robbé hinzu, dass Martensen-Larsen im Anschluss an seinen Vortrag einen Darsteller des eingeladenen Kabarett-Ensembles angesprochen habe, weil er erfahren hatte, dass dieser unter seinen Geschwistern das jüngste Kind war. Martensen-Larsen fragte den Darsteller nach dem Alter seiner Großmutter und versuchte ihm daraufhin klarzumachen, dass ihm bei der Einstudierung seiner mit so viel Elan vorgetragenen Darbietungen sicher das Bild seiner Großmutter vor Augen geschwebt haben muss.
Johanna Hermance Wouters-de Vries Robbé schloss ihren Beitrag über den Brüsseler ICSE-Kongress mit den nüchternen Sätzen: „Auf der Abschlusssitzung wurde von den Organisatoren die Frage aufgeworfen, ob und welchen Nutzen ein Kongress wie dieser haben könne. Man war so bescheiden anzuerkennen, dass man noch in den Kinderschuhen stecke und eine Koordinierung der verschiedenen nationalen Forschungen anscheinend […] noch nicht möglich sei. Dennoch war man allgemein der Auffassung, dass diese […] Treffen fortgesetzt werden sollten, um sich über die Forschungsbemühungen in anderen Ländern zu informieren, um Fakten, Theorien, Meinungen und Gedanken auszutauschen und um persönliche Kontakte zu knüpfen.“
Auf dem Brüsseler ICSE-Kongress ist Johanna Hermance Wouters-de Vries Robbé offenbar durch ihre Fragen als kritische Kommentatorin und Beobachterin aufgefallen, wie eine entsprechende Bemerkung in den „Brief Minutes of the Business Session of the I.C.S.E. at Brussels“ nahelegt.
Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Brief Minutes of the Business Session of the I.C.S.E. at Brussels, 1958, S. 5, online hier.
Wouters-de Vries Robbé, Johanna Hermance (1958): Van een congres van en over homosexuelen, in: Maandblad voor Berechting en Reclassering (Jg. 37) Nr. 8, S. 194-195.
mehr …Weiterführende Literatur
Anonym (1958): Der Brüsseler Kongress, in: Vriendschap (Jg. 13), Nr. 5, S. 68.
Anonym (1958): Finanzbericht 1958, in: Brief Minutes of the Business Session of the I.C.S.E. at Brussels, 1958, S. 8, online hier.
Hector [d.i. Dermot Mack] (1986): International Committee for Sexual Equality og 1950-årene, in: Løvetann (Jg. 10), Nr. 1, S. 30-31, und Nr. 2, S. 2.
Hellinck, Bart (2003): Il y a 50 ans. La préhistoire du mouvement gay/lesbien belge, in: Het ondraaglijk besef. Nieuwsbrief van Het Fonds Suzan Daniel, Nr. 9, S. 4-10, online hier.
K., H. (1958): De betekenis van het i.c.s.e.-kongres, in: Vriendschap (Jg. 13), Nr. 5, S. 68-69.
Mechelen, Floris van (1958): Het komende internationale kongres, in: Vriendschap (Jg. 13), Nr. 5, S. 66.
Mechelen, Floris van (1958): Ein Wort des ICSE-Präsidenten zum Brüsseler Kongreß 1958, in: ICSE-Kurier, Nr. 4, [S. 3], online hier.
Rupp, Leila J. (2011): The Persistence of Transnational Organizing. The Case of the Homophile Movement, in: The American Historical Review (Jg. 116), Nr. 4, S. 1014-1039.
Stiftung Internationales Komitee für Sexuelle Gleichberechtigung (1958): ICSE-Kurier, Nr. 4 (Kongress-Ausgabe: brüssel ’58: bilanz der völker für eine menschlichere welt!), online hier (8 S.).
Warmerdam, Hans und Pieter Koenders (1987): Cultuur en Ontspanning. Het COC 1946–1966. Utrecht: Interfacultaire Werkgroep Homostudies, hier vor allem S. 263-275.
Weissenhagen, Norbert [d.i. Werres, Johannes] (1958): 5. Internationaler Kongress des ICSE, Bruxelles. Eine übernationale Tagung zur Lösung eines übernationalen Problems, in: Der Kreis (Jg. 26), Nr. 5, vordere und hintere Rückseite des Einbands.
Werres, Johannes (1990): Als Aktivist der ersten Stunde. Meine Begegnungen mit homosexuellen Gruppen und Zeitschriften, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte (Jg. 3), Nr. 1, S. 33-51.
Wolfert, Raimund (2011): Mehr als tanzen, tunten, schwuchteln, sich bewundern lassen. Die Internationale Freundschaftsloge (IFLO) im Kampf gegen ein „törichtes“ Gesetz, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 48, S. 29-52.
Wolfert, Raimund (2012): Zur Geschichte der Internationalen Freundschaftsloge (IFLO). Ein Nachtrag, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 49, S. 38-51.
Wouters-de Vries Robbé, Johanna Hermance (1958): Van een congres van en over homosexuelen, in: Maandblad voor Berechting en Reclassering (Jg. 37), Nr. 8, S. 194-195.
Ein Dokumentationsprojekt der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft
(work in progress)
Berlin, September 2025; letzter Stand: 14. September 2025
Beteiligte Mitarbeiter_innen: Raimund Wolfert
Die Abbildung zum 1958er ICSE-Kongress findet sich auf der Titelseite der niederländischen Zeitschrift „Vriendschap“ (Jg. 13), Nr. 5 (Mai 1958).
