Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Der Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE)

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Sieben Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und dem Ende des Zweiten Weltkriegs richtete das niederländische International Committee for Sexual Equality (ICSE) seinen zweiten internationalen „Kongress für Sittengesetze und sexuelle Gleichberechtigung” in Frankfurt am Main aus. Der Kongress fand vom 29. August bis zum 2. September 1952 unter der Teilnahme von namhaften „Medizinern, Juristen, Pädagogen und Soziologen” – die meisten von ihnen Männer – an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt statt. Zutritt zu den Veranstaltungen hatten an allen vier Tagen nur Mitglieder der dem ICSE angeschlossenen Vereinigungen, in Deutschland waren das der Frankfurter Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) und der Bremer Weltbund für Menschenrechte, der sich als Mutterorganisation der Internationalen Freundschaftsloge (IFLO) wenig später in Gesellschaft für Menschenrechte (GfM) umbenannte. Gleichwohl sollen sich etwa 250 Gäste aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, den USA und selbst Indonesien sollen zu dem Kongress eingefunden haben.

Bislang war über den Frankfurter Kongress des ICSE vom Spätsommer 1952 insbesondere im deutschen Sprachraum nur wenig bekannt. Ursprünglich sollte der Kongress in Kopenhagen ausgerichtet werden, doch dann erreichte der Frankfurter Vereinsaktivist Heinz Meininger relativ kurzfristig, dass er in seiner Heimatstadt abgehalten wurde. Angesichts der verheerenden Prozesswelle gegen homosexuelle Männer, die kurz zuvor in Frankfurt losgetreten worden war und die als „Frankfurter Homosexuellenprozesse” ein trauriges Kapitel in der Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland schrieben, galt es, ein Zeichen zu setzen, das weit über die Stadt hinaus strahlen und auch im europäischen Ausland sichtbar sein sollte. Finanziert wurde der Kongress wohl zur Hälfte mittels Spenden aus dem Umfeld der Bremer IFLO, die übrigen Gelder kamen aus dem Raum Frankfurt und den Niederlanden.

Diese Projektseite soll – ähnlich wie die zum 1953er ICSE-Kongress in Amsterdam – dazu beitragen, den Wissensstand zum Frankfurter Kongress des ICSE zu erweitern. Der Projektauftritt wird je nach Erkenntnisstand fortlaufend aktualisiert und ausgebaut, damit der Frankfurter Kongress von 1952 möglichst nuanciert und vielschichtig in der Forschungsliteratur zur zweiten deutschen sowie der übergeordneten europäischen Homosexuellenbewegung nach 1945 berücksichtigt werden kann.

Im Bemühen um eine Verstetigung der vorgebrachten Argumente und Erkenntnisse

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Anzeige zum Frankfurter Kongress des ICSE in „Die Insel“ (Jg. 2, Nr. 8, S. 39).
Im Anschluss an den Frankfurter Kongress des ICSE sollte ursprünglich ein eigener Kongressbericht erscheinen. Der Kaufmann Oskar Kertscher, seinerzeit Inhaber eines florierenden Übersetzungs- und Vervielfältigungsbüros in Hamburg, hatte sich bereit erklärt, den Bericht mit allen Redebeiträgen sowie den stenografierten Diskussionen in deutscher und englischer Sprache gratis in Druck zu bringen. Zeitweise war sogar auch von einer (gekürzten) Dokumentation in Französisch und Italienisch die Rede. Die deutschsprachige Fassung sollte ausgewählten Abgeordneten des deutschen Bundestags in Bonn sowie weiteren Persönlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Doch scheint das Vorhaben, trotz mehrfacher Anläufe über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr, nie in die Tat umgesetzt worden zu sein.

Bis heute haben sich gleichwohl sechs Ansprachen von verschiedenen Rednern während des Kongresses auch in Druckform ermitteln lassen. Sie erschienen in deutsch- und englischsprachigen Zeitschriften der „Homophilenbewegung“ und der zeitgenössischen Sexualforschung wie Die Gefährten, One und International Journal of Sexology und stammen von Autoren wie „Donald Webster Cory“ (d.i. Edward Sagarin), Joseph Klibansky, Eduard Seidl, Jarl Wagner Smitt und Hermann Weber. Bei dem Redebeitrag von Coenraad van Emde Boas handelte es sich ganz offenbar um die gekürzte Version einer seiner Veröffentlichungen des Vorjahres.

Für Hinweise auf mögliche weitere erhaltene Kongressbeiträge und -berichte wären wir unseren Lesern und Leserinnen dankbar!

Verbindungslinien zur ersten deutschen Homosexuellenbewegung

Unter den Eingeladenen zum und den Teilnehmenden am Frankfurter Kongress des ICSE waren einige, die sich noch gut an die Emanzipations- und Sexualreformbewegung von vor 1933 erinnern konnten. So erschien im Periodical Newsletter (Nr. 5/6) vom Frühsommer 1952 nicht nur ein kurzer englischsprachiger Beitrag über Hirschfeld. Eröffnet wurde der Kongress von Hermann Weber, dem Alterspräsidenten des Frankfurter VhL, der sich vor 1933 auch im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) engagiert hatte und mit Magnus Hirschfeld persönlich bekannt war. Auch August Kruhm, der mit Weber und dessen Lebenspartner befreundet war, hatte in den 1920er Jahren dem WhK angehört. Neben ihnen hatte sich einst auch der deutsch-amerikanische Neurologe Arthur Weil aus Chicago (USA) im Berliner WhK betätigt und kannte Hirschfeld noch aus der gemeinsamen Zusammenarbeit bis 1923.

Des Weiteren hatte der australisch-britische Arzt und Sexualreformer Norman Haire seinerzeit mit Magnus Hirschfeld zusammen gearbeitet. Er hatte das Berliner Institut für Sexualwissenschaft erstmals 1923 besucht und war von 1930 bis zur Auflösung 1935 Mitglied im Präsidium der Weltliga für Sexualreform (WLSR). Haire wollte ursprünglich auf dem Frankfurter Kongress des ICSE einen Vortrag halten, doch verhinderten gesundheitliche Probleme seine Anwesenheit vor Ort. Er starb wenige Tage nach dem Kongress in London. Auch der niederländische Psychiater Coen van Emde Boas war bereits in den 1920er Jahren mit Magnus Hirschfeld und Max Hodann (1894–1946) in Kontakt getreten, und 1932 vertrat er die Niederlande auf dem Kongress der Weltliga für Sexualreform in Brno.

Der schwedische Metallarbeiter Eric Thorsell hatte zwar Anfang der 1930er Jahre einige Monate zu Studienzwecken in Berlin und am Institut für Sexualwissenschaft verbracht, Magnus Hirschfeld hatte er aber nicht persönlich kennengelernt. Zu seinen Freunden zählte er jedoch fortan Felix Abraham (1901–1937).

Hoffnungsträger, Verbündete und Teilnehmende am 1952er Kongress des ICSE:

Adriaansen, Joost (Redakteur, zweiter Vorsitzender des ICSE)

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Bei dem Namen „Joost Adriaansen“ handelt es sich um ein Pseudonym des Niederländers Daan Tollenaar. Er war Redakteur des Periodical Newsletter und zeitweise zweiter Vorsitzender des International Committee for Sexual Equality (ICSE). Über seinen Lebensweg haben sich bislang noch keine Angaben ermitteln lassen.

In einem Bericht von „Floris van Mechelen“ (Henri Methorst) zum Frankfurter Kongress des ICSE in der Schweizer „Homophilenzeitschrift“ Der Kreis heißt es, „Adriaansen“ habe auf einer internen Arbeitssitzung vorgeschlagen, den Periodical Newsletter in Zukunft drucken (statt ihn wie bisher hektographieren) zu lassen: „Er soll vorläufig zweimonatlich erscheinen, etwa 24 Seiten jedesmal umfassen, nicht illustriert sein und Beiträge in drei, möglichst vier Sprachen enthalten, deren Inhalt auf die wissenschaftliche Forschung sowie auf die Arbeit des Internationalen Komitees für sexuelle Gleichberechtigung Bezug nehmen soll.“

Bezüglich der Finanzierung hätten sich der Frankfurter Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) und die Bremer Internationale Freundschaftloge (IFLO) neben dem niederländischen Cultuur- en Ontspanningscentrum (COC, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“) bereit erklärt, entsprechende Vorschusszahlungen zu leisten.

Weiterführende Literatur

Mechelen, Floris van (1952): Einen Schritt vorwärts. Bericht der internen Arbeitsversammlung des zweiten internationalen Kongresses für sexuelle Gleichberechtigung in Frankfurt am Main, in: Der Kreis (Jg. 20), Nr. 10 (Oktober 1952), [vorderer Einband und S. 29].

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Angelo, Bob (Aktivist, Schauspieler) geb. 12.11.1913 (Amsterdam, Niederlande) gest. 27.10.1988 (Amsterdam, Niederlande)

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Niek Engelschman erhält von Minister Elco Brinkman anlässlich des 40-jährigen Bestehens des COC eine Auszeichnung, 1986. Foto: Rob C. Croes.
Bei dem Namen „Bob Angelo“ handelt es sich um das Pseudonym des niederländischen Aktivisten Niek bzw. Nico Engelschman. Er wurde am 12. November 1913 als Sohn des Handelsreisenden Nathan Engelschman und dessen Frau Hendrika geb. van der Star geboren. Während der Vater einer jüdischen Kaufmannsfamilie entstammte, war die Mutter evangelisch-lutherischer Konfession.

In den wirtschaftlich schwierigen 1920er Jahren musste Niek Engelschman seine Schulausbildung abbrechen und als „Diener“ in eine jüdische Importfirma eintreten, die Warentransporte aus und in das ehemalige Niederländisch-Indien (heute Indonesien) organisierte. Engelschman engagierte sich früh politisch, er war zunächst Mitglied der sozialdemokratischen Partei und später – ab 1935 – der leninistischen Jugendgarde (LJG). Er beteiligte sich an Aktionen gegen die Jugendarbeitslosigkeit und publizierte neben einer Broschüre auch eine Oper unter dem Titel „Fascistische Terreur“ („Faschistischer Terror“), die 1936 im LJG-Bühnenclub zur Aufführung kam.

Nach eigenen Angaben wurde Engelschman im Alter von etwa 24 Jahren bewusst, dass er homosexuell war. Er nahm Kontakt mit dem Rechtsanwalt Jacob Anton Schorer (1866–1957) auf, der im niederländischen Wissenschaftlich-humanitären Komitee (NWhK) für die Legalisierung homosexueller Handlungen in seinem Heimatland kämpfte. Ab 1940 veröffentlichte Engelschman unter dem Pseudonym „Bob Angelo“ auch Artikel in der niederländischen Zeitschrift Levensrecht („Lebensrecht“), die er mitbegründet hatte und die nach der deutschen Besetzung der Niederlande eingestellt werden musste.

In den Kriegsjahren nahm Niek Engelschman Schauspielunterricht und wurde im illegalen Widerstand gegen die deutschen Besatzer tätig. Neben der Produktion und dem Vertrieb von Zeitschriften half er zusammen mit einem seiner Brüder auch jüdischen Mitmenschen, die sich versteckt halten mussten, um zu überleben.

1946 erschien die Zeitschrift Levensrecht erneut, und Engelschman engagierte sich jetzt auch im neu entstandenen Shakespeareclub, der später in Cultuur- en Ontspanningscentrum (COC, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“) umbenannt wurde. Zusammen mit Jaap van Leeuwen (1892–1978) führte Engelschman 1949 in den Niederlanden das Wort „homofilie“ ein.

Engelschman war bis Anfang der 1960er Jahre das öffentliche Gesicht des COC in den Niederlanden. Er war Leiter des Amsterdamer COC-Büros, Herausgeber der Vereinszeitschrift Vriendschap („Freundschaft“) und erster Vorsitzender des Vereins. Als er 1962 von seinen Ämtern zurücktrat, wurde er zum Ehrenvorsitzenden des COC ernannt.

Beruflich führte er seine Arbeit als Schauspieler und Theaterschauspieler bis zu seinem Tod fort. Engelschman trat auch in niederländischen Filmen und Fernsehserien auf.

Als posthume Ehrung führte das COC 1991 die Bob-Angelo-Medaille ein, die ihren Namen nach dem Pseudonym Engelschmans trägt. Seitdem wird diese Medaille an Personen oder Organisationen verliehen, die zur schwul-lesbischen Emanzipation beigetragen haben. Ebenfalls 1991 wurden in den Niederlanden mehrere Straßen und ein Park nach Engelschman benannt. Auch die Brücke über die Keizersgracht, die im Zentrum von Amsterdam zum Homomonument führt, heißt heute „Niek Engelschman Brücke“.

Weiterführende Literatur

Stokvis, Benno J. (1939): De homosexueelen. 35 autobiographieën. Lochem: De Tijdstroom, S. 49-53.

Warmerdam, Hans und Pieter Koenders (1987): Cultuur en Ontspanning. Het COC 1946–1966. Utrecht: Interfacultaire Werkgroep Homostudies.

Warmerdam, Hans (2002), Engelschman, Nico (1913–88), in: Aldrich, Robert und Garry Wotherspoon (Hrsg.): Who’s Who in Contemporary Gay & Lesbian History. From World War II to the Present Day. London/New York: Routledge, S. 124-126.

Warmerdam, Hans (2013): Engelschman, Nico (1913–1988), in: Biografisch Woordenboek van Nederland.

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Bader, Karl Siegfried (Prof., Dr. jur., Rechtshistoriker) geb. 27.8.1905 (Waldau, Schwarzwald) gest. 13.9.1998 (Zürich, Schweiz)

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Karl Siegfried Bader, 1996. Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtlichen Arbeitskreises Elzach e.V.
Karl Siegfried Bader wurde am 27. August 1905 als Sohn eines Lehrers und dessen Ehefrau in Waldau im Schwarzwald geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im Raum Donaueschingen, wo er auch das Abitur ablegte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Wien, Heidelberg und Freiburg im Breisgau wurde er 1928 zum Doktor der Rechte promoviert. Er arbeitete einige Jahre im Justizdienst des Landes Baden, wurde aber 1933 infolge der politischen Veränderungen in Deutschland entlassen. Anschließend eröffnete er eine eigene Anwaltskanzlei in Freiburg, in der er sich unter anderem für rassisch und politisch Verfolgte des Nazi-Regimes engagierte.

1937 zog sich Karl Siegfried Bader von der Anwaltstätigkeit zurück und fungierte bis 1945 als Leiter des Fürstlich-Fürstenbergischen Archivs in Donaueschingen. 1942 habilitierte er sich in Rechtsgeschichte und Kirchenrecht an der Universität in Freiburg. Da er bereits 1941 zum Militär einberufen worden war, trat er als Schreiber und Verteidiger vor Militärgerichten auf, bis er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet.

Noch 1945 wurde er von den französischen Besatzungsbehörden zum Oberstaatsanwalt berufen und ein Jahr später zum Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht Freiburg befördert. Hier machte er sich unter anderem im Zuge der Strafverfolgung von früheren NS-Tätern einen Namen. Aus Enttäuschung über die schwierigen Arbeitsbedingungen legte er jedoch schon 1951 sein Amt nieder und übernahm einen Lehrstuhl für Rechtsgeschichte an der Universität in Mainz. Zwei Jahre später wechselte er an die Universität im schweizerischen Zürich, wo er bis zu seiner Emeritierung 1975 tätig blieb.

Ob Karl Siegfried Bader 1952 am Frankfurter ICSE-Kongress teilgenommen hat, ist fraglich. Während das International Committee for Sexual Equality (ICSE) im Vorfeld des Kongresses damit warb, dass Bader eingeladen worden war, wurde seine Name in den vorliegenden Artikeln über den Kongress nicht mehr erwähnt. Angekündigt wurde der Vortrag Baders im Periodical Newsletter zunächst für Sonntag, den 31. August 1952 – unter dem Titel „Die Problematik des Paragraph 175“. In der folgenden Ausgabe des ICSE-Newsletters hingegen wurden im Zusammenhang mit dem Vortragstitel die Namen „Dr. jur. Block oder Dr. Paul Haag“ genannt.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Zweiter internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung in Frankfurt am Main, in: Periodical Newsletter, Nr. 6 (Juli 1952), S. 3.

Anonym (1952): Zweiter internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung Frankfurt am Main, in: Periodical Newsletter, [Nr. 7] (August 1952), S. 2.

Anzeige, in: Die Insel (der Freundschaft und Toleranz) 1952 (Jg. 2), Nr. 8 (August 1952), [S. 39].

Borgstedt, Angela (2009): Karl Siegfried Baders Anwaltstätigkeit in der NS-Diktatur, in: Schau-ins-Land, Nr. 128, S. 171-182.

Schott, Clausdieter (2002): Karl Siegfried Bader 1905–1998, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, Nr. 119, S. 1-14.

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Biederich, Paul Hugo (Dr. jur., Rechtsanwalt) geb. 31.12.1907 (Danzig, heute Gdańsk, Polen) gest. 26.4.1968 (West-Berlin)

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Paul Hugo Biederich wurde am 31. Dezember 1907 in Danzig-Langfuhr (heute: Gdańsk, Polen) geboren. Nach dem Schulbesuch studierte er Rechtswissenschaften und wurde 1933 an der Universität Kiel zum Dr. jur. promoviert. Bald darauf wurde er in den Dienst der Geheimen Staatspolizei übernommen, wo er es bis zum Leiter der Gestapo in Potsdam brachte. Paul Hugo Biederich war auch Mitglied der SS und erreichte hier den Rang eines Unterscharführers.

1938 wurde Paul Hugo Biederich vermutlich erstmals wegen homosexueller Beziehungen verhaftet und noch im selben Jahr wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 175 RStGB verurteilt. Seine Zugehörigkeit zur Gestapo und zur SS wurde dabei als strafverschärfend bewertet. Im Mai 1949 saß Paul Hugo Biederich wegen eines Vorwurfs nach § 175 StGB in Hamburg erneut in Untersuchungshaft.

Nach 1945 gehörte Paul Hugo Biederich zu den namhaftesten Anwälten Homosexueller in der Bundesrepublik Deutschland. Im Herbst 1949 gründete er zusammen mit dem Hamburger Geschäftsmann Oskar Kertscher eine nicht eingetragene Arbeitsgemeinschaft zur Abschaffung des Paragrafen 175 StGB. Wenig später zog Biederich nach Frankfurt am Main, wo er Hans Giese, der im Jahr zuvor nach dem Vorbild Magnus Hirschfelds sein Institut für Sexualforschung gegründet hatte, als Rechtsbeistand diente.

Als Hans Giese 1950 die erste „Sexualwissenschaftliche Arbeitstagung“ in Frankfurt ausrichtete und sich dabei zunehmender Kritik ausgesetzt sah, übernahm Biederich die Führung des 1949 ebenfalls von Giese gegründeten neuen Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), das unter seinem Vorsitz jedoch bald bedeutungslos wurde. Auch die Beziehungen zwischen Oskar Kertscher und Paul Hugo Biederich waren im Zuge von Biederichs Umzug nach Frankfurt merklich abgekühlt. Auch zwischen Giese und Biederich kam es bald zu erheblichen Spannungen und schließlich zu einem Zerwürfnis.

In einem Bericht zum Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) von 1952 heißt es, Biederich habe sich in seinem Vortrag gegen ein Rundschreiben des west-deutschen Justizministers Thomas Dehler (1897–1967, FDP) ausgesprochen, das in Fällen, in denen eine Bestrafung wegen homosexuellen Verkehrs vorliege, Polizeiaufsicht empfahl. Ein solches Vorgehen widerspreche den demokratischen Grundsätzen der Erneuerung der Justiz in der Bundesrepublik.

Belegt ist, dass Paul Hugo Biederich, der in den frühen 1950er Jahren mehrere Veröffentlichungen zur Homosexualität vorlegte, in dem Grundsatzprozess zur Strafbarkeit der Homosexualität vor dem Bundesverfassungsgericht 1957 mit Oskar Kertscher zeitweise einen der beiden Beschwerdeführer vertrat. 1966 zog Paul Hugo Biederich aus Hamburg-Rahlstedt nach Berlin-Wilmersdorf, er starb zwei Jahre später in Berlin-Wedding.

Schriften (Auswahl)

Biederich, Paul Hugo (1950): Paragraph 175. Die Homosexualität. Regensburg/Wien: F. Decker.

Biederich, Paul Hugo (1951): Entgegnung auf die Schrift „Das dritte Geschlecht“ des Amtsgerichtsrats R. Gatzweiler, Bonn. Hamburg: Grieger.

Biederich, Paul Hugo und Leo Dembicki (1951): Die Sexualität des Mannes. Darstellung und Kritik des Kinsey-Report. Regensburg/Wien: Verlag für Sexualliteratur Decker.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Dieser Kongresz, in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 15-17, hier S. 17 [siehe hier auch S. 6].

Liebeknecht, Moritz (2020): Wissen über Sex. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung im Spannungsfeld westdeutscher Wandlungsprozesse (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, 60). Göttingen: Wallstein.

Wolfert, Raimund (2015): Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (hirschfeld-lectures, 8). Göttingen: Wallstein Verlag.

Wolfert, Raimund (2017): „Was mich angeht, ich werde als ganz ungebrochenes Exemplar der Gattung Mensch in die Grube steigen.“ Otto Hug (1905–1965), ein Lebensbild, auf: LSBTTIQ in Baden und Württemberg.

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Block, John Adolf (Dr. jur., Rechtsanwalt) geb. 11.2.1908 (Frankfurt/Main)

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Wohl nachdem den Organisatoren des Frankfurter Kongresses des International Committee for Sexual Equality (ICSE) klar geworden war, dass der Mainzer Professor für Rechtsgeschichte Dr. Karl Siegfried Bader nicht zu einem Vortrag zur Verfügung stand, war neben Paul Haag kurzzeitig auch „Dr. jur. Block“ als Vortragsredner im Gespräch. Bei ihm handelte es sich offenbar um John Adolf Block, der 1936 an der Frankfurter Universität unter dem Titel „Luxemburg im Völkerbund“ seine Dissertation vorgelegt hatte und sich nach 1945 auch „Alf Block“ nannte. Über ihn und seinen Lebensweg hat sich bisher nur wenig ermitteln lassen.

John Adolf Block wurde am 11. Februar 1908 als Sohn des Malers und Grafikers Hans Alfred Block und dessen Frau in Frankfurt/Main geboren. Er besuchte bis 1928 das Reform-Realgymnasium Musterschule und studierte anschließend Jura an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in seiner Heimatstadt. Das Referendarexamen legte er am 15. Juli 1933 ab, und bevor er am 12. November 1934 den juristischen Vorbereitungsdienst antrat, arbeitete er für einige Zeit in Berlin. Danach war er in einer Frankfurter Anwaltskanzlei tätig.

Belegt ist, dass John „Alf“ Block 1950 auch während der „Frankfurter Homosexuellen-Prozesse“ als Anwalt auftrat. Wenn er denn zum 1952er Kongress des ICSE eingeladen worden war, kam er der Einladung wohl nicht nach.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Zweiter internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung Frankfurt am Main, in: Periodical Newsletter, [Nr. 7] (August 1952), S. 2.

Block, John Adolf (1936): Luxemburg im Völkerbund. Die mit dem Beitritt des Staates Luxemburg zum Völkerbund entstandenen staats- und völkerrechtlichen Probleme (Inaugural-Dissertation). Gelnhausen: Kalbfleisch.

[Brentani, Mario Heil de] (1950): Eine Million Delikte. Homosexuelle. In: Der Spiegel (Jg. 4), Nr. 48, S. 7-10, online hier.

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Bredtschneider, Wolfgang E. (Dr. med., Neurologe, Psychiater) geb. 9.1.1916 (Berlin) gest. 30.5.1973 (Frankfurt/Main)

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Wolfgang E. Bredtschneider wurde am 9. Januar 1916 als Sohn des Berliner Regierungsbaurats Walther Bredtschneider und dessen Ehefrau Agnes geb. Baumann geboren. Er wuchs in Berlin-Steglitz auf und studierte ab Herbst 1935 Medizin an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. In seiner Dissertation („Ärztliche Grundlagen zur Frage der Behandlungsduldung“) von 1941 widmete er sich der Rolle des Arztes im Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten über den eigenen Körper und den Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwesen, hier dem nationalsozialistischen Staat und dem Sozialversicherungssystem.

Vermutlich kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog Wolfgang E. Bredtschneider nach Frankfurt/Main, wo er als Militärarzt für die US-amerikanische Armee und als Neurologe tätig wurde. Anschließend praktizierte er als Facharzt für Nerven- und Gemütsleiden in der Stadt.

Im Sommer 1949 gründete Wolfgang E. Bredtschneider zusammen mit dem kaufmännischen Angestellten Heinz Meininger und anderen den Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL), der als erste Interessenvertretung Homosexueller in Frankfurt nach 1945 vor allem den Bedürfnissen seiner Mitglieder nach Unterhaltung und Selbstentfaltung nachkam. Über die Rolle, die Bredtschneider in dem Verein spielte, ist indes heute nichts bekannt.

Auf dem Ersten Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE), der 1951 in Amsterdam stattfand, hielt Wolfgang E. Bredtschneider einen Vortrag unter dem Titel „Zur Sinnfrage der Homoerotik“. Der Redetext kam wenig später in der Schweizer Zeitschrift für Homosexuelle Der Kreis zum Abdruck. Um den „Frankfurter Homosexuellenprozessen“ von 1950/51, die bundesweit für Aufsehen gesorgt hatten, von „homophiler“ Seite etwas entgegenzusetzen, wurde der zweite Kongress des ICSE 1952 in Frankfurt abgehalten. Auch hier gehörte Bredtschneider neben Hans Giese und Hermann Weber zu den Rednern.

1955 trat Wolfgang E. Bredtschneider dem vorläufigen Kuratorium des Cultuur- en Ontspanningscentrum (COC, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“, 1946–1966) in Amsterdam bei, und 1962 wurde er zum Beisitzer des Hamburger Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt, zu dessen Gründung der Schriftsteller Kurt Hiller (1885–1972) die Initiative ergriffen hatte.

Anfang der 1960er Jahre sprach sich Wolfgang E. Bredtschneider auch in Form von Leserbriefen öffentlich für die Straffreiheit des „homosexuellen Grundtatbestandes“ aus, und 1963 unterzeichnete er die Petition Hillers zur Beseitigung des Paragraphen 175 StGB .

Wohl aus gesundheitlichen Gründen – Bredtschneider litt an progressiver Multipler Sklerose, die durch Aufregungen, Frustrationen und existenzielle Sorgen beschleunigt wurde – zog er sich aber wenig später aus der Vereinsarbeit zurück. Über seine letzten Lebensjahre ist so gut wie nichts bekannt. Wolfgang E. Bredtschneider starb am 30. Mai 1973 an den Folgen seiner Erkrankung.

Weiterführende Literatur

Bredtschneider, Wolfgang E. (1951): Zur Sinnfrage der Homoerotik, in: Der Kreis (Jg 20), Nr. 7, S. 7-9, Nr. 8, S. 2-5, Nr. 9, S. 6-8, erster Teil online hier.

Bredtschneider, Wolfgang E. (1954): Über die Behandlung der Homosexualität. Eine persönliche Stellungnahme, in: Der Kreis (Jg. 22), Nr. 7, S. 2-6, online hier.

Bredtschneider, Wolfgang E. (1962): „Ist der Paragraph 175 notwendig?“ [Leserbrief] in: Frankfurter Rundschau vom 27.11.1962.

Wolfert, Raimund (2021): Bredtschneider, Wolfgang E., in: Frankfurter Personenlexikon.

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Cory, Donald Webster (Soziologe) geb. 18.9.1913 (Schenectady, USA) gest. 10.6.1986 (New York, USA)

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„Donald Webster Cory“ alias Edward Sagarin. Foto: Trudi Fuller, 1974
„Donald Webster Cory“ alias Edward Sagarin war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Professor für Soziologe und Kriminologie an der City University of New York. Er wird bisweilen als „Vater der Homophilen-Bewegung“ bezeichnet. Sein Buch The Homosexual in America von 1951 gilt als eines der einflussreichsten Werke in der Geschichte der schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung weltweit.

Edward Sagarin wurde als Sohn russisch-jüdischer Eltern in der Nähe von New York geboren. Nach einem einjährigen Aufenthalt in Frankreich, bei dem er André Gide (1869–1951) persönlich kennenlernte, besuchte der das City College of New York, musste das Studium allerdings aufgrund der Weltwirtschaftskrise vorzeitig abbrechen.

1936 ging Edward Sagarin die Ehe ein und wurde Vater eines Sohnes. In der Folge wurde er in der Parfüm- und Kosmetikindustrie tätig, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen, und 1945 veröffentlichte er ein Buch über die Parfümherstellung.

Als homosexueller Mann führte Edward Sagarin ein Doppelleben und publizierte sein Buch The Homosexual in America unter dem Pseudonym „Donald Webster Cory“. Es handelte sich um das erste Buch in den Vereinigten Staaten von Amerika, das sich mit der Politik für Homosexuelle beschäftigte und deren Situation in der Gesellschaft wohlwollend betrachtete. Sagarin forderte in ihm die Aufhebung aller Gesetze, die die sexuelle Minderheiten diskriminierten. Der Kinsey-Report von 1948 beförderte die Aufnahme von Sagarins Buch, und Sagarin selbst verhalf durch sein Engagement Organisationen wie der Mattachine Society und der Zeitschrift One zu mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung.

In einer zweiten Publikation, die Sagarin 1953 ebenfalls unter Pseudonym veröffentlichte, präsentierte er eine Anthologie von Kurzgeschichten, die sich mit dem Thema Homosexualität befassten und von Autoren wie Sherwood Anderson, Paul Bowles, Christopher Isherwood, Denton Welch und Stefan Zweig stammten.

In den 1960er Jahren schloss Sagarin ein Studium der Soziologie ab und bewarb sich um den Vorsitz der Mattachine Society, scheiterte jedoch mit seiner Bewerbung. Er verlegte sich daraufhin wieder auf seine akademische Ausbildung, die er mit einer Dissertation über die Mattachine Society abschloss. Der Titel seiner Arbeit lautete „Structure and Ideology in an Association of Deviants“. Anschließend wurde Sagarin Assistenzprofessor am Baruch College der City University of New York.

Die Identität von „Donald Webster Cory“ alias Edward Sagarin wurde erst 1974 gelüftet. Auf einem Kongress der American Sociological Association in Montreal übte Sagarin im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Theoretical Perspectives on Homosexuality“ Kritik am Wissenschaftsbetrieb seiner Zeit. In der Folge ergriff der Soziologe und Priester Laud bzw. Robert Allan Humphreys (1933–1988), der für seine Forschungen zu sexuellen Begegnungen unter Männern auf öffentlichen Toiletten (veröffentlicht als Tearoom Trade, 1970) bekannt geworden war, das Wort und sprach Sagarin mit „Mr. Cory“ an. Nach dem Kongress zog sich Sagarin aus der Forschung zur Homosexualität zurück.

An dem 1952er Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) nahm „Donald Webster Cory“ alias Edward Sagarin nicht persönlich teil. Sein Vortrag über die puritanischen Tendenzen in der US-amerikanischen Gesellschaft und den Erfolg des Kinsey-Reports wurde von Arthur Weil (1887–1969) verlesen. Er kam anschließend auch in der US-amerikanischen „Homophilenzeitschrift“ One zum Abdruck. In einem Kurzbericht, der wenig später im Periodical Newsletter zum Abdruck kam, wurde betont, dass „Donald Webster Cory“ in seinem Vortrag betont habe, nicht die „Homoeroten“ machten die Gesellschaft krank. Vielmehr schaffe die Gesellschaft Neurotiker, indem sie die Angehörigen sexueller Minderheiten unterdrücke und sie zwinge, sich hinter einer Fassade der Unterwürfigkeit zu verstecken.

Nach eigenen, späteren Angaben hat Edward Sagarin nie behaupten wollen, dass Homosexuelle geistig gesund seien. Vielmehr betrachtete er schwule Männer und lesbische Frauen als von Natur aus zwanghaft und neurotisch. Er war der Überzeugung, dass sie sich nie gut anpassen könnten. Auch zu seiner eigenen körperlichen Einschränkung – Sagarin litt an einer angeborenen Verkrümmung der Wirbelsäule – hat er offenbar nie eine akzeptierende Haltung entwickelt.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Dieser Kongresz [sic!], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 15-17, hier S. 15 [siehe hier auch S. 4].

Armstrong, Moira (2024): Donald Webster Cory, auf: Outhistory (übernommen aus: Disabled Gay and Lesbian Activists in the Homophile Movement, 1930s–1980s)

Cory, Donald Webster [d.i. Edward Sagarin] (1951): The Homosexual in America. A Subjective Approach. New York: Greenberg.

Cory, Donald Webster [d.i. Edward Sagarin] (1953): An address delivered to the International Committee for Sex Equality at the University of Frankfort [sic!], September, 1952, in: One (Jg. 1), Nr. 2, S. 2-11. [Wiederabdruck in: Ridinger, Robert B. Hrsg. (2004): Speaking for our lives. Historic speeches and rhetoric for gay and lesbian rights (1892–2000). New York (u.a.): Harrington Park Press, S. 31-40.]

S. A. (1952): [Bookreview] The Homosexual in America by Donald Webster Cory, in: Periodical Newsletter [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 10-11.

Sullivan, Gerard (2002): Cory, Donald Webster, in: Aldrich, Robert and Garry Wotherspoon (Hrsg.): Who’s Who in Contemporary Gay & Lesbian History. From World War II to the Present Day. London/New York: Routledge, S. 92-93.

Summers, Claude J. (2004): Sagarin, Edward (Donald Webster Cory) (1913–1986), auf: glbtq.com.

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Del Boca, Bernardino (Anthropologe) geb. 9.8.1919 (Crodo, Italien) gest. 9.12.2001 (Borgomanero, Italien)

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Bernardino del Boca, o.J. Mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Bernardino del Boca.
Bernardino del Boca war ein italienischer Anthropologe und Vorkämpfer der schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung, der den Titel „Graf von Villaregia und Tegerone“ führte. Nach seinem Studium der Architektur in Mailand und der Anthropologie in Genf lebte Bernardino del Boca lange Zeit in Asien, zunächst in Thailand und dann in Singapur, wo er bis 1952 als Konsul von Italien fungierte. Er war Autor des Romans La lunga notte di Singapore (dt. „Die lange Nacht von Singapur“), der 1951 mit dem Gastaldi-Nationalpreis ausgezeichnet wurde und wegen vermeintlicher „Obszönität“ einen Skandal auslöste. In ihm schilderte del Boca einen italienischen Aristokraten, der sich zu einer positiven Sicht auf seine Homosexualität durchringt.

Nach seiner Rückkehr nach Italien Anfang der 1950er Jahre wurde Bernardino del Boca Mitarbeiter der Zeitschrift Scienza e sessualità („Wissenschaft und Sexualität“) von Luigi Pepe Diaz (1909–1970), die, sobald eine Ausgabe erschienen war, von den italienischen Behörden umgehend beschlagnahmt wurde, und er bemühte sich, in Italien eine „Homosexuellenzeitschrift“ nach dem Vorbild des Schweizer Kreis zu gründen. Das Projekt unter dem Namen „Tages“, benannt nach dem gleichnamigen ewig jungen etruskischen Gott, scheiterte allerdings.

Um 1952 war del Boca der einzige italienische Vertreter des International Comittee for Sexual Equality (ICSE), und „Floris van Mechelen“ (Henri Methorst) hielt nach einer Reise durch Italien ernüchtert fest, abgesehen von del Boca dürfte sich kein weiterer wissenschaftlicher Redner aus dem Land finden, der auf einem Kongress des ICSE sprechen wolle und könne.

Noch Mitte der 1980er Jahre war Bernardino del Boca einer von nur drei italienischen Intellektuellen, die bereit waren, sich für das Buch La pagina strappata (dt. „Die zerrissene Seite“) des Historikers und Homosexuellenaktivisten Giovanni Dall’Orto zum Thema Homosexualität und Kultur interviewen zu lassen.

Weiterführende Literatur

B.d.B. [d.i. Bernardino del Boca] (1953): 3° Congresso internazionale per l’eguaglianza sessuale, in: Periodical Newsletter, [Nr. 13] (Oktober 1953), S. 142-144.

Dall’Orto, Giovanni (1985): La pagina strappata. Interviste su omosessualità e cultura. Torino: Edizioni Gruppo Abele.

Editorial (1952), in: Periodical Newsletter, Nr. 5/6 [Mai 1952], S. 1 und 8.

Loftin, Craig M. (2012): Letters to ONE. Gay and Lesbian Voices from the 1950s (SUNY Series in Queer Politics and Cultures). New York: State University of New York Press, S. 148-149.

Olzi, Michelle (2021): Bernardino del Boca, auf: World Religions and Spirituality Project.

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Dettmer, Engelbert (Aktivist) geb. 19.8.1906 (Bremen) gest. 13.2.1968 (Bremen)

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Über den Lebensweg des Schatzmeisters der Bremer „Homophilenorganisation“ Internationale Freundschaftsloge (IFLO) Engelbert Dettmer liegen heute nur wenige Angaben vor. Offenbar war sein Lebensweg von Anpassungs- wie von Emanzipationsbestrebungen geprägt, wie sie für etliche Homosexuelle seiner Generation typisch waren.

Dettmer wurde am 19. August 1906 in Bremen geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem er als Soldat teilnahm, war er als Bücherrevisor bzw. Buchhalter in seiner Heimatstadt tätig. Er war seit 1937 verheiratet und Vater eines Kindes, doch wurde die Ehe 1950 geschieden. Für die Bremer IFLO fungierte Dettmer als „Hauptlogenschatzmeister“. Von 1937 bis 1967 wohnte er als Eigentümer einer Wohnung in der Bozener Straße in Bremen, zog im Spätherbst 1967 innerhalb kürzester Zeit zweimal um und verstarb am 13. Februar 1968 im Alter von nur 61 Jahren.

Engelbert Dettmer wurde am 2. September 1952 in Frankfurt/Main in den fünfköpfigen, vorläufigen Vorstand des International Committee for Sexual Equality (ICSE) gewählt.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Bericht der internen Arbeitsversammlung (vom 2.9.1952), in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 17-19, hier S. 18.

Wolfert, Raimund (2012): Zur Geschichte der Internationalen Freundschaftsloge (IFLO). Ein Nachtrag, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 49, S. 38-51, hier S. 44.

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Driess, Ernst Ludwig (Aktivist) geb. 2.11.1903 (Darmstadt) gest. 30.12.1969 (Darmstadt)

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Ernst Ludwig Driess, 1947. Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD) Bestand H 3 Darmstadt Nr. 18475.
Der Darmstädter Psychiatriekritiker und Homosexuellenaktivist Ernst Ludwig Driess war in der frühen Nachkriegszeit ein unbeugsamer Streiter für Toleranz und Freiheit. Er war Verfasser einer (nicht erhaltenen) Denkschrift zur Homosexualität, Redakteur der Frankfurter „Homophilenzeitschrift“ Die Gefährten und ein zentraler Stichwort- und Ideengeber der bundesdeutschen „Homophilenbewegung“. Dennoch fielen er und sein Engagement bald dem Vergessen anheim.

Ernst Ludwig Driess wurde wegen gleichgeschlechtlicher Kontakte mit Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren 1936 zum ersten Mal kriminalisiert und im Jahr darauf zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Im Zuge einer Hausdurchsuchung wegen „Führerbeleidigung“ und „Zersetzung der Wehrkraft“ kamen 1944 erneut Fälle „sexueller Vergehen“ ans Licht, und Driess wurde zum zweiten Mal zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Zwar gelang ihm im Frühjahr 1945 die Flucht aus einem nationalsozialistischen Lager, dennoch war er fortan ein gezeichneter Mensch. Nachdem er 1945 die Nachprüfung der zwei während der NS-Zeit gegen ihn verhängten Strafen beantragt hatte, musste er zudem eine „Reststrafe“ von anderthalb Jahren in der Landesstrafanstalt Bruchsal (Baden-Württemberg) verbüßen.

Nach einem weiteren „Vorfall“, bei dem Driess gleichgeschlechtliche Kontakte nachgewiesen werden konnten, wurde er im Herbst 1947 als geistig Gesunder für über drei Jahre in die Heil- und Pflegeanstalt Philippshospital in Goddelau bei Darmstadt eingewiesen. Driess behauptete später, er habe sich allein durch das Vertiefen in Arbeit und durch mitmenschliche Hilfe vom Anstaltsalltag unter „Geisteskranken und Schwachsinnigen“ ablenken können.

Nach seiner Entlassung tat sich Ernst Ludwig Driess in der bundesdeutschen Presse vor allem anonym als Psychiatriekritiker hervor, er arbeitete aber auch für den Schweizer Kreis und andere Blätter der deutschsprachigen „Homophilenbewegung“. Seine Denkschrift, die er im Philippshospital ausgearbeitet hatte, sollte unter dem Titel „Sexualprobleme stehen zur Diskussion“ in Buchform erscheinen, doch lehnten alle angeschriebenen Verlage das Manuskript ab, so dass es heute als verschollen gelten muss. Der einzige Teil des Buchinhalts, der gedruckt vorliegt, ist ein Vorwort von Otto Hug (1905–1965), das 1950 als Artikel im Kreis Aufnahme fand.

Die Frankfurter Zeitschrift Die Gefährten, die 1952 von Heinz Meininger als Vereinszeitschrift des Vereins für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) ins Leben gerufen wurde, ging in Teilen auf Denkanstöße und Pläne Ernst Ludwig Driess‘ zurück, und auch der Titel „Humanitas“ der Zeitschrift der Bremer bzw. Hamburger Gesellschaft für Menschenrechte (GfM) fußte auf einem Vorschlag Driess‘. Nach eigenen Angaben war Driess ebenso eine zentrale treibende Kraft hinter Heinz Meininger und sorgte so dafür, dass der 1952er Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) überhaupt in Frankfurt ausgetragen wurde. Am ersten internationalen Kongress des ICSE, der 1951 in Amsterdam stattfand, hatte Driess nicht teilnehmen können, weil die deutschen Behörden ihm aufgrund seiner Vorstrafen einen Auslandspass verweigerten.

Im Spätsommer 1952 führte die Polizei erneut eine Hausdurchsuchung bei Driess durch, weil sie kritische Flugblätter zu einem damals stattfindenden Psychiatrieprozess vermutete, Infolgedessen konnte Ernst Ludwig Driess nur am ersten und am vierten Tag des ICSE-Kongresses in Frankfurt teilnehmen. Vom Kongressauftakt, den Hermann Weber und Eric Thorsell bestritten, zeigte er sich enttäuscht. Angetan war er aber von den Beiträgen der Rechtsanwälte Eduard Seidl und Joseph Klibansky. Gleichwohl urteilte er in einem privaten Brief wenig später resigniert: „ […] es war eigentlich nur eine Tagung von Menschen, die sich über organisatorische Fragen berieten und ein kleines Pflänzchen mit Wasser begossen, damit es nicht zugrunde geht. Ob es wachsen kann, wird erst die Zukunft beweisen.“

Weiterführende Literatur

[Driess, Ernst Ludwig:] (1951): Tagebuch aus einem Irrenhaus, in: Das grüne Blatt vom 14.1., 21.1., 28.1., 4.2., 11.2 und 18.2.1951 [Artikel in sechs Teilen].

Driess, Ernst Ludwig (1952): Falsche Moral. Die deutschen Sittengesetze, ihre Widersprüche und deren Ursache, in: freond (Jg. 2), Nr. 9, S. 4-6.

[Hug, Otto:] (1950): Ein neues Buch von Ernst Driess, Darmstadt, wartet auf seinen Verleger, in: Der Kreis (Jg. 18), Nr. 12, S. 34-35.

Wolfert, Raimund (2019): Emanzipationsbestrebungen in der Tradition Magnus Hirschfelds. Das Beispiel Ernst Ludwig Driess, in: Initiative Queer Nations (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten, S. 71-96.

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Ebermayer, Erich (Dr. jur., Schriftsteller) geb. 14.9.1900 (Bamberg) gest. 22.9.1970 (Terracina, Italien)

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Erich Ebermayer wurde am 14. September als einziges Kind des späteren Reichsgerichtsrats und Oberreichsanwalts Ludwig Ebermayer und dessen Frau Angelika geb. Bouhler in Bamberg geboren. In der mütterlichen Linie war er mit dem späteren Reichsleiter und „Chef der Kanzlei des Führers“, Philipp Bouhler (1899–1945), verwandt. Da Erich Ebermayers Vater in Leipzig tätig wurde, besuchte der Sohn die dortige Thomasschule. Nach dem Abitur studierte er Jura in Leipzig, München und Heidelberg, und nach der Promotion wurde er als Anwalt tätig. Ungefähr gleichzeitig veröffentliche Erich Ebermayer sein erstes Buch, mit dem er einen gewissen Erfolg erzielen konnte. In der Folge bestritt er seinen Lebensunterhalt als Strafverteidiger und Schriftsteller.

Erich Ebermayer veröffentlichte Romane, Novellen, Theaterstücke und Drehbücher, in denen es wiederholt auch um Homosexualität geht. Privat verkehrte er in den Kreisen um Thomas Mann (1875–1955), Gerhart Hauptmann (1862–1946) und Stefan Zweig (1881–1942). Hauptmann bezeichnete er gar als seinen „Wahlvater“. Befreundet war er ebenfalls mit dem Reformpädagogen Gustav Wyneken (1875–1964).

Dem NS-Regime stand Erich Ebermayer innerlich ablehnend gegenüber. Bereits auf der ersten Liste der verbotenen Schriften vom Mai 1933 stand eine Novelle von ihm, weitere Titel folgten auf späteren Listen. Geschützt wurde Ebermayer indes von seinem Verwandten Philipp Bouhler sowie von Fritz Todt (1891–1942), dem Reichsminister für das deutsche Straßenwesen. Über mehrere Jahre beschäftigte Ebernayer die Jüdin Emilie Heymann (1883–1945) als seine Sekretärin und half ihr mit falschen Papieren beim Untertauchen.

Andererseits verlegte sich Erich Ebermayer nach 1933 auf die Produktion eher seichter Filmdrehbücher, mit denen er weiterhin am gesellschaftlichen Leben im „Dritten Reich“ teilnehmen konnte und gut verdiente. Auch nach Ermittlungen wegen Verstößen gegen den § 175 RStGB, die gegen ihn aufgenommen wurden, verließ er Deutschland nicht, obwohl er Gelegenheit dazu gehabt hätte, sondern arrangierte sich mit den Verhältnissen. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erwarb er ein Schloss bei Bayreuth, das ihm als Rückzugsort der „inneren Emigration“ und als Refugium diente.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hob Erich Ebermayer wiederholt die Schwierigkeiten hervor, mit denen er zur Zeit der Nazi-Herrschaft zu kämpfen hatte, verschwieg dabei aber die eigenen opportunistischen Anpassungsversuche an die Vorgaben und Forderungen des Regimes. Er trat nun wieder als Anwalt auf, und etliche seiner Bücher erschienen in Neuauflagen. Daneben schrieb er neue Biographien, so etwa über Magda Goebbels (1901–1945) und Oscar Wilde (1854–1900). Eine 1947 eingegangene Ehe wurde bereits 1949 wieder geschieden, und stattdessen adoptierte Ebermayer zwei junge Männer, denen er auch seinen Namen gab.

Erich Ebermayer schrieb in den 1950er Jahren auch Drehbücher für Film und Bühne. Er baute und richtete sich ein Landhaus im italienischen Terracina zwischen Rom und Neapel ein, in dem er Teile des Jahres verbrachte. Hier verstarb er wenige Tage nach seinem 70. Geburtstag. Spekulationen darüber, dass Ebermayer ermordet wurde, stehen im Raum. Die Umstände seines Todes wurden nie ganz aufgeklärt.

Heute gilt das Werk Erich Ebermayers, trotz neuerer Funde und Veröffentlichungen einst verschollener autobiographischer Manuskripte (in den Jahren 2005 und 2024), als weitgehend vergessen. Die Teilnahme Ebermayers am Frankfurter ICSE-Kongress von 1952 wurde noch wenige Wochen vor dem Kongress mit dem Vortragstitel „Eros in der Pädagogik“ angekündigt, und zwar für Samstag, den 30. August 1952. Doch scheint Ebermayer seine Teilnahme kurzfristig abgesagt zu haben. In den vorliegenden Berichten zum Kongress wird sein Name nicht mehr erwähnt.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Der zweite Kongress I.C.S.E., in: Periodical Newsletter, Nr. 5/6 [Mai 1952], S. 8.

Anonym (1952): Zweiter Internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung in Frankfurt am Main, in: Periodical Newsletter, Nr. 6 [sic!] (Juli 1952), S. 3.

Baron, Bernhard M. (o.J.): Erich Ebermayer, auf: Literaturportal Bayern.

Ebermayer, Erich (2005): Eh ich’s vergesse …: Erinnerungen an Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Klaus Mann, Gustaf Gründgens, Emil Jannings und Stefan Zweig. Herausgegeben von Dirk Heißerer. München: Langen-Müller.

Ebermayer, Erich (2024): Jugend im Lichte des Vaters. Leipzig: Lehmstedt Verlag.

Henning, Peter (2024): Zwischen Opportunismus und Opposition. Kulturschaffende im Nationalsozialismus am Beispiel Erich Ebermayer. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.

Hergemöller, Bernd-Ulrich (2010): Ebermayer, Erich, in: Hergemöller, Bernd-Ulrich (Hrsg.): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum (zwei Bände). Münster/Berlin: Lit-Verlag, S. 278-280.

Zinn, Alexander (2018): „Aus dem Volkskörper entfernt“? Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus. Frankfurt/Main: Campus.

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Giese, Hans (Dr. med. et phil., Arzt) geb. 26.6.1920 (Frankfurt/Main) gest. 21. oder 22.7.1970 (Saint-Paul-de-Vence, Frankreich)

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Hans Giese auf dem 1953er Kongress des ICSE in Amsterdam. Unbekannter Fotograf.
Hans Giese wurde am 26. Juni 1920 als Sohn des Frankfurter Universitätsprofessors für öffentliches Recht Friedrich Giese (1882–1958) und dessen gleichaltriger Frau Annemarie (geb. Campe, 1882–1958) geboren. Er wollte zunächst Theologie studieren, um anschließend Priester zu werden, gab das Vorhaben dann aber zugunsten der Medizin auf. Gleichzeitig studierte er deutsche Philologie und Philosophie an den Universitäten in Frankfurt/Main, Jena, Marburg und Freiburg (Breisgau).

1941 trat Hans Giese in die NSDAP ein. Da er aufgrund eines Herzfehlers nicht zur Wehrmacht eingezogen wurde, konnte er sein Studium während des Zweiten Weltkriegs fortsetzen. 1943 wurde er zum Dr. phil. und 1946 zum Dr. med. promoviert. Titel seiner medizinischen Dissertation war „Die Formen männlicher Homosexualität“.

1949 gründete Hans Giese in seiner Privatwohnung in Kronberg (Taunus) das Institut für Sexualforschung, das er noch im selben Jahr nach Frankfurt verlegte. Von hier aus beteiligte sich Giese an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) und organisierte den ersten sexualwissenschaftlichen Kongress in der Bundesrepublik Deutschland. Die 1952 von Giese begründete Schriftenreihe „Beiträge zur Sexualforschung“ existiert heute noch.

Hans Giese verfasste selbst zahlreiche Nachschlagewerke und Handbücher zur Sexualwissenschaft, durch die er sich rasch zu dem „einflussreichsten Sexualwissenschaftler der Adenauer-Zeit“ im deutschen Sprachraum profilieren konnte. Er hielt wechselnde Beziehungen als kennzeichnend für den Mann und forderte eine feste Eheform auch für „Homophile“. Für derartige langandauernde Verhältnisse forderte er gesellschaftliche Anerkennung, da er überzeugt war, die gesellschaftliche Ausgrenzung und Aberkennung der Homosexualität führe zu Unbeständigkeit und Neurosen und schade damit der „Volksgesundheit“. Privat war Giese mit dem Schauspieler August Engert (1918–1969) verbunden, den er 1950 kennen gelernt hatte und der zum Teil an der Erstellung seiner Publikationen beteiligt war. Engerts Name wurde dabei aber nicht genannt.

Hans Giese bemühte sich 1949 zunächst, Magnus Hirschfelds Wissenschaftlich-humanitäres Komitee (WhK) neu zu gründen, verwarf die Pläne aber nach kurzer Zeit und distanzierte sich fortan von der nicht-akademisch motivierten „Homophilenbewegung“ seiner Zeit. 1959 zog er mit seinem Institut für Sexualforschung nach Hamburg, wobei sich seine jüngeren Assistenten im Lauf der 1960er Jahre zunehmend von Gieses Positionen distanzierten und sich durch andere Schwerpunktsetzungen selbst einen Namen machten.

Ende 1970 sollte Hans Giese eigentlich eine Gastprofessur an der Universität in Prag (Tschechien) wahrnehmen, doch dazu kam es nicht mehr. Während eines Urlaubs an der französischen Mittelmeerküste verunglückte Giese im Sommer 1970 in der Nähe von Saint-Paul-de Vence tödlich. Die Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt.

Weiterführende Literatur

Dannecker, Martin (1997): Der unstillbare Wunsch nach Anerkennung. Homosexuellenpolitik in den fünfziger und sechziger Jahren, in: Grumbach, Detlef (Hrsg.): Was heißt hier schwul? Politik und Identitäten im Wandel. Hamburg: MännerschwarmSkript-Verlag, S. 27-44.

Dannecker, Martin (2009): Hans Giese (1920–1970). In: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt am Main/New York: Campus, S. 226-235.

Kühl, Richard (2023): Giese, Hans, in: Frankfurter Personenlexikon.

Liebeknecht, Moritz (2018): Sexualwissenschaft als Lebenswerk. Zur Biografie Hans Gieses (1920–1970), in: Initiative Queer Nations (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten (Jg. 3), S. 111-132.

Liebeknecht, Moritz (2020): Wissen über Sex. Die deutsche Gesellschaft für Sexualforschung im Spannungsfeld westdeutscher Wandlungsprozesse (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, 60). Göttingen: Wallstein Verlag.

Sigusch, Volkmar (2008): Geschichte der Sexualwissenschaft. Frankfurt am Main/New York: Campus, S. 391-429.

Wolfert, Raimund (2015): Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (hirschfeld-lectures, 8). Göttingen: Wallstein Verlag.

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Guyon, René (Dr. jur., Rechtsphilosoph und Rechtsanwalt) geb. 27.5.1876 (Sedan, Frankreich) gest. 1963 (Bangkok, Thailand)

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René Guyon, 1963. Aus: Wikipedia, Public Domain.
René Guyon stammte gebürtig aus dem nordfranzösischen Sedan, unweit der Grenze zu Belgien. Er promovierte in Rechtswissenschaften an der Universität von Paris und arbeitete als Rechtsanwalt und Richter. 1908 wurde er von König Rama V. (Chulalongkorn, 1853–1910) nach Siam (heute Thailand) berufen und mit der Aufgabe betraut, im Zuge von großangelegten Reformen eine Reihe von Gesetzbüchern zum modernen Zivil- und Strafrecht zu verfassen.

1919 veröffentlichte Guyon den englischsprachigen Bericht The Work of codification in Siam („Die Ausarbeitung von Gesetzen in Siam“). Anschließend wurde er Berater des siamesischen Justizministers. 1940 nahm er die thailändische Staatsangehörigkeit an, und in der Folge wurde am Obersten Gerichtshof des Landes tätig. Sein neuer Name lautete Phichan Bunyong (thailändisch: พิชาญ บุญยง). Erst als Guyon in Ruhestand ging, ging er die Ehe mit einer jungen Frau aus Thailand ein.

Guyon reiste viel, sowohl in Europa, Nordafrika, Sibirien, China und Südostasien. In seinen Veröffentlichungen kritisierte er sowohl den Völkerbund als auch die Vereinten Nationen, die in seinen Augen nicht die Menschenrechte und die Freiheitsrechte des Einzelnen im Sinne der Französischen Revolution vertraten oder verteidigten. Als Rechtsphilosoph und Sexologe ist Guyon heute wegen seiner „Études d’éthique sexuelle“ („Studien zur sexuellen Ethik“) bekannt, die zwischen 1928 und 1947 entstanden. Mit dem neunbändigen Werk schrieb sich Guyon in eine Tradition von Autoren wie Magnus Hirschfeld, Helene Stöcker und Bertrand Russell (1872–1970) ein. Er wollte mit ihm das „alte Sexualregime“ überwinden und die Grundfreiheiten des Menschen neu überdenken. Dabei setzte er sich aber nicht nur für sexuelle Freiheit unter Erwachsenen und die Emanzipation der Frau ein, sondern sprach sich auch für geschlechtliche Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern aus.

Die ersten sechs Bände der „Studien zur sexuellen Ethik“ Guyons wurden zwischen 1929 und 1939 in Frankreich veröffentlicht, nach der deutschen Invasion des Landes aber bald verboten. Die letzten drei Bände sind bis heute unveröffentlicht. Die Originalmanuskripte befinden sich im Kinsey-Institut in Bloomington (USA).

Nach einem „Editorial“, das im Vorfeld des Frankfurter Kongresses des International Committee for Sexual Equality (ICSE) im Sommer 1952 im ICSE-Newsletter erschien, standen die Organisatoren des Kongresses in Verbindung mit René Guyon. Man bedauerte, dass er in Thailand lebte und dass man sonst keine Kontakte im französischsprachigen Raum habe.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Editorial, in: Periodical Newsletter, Nr. 5/6 [Mai 1952], S. 1.

Guyon, René (1952): Human rights, in: Periodical Newsletter, Nr. 4 [März 1952], S. 2.

Haeberle, Erwin J. (2003): Sexuelle Menschenrechte, in: ders.: Die Sexualität des Menschen. Handbuch und Atlas (2., erw. Auflage).

Mechelen, Floris van (1953): [Kurzbesprechung von] René Guyon: Cahier II. Eros ou la sexualité affranchie, in: Periodical Newsletter, [Nr. 9] (Januar 1953), S. 45-46.

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Haag, Paul (Dr. jur., Rechtsanwalt) geb. 2.6.1902 (Frankfurt/Main) gest. 1985 (unbekannter Ort)

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Über den Lebensweg des Rechtsanwalts Paul Haag haben sich bislang nur wenige Angaben ermitteln lassen, obwohl er seinerzeit als einer der bedeutendsten und angesehensten Frankfurter Rechtsanwälte galt. Haag war Mitglied der SPD und um 1953 zusammen mit seinen Berufskollegen Eduard Seidl und Erich Cohn-Bendit (1902–1959) Verteidiger des jüdischen Notars und Rechtsanwalts Joseph Klibansky, der wegen gefälschter Abtretungsurkunden in den Skandal um die jüdische Wiedergutmachungsbank Frankfurt verwickelt war.

Paul Haags Teilnahme am 1952er Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) war wohl zunächst von Seiten dessen Organisatoren angedacht worden. Einer Einladung war er dann aber offenbar nicht nachgekommen.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Zweiter Internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung, in: Periodical Newsletter, [Nr. 7] (August 1952), S. 2.

Freimüller, Tobias (2020): Frankfurt und die Juden. Neuanfänge und Fremdheitserfahrungen 1945–1990. Göttingen: Wallstein, S. 183.

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Haire, Norman (Dr. med., Arzt und Sexualreformer) geb. 21.1.1892 (Sydney, Australien) gest. 11.9.1952 (London, Großbritannien)

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Norman Haire in den 1940er Jahren. Unbekannter Fotograf. University of Sydney library.
Norman Haire wurde am 21. Januar 1892 im australischen Sydney als elftes Kind des polnisch-britischen Ehepaares Henry und Clara Zając geboren, die ihren Familiennamen in Zions geändert hatten. Bei der Einwanderung nach Großbritannien nahm Norman Zions den Namen Haire an, vermutlich um seine jüdische Herkunft zu kaschieren. In dem Namen klingt das englische Wort für „Hase“ („hare“) an, was dem polnischen „zając“ entspricht.

Nach eigenen Angaben hatte Norman Haire um 1910 in der Stadtbücherei von Sydney Havelock Ellis‘ Studies in the Psychology of Sex entdeckt, und die Lektüre inspirierte ihn, sich systematisch und eben auch hauptberuflich mit der Sexualität zu beschäftigen. In seiner Kinder- und Jugendzeit habe ihn das Thema immer mit Ängsten und Schuldgefühlen erfüllt. Fortan wollte Haire anderen helfen, wie ihm auch Ellis‘ Enzyklopädie geholfen habe.

Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums arbeitete Norman Haire zunächst an einigen australischen Krankenhäusern, wo er sich zum Facharzt für Gynäkologie ausbildete. Nachdem einer seiner Patienten verstorben war und ihm selbst ärztliches Fehlverhalten vorgeworfen wurde, wurde Haire entlassen und wanderte nach Großbritannien aus.

1920 eröffnete er in London eine gynäkologische Praxis, die ihn schnell reich und wohlhabend machte. Er bot auch sogenannte Verjüngungsoperationen nach Eugen Steinach (1861–1944) an männlichen Patienten an, die bis ins hohe Alter sexuelle Potenz und Vitalität versprachen. Einer seiner berühmtesten Patienten war der britische Schriftsteller William Butler Yeats (1865–1939).

Norman Haire wurde früh Mitglied der „British Society for the Study of Sex Psychology“, die 1913 auf Anregung Magnus Hirschfelds und nach dem Vorbild des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gegründet worden war. Haire leistete daneben kostenlose ärztliche Versorgung für notleidende Patientinnen der ersten Londoner „Birth Control Clinic“, und er widmete sich der Aufklärung über Sexualität und Empfängnisverhütung.

1923 reiste Norman Haire zum ersten Mal nach Berlin, um Magnus Hirschfeld persönlich kennen zu lernen. Er begann, Deutsch zu lernen, und beherrschte die Sprache bald perfekt. Gleichzeitig verlegte er sich auf eine Karriere als sexualwissenschaftlicher Sachbuchautor. Er bearbeitete Werke von Ludwig Levy-Lenz (1889–1966) und später Hans Giese, übersetzte sie ins Englische und ließ sie zum Teil unter Pseudonym erscheinen. Ab etwa Mitte der 1920er Jahre behauptete Haire wiederholt, dass Deutschland ihm eine geistige Heimat sei.

Im Zuge des Bombenkrieges der deutschen Wehrmacht auf London ließ sich Norman Haire wieder in Sydney nieder, kehrte jedoch nach dem Ende des Krieges nach Großbritannien zurück, um seine dortigen Tätigkeiten als Arzt und Publizist wieder aufzunehmen. Von 1948 bis zu seinem Tod 1952 gab er zudem das Journal of Sex Education heraus.

Norman Haire war spätestens ab Ende der 1930er Jahre Diabetiker und litt an einer Nierenschwäche. Seit einem Herzanfall 1950 war seine Gesundheit nachhaltig zerrüttet, so dass er am 11. September 1952 im Alter von 60 Jahren starb. Norman Haire hat nie geheiratet und war vermutlich homosexuell, obwohl er sich nie selbst zur Homosexualität bekannt hat.

Am Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) im Spätsommer 1952 konnte Haire aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr teilnehmen. Wenig später hieß es im Peridocial Newsletter, dass man den Tod Haires mit tiefstem Bedauern habe zur Kenntnis nehmen müssen. Haire, Präsident der „Sex Education Society“, Herausgeber des Journal of Sex Education und einstiger Co-Präsident der Weltliga für Sexualreform (WLSR), habe die Aktivitäten des ICSE stets mit Interesse verfolgt: Er „wollte auf dem zweiten Kongress in Frankfurt sprechen, doch eine Krankheit verhinderte bereits seine Anwesenheit. Viele Bücher sind von ihm über Sexologie veröffentlicht worden. Wir hoffen sehr, mit dem Nachfolger von Dr. Haire unseren wertvollen Kontakt fortsetzen zu können.“

Weiterführende Literatur

Forster, Frank Menzies Cameron (2006): Norman Haire (1892–1952), auf: Australian Dictionary of Biography.

Haire, Norman (1935): Magnus Hirschfeld in Memoriam, in: Marriage Hygiene (Jg. 2), Nr. 2, S. 120-122.

Haire, Norman (1965): Geschlecht und Liebe heute. München: List.

Hertoft, Preben (1990): Hvem var Norman Haire? – en kontroversiel reformist, in: Nordisk Sexologi (Jg. 8), Nr. 1, S. 77-94.

Herzer, Manfred (2009): Norman Haire (1892–1952), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 251-255.

[Kurznotiz], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 12.

Wyndham, Diana (2003): Versemaking and Lovemaking. W.B. Yeats’ “Strange Second Puberty”: Norman Haire and the Steinach Rejuvenation Operation, in: Journal of the History of the Behavioral Sciences (Jg. 39), Nr. 1, S. 25-50.

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Kertscher, Oskar (Kaufmann) geb. 25.6.1893 (Hamburg) gest. 26.4.1956 (Hamburg)

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Oskar Kertscher, um 1954. Quelle: Staatsarchiv Hamburg, 242-1 II, Abl. 13.
Oskar Kertscher wurde am 25. Juni 1893 in Hamburg geboren. Er war Kaufmann und betrieb Anfang der 1950er Jahre in seiner Heimatstadt ein florierendes Kopier- und Übersetzungsbüro, in dem auch sämtliche Drucksachen der Bremer „Homophilenorganisation“ Internationalen Freundschaftsloge (IFLO) hergestellt wurden. Dabei bezahlte Kertscher nach Angaben Dritter sein Engagement für die IFLO aus eigener Tasche.

Zwischen 1925 und 1954 war Oskar Kertscher wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen und anderer „Vergehen“ mehrfach verurteilt und inhaftiert worden. Unter anderem hatte er vier Jahre im Konzentrationslager Neuengamme verbracht. 1952 war es Kertscher, der beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen ein gegen ihn verhängtes Urteil der vierten großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts Beschwerde einlegte. Dabei wurde er von dem Hamburger Rechtsanwalt Friedrich Franz Reinhard (1915–1985) vertreten. Allerdings enthob Kertschers Tod am 26. April 1956 das Gericht der Verpflichtung, sich mit der Beschwerde zu befassen. Dass das Bundesverfassungsgericht ein Jahr später die Strafbarkeit der männlichen Homosexualität in Deutschland für rechtmäßig erklärte, erlebte Kertscher nicht mehr.

Ob Oskar Kertscher am Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) persönlich teilgenommen hat, ist nicht geklärt. Im Bericht von der internen Arbeitsversammlung des ICSE vom 2. September 1952 heißt es, ein „Hamburger Freund“ habe sich bereit erklärt, den Kongressbericht sowie alle stenografierten Diskussionen in deutscher, englischer und französischer Sprache (später war auch von einer italienischen Version die Rede) gratis in Druck zu bringen. Bei diesem „Freund“ handelte es sich um Oskar Kertscher. Im Folgejahr wurde sein Name im Periodical Newsletter auch explizit erwähnt. Der deutschsprachige Kongressbericht sollte ursprünglich ausgewählten Abgeordneten des Bundestags und anderen Persönlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Doch scheint das Vorhaben, hier Druck und Vertrieb, nie realisiert worden zu sein.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Bericht der internen Arbeitsversammlung des 2ten Intern. Kongress für Sex. Gleichber. Frankfurt/M., in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 17-19, hier S. 18.

Anonym (1953): Internal Working-Sessions of the I.C.S.E., in: Periodical Newsletter, [Nr. 13] (Oktober 1953), S. 124-125 [siehe hier auch S. 132].

Drönner, Nadine (2020): Das „Homosexuellen-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts aus rechtshistorischer Perspektive (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 115). Tübingen: Mohr Siebeck, S. 24-38.

Rosenkranz, Bernhard, Ulf Bollmann und Gottfried Lorenz (2009): Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969. Hamburg: Lambda Edition, S. 128-129.

Wolfert, Raimund (2011): Mehr als tanzen, tunten, schwuchteln, sich bewundern lassen. Die Internationale Freundschaftsloge (IFLO) im Kampf gegen ein „törichtes“ Gesetz, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 48, S. 29-52.

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Klibansky, Joseph (Dr. jur., Rechtsanwalt) geb. 10.12.1902 (Frankfurt/Main) gest. 13.12.1957 (Frankfurt/Main)

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Joseph Klibansky wurde am 10. Dezember 1902 als Sohn eines Frankfurter Schulleiters und dessen Frau geboren. Nach dem Abitur an der Wöhlerschule studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten in Frankfurt, München, Berlin und Marburg. Er legte 1924 die Referendarprüfung in Kassel und 1928 das Assessorexamen in Berlin ab. Anschließend ließ er sich als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht in Frankfurt in seiner Heimatstadt nieder.

1933 wurde ihm als Juden zunächst das Auftreten vor Gericht verwehrt, und wenig später erhielt er Berufsverbot. Joseph Klibansky musste seine Kanzlei aufgeben und übernahm die Leitung einer Textilfabrik in Aschaffenburg. Hier wurde er jedoch bereits 1934 verhaftet. Nach der Entlassung aus der „Schutzhaft“ floh er zuerst nach Frankreich, dann nach Italien, wo er als Lehrer und als Wirtschaftsberater arbeitete. Nach der Ausweisung der jüdischen Flüchtlinge aus Italien kehrte er zusammen mit seiner Frau zurück nach Frankreich.

Joseph Klibansky ließ sich 1948 erneut in Frankfurt nieder, wo er wieder als Rechtsanwalt und nun auch als Notar tätig wurde. In der frühen Nachkriegszeit vertrat er häufig jüdische NS-Opfer in ihren Wiedergutmachungsverfahren, außerdem wurde er Vorstandsmitglied der neu gegründeten Jüdischen Gemeinde. Er war indes gesundheitlich so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass er 1950 mehrere Herzinfarkte erlitt. Joseph Klibansky starb am 13. Dezember 1957, wenige Tage nach seinem 55. Geburtstag.

Laut einem Kongressbericht im Periodical Newsletter hob Joseph Klibansky auf dem Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) von 1952 hervor, dass bei einem Vergehen gegen Paragraf 175 StGB kaum die Rede von einer Verletzung eines schutzwürdigen Rechtsgutes sein könne. Der „Ungerechtsgehalt“ des Vergehens sei so gering, sofern nur Erwachsene beteiligt seien, dass eine strengere Strafe als die in einem Fall 1951 vom Hamburger Landgericht verhängte Buße von 3,- DM als „besonders grausam“ gelten müsse. Die Rede Klibanskys wurde noch 1952 in zwei Teilen in der Frankfurter „Homophilenzeitschrift“ Die Gefährten abgedruckt – laut Ernst Ludwig Driess allerdings nicht nach dem Originalmanuskript, sondern nur nach einem Stenogramm.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): „Wenn ich Sittengesetz höre, graust es mich”. Klibansky fordert niedrigste Strafe nach Paragraph 175, in: Vorderpfälzer Tageblatt, 3.9.1952 [laut Nachdruck in Der Weg].

Anonym (1952): Dieser Kongresz [sic!], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 15-17, hier S. 17 [siehe auch S. 6].

Anonym [2022]: Klibansky, Josef (Stolpersteinbiografien im Westend), auf: Frankfurt.de – Das offizielle Stadtportal.

Freimüller, Tobias (2020): Frankfurt und die Juden. Neuanfänge und Fremdheitserfahrungen 1945–1990. Göttingen: Wallstein, S. 176-186.

Klibansky, Joseph (1952): Meine Damen und Herren, in: Die Gefährten (Jg. 1), Nr. 6, S. 2-6, und Nr. 7, S. 1-3.

Rosenkranz, Bernhard und Gottfried Lorenz (2005): Hamburg auf anderen Wegen. Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt. Hamburg: Lambda Edition, S. 72-73.

Wolfert, Raimund (2019): Emanzipationsbestrebungen in der Tradition Magnus Hirschfelds. Das Beispiel Ernst Ludwig Driess, in: Initiative Queer Nations (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten, S. 71-96, hier S. 90-91.

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Kruhm, August (Journalist) geb. 26.8.1892 (Frankfurt/Main) gest. 12.3.1973 (Frankfurt/Main)

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August Kruhm wurde am 26. August 1892 in Frankfurt/Main geboren. Nach dem Besuch der Klinger-Oberrealschule ließ er sich zum Kaufmann ausbilden. Er arbeitete einige Zeit im hessischen Kassel, bevor er im Ersten Weltkrieg zum Militärdienst eingezogen wurde. Nach dem Tod seines Stiefvaters übernahm er 1926 dessen Reparaturgeschäft für Waagen und führte es bis 1939 weiter.

Schon in jungen Jahren hatte August Kruhm angefangen zu schreiben, und früh wurde er freier literarischer Mitarbeiter für eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften. Er schrieb Musikkritiken und mehr als 30 Hörspiele für den Rundfunk. Sein literarisches Debüt legte er 1925 mit einem Gedichtband vor.

August Kruhm war bereits in den 1920er Jahren Mitglied im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) Magnus Hirschfelds, und er war eng mit dem Frankfurter Vereinsaktivisten Hermann Weber und dessen Freund Paul Dalquen (1893–1975) befreundet. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde Kruhm zweimal verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt – ein Mal, weil ihm ein Verstoß gegen den § 175 RStGB zum Verhängnis wurde, und das andere Mal, weil er sich „im staatsabträglichen Sinne“ geäußert haben soll.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kruhm zunächst Feuilletonredakteur der Frankfurter Rundschau, wechselte aber bald in das Archiv der Zeitung. Nach Angaben von Kollegen und Freunden suchte er nie das Rampenlicht und lebte „zurückgezogen zwischen seinen Büchern, Schallplatten und vielfältigen Erinnerungsstücken“.

Im Rahmen der „Homophilenbewegung“ der Nachkriegszeit betätigte sich August Kruhm nachweislich ab 1948. Er schrieb Artikel für die Schweizer „Homophilenzeitschrift“ Der Kreis und später auch für die Die Gefährten, die Frankfurter Mitgliederzeitschrift des Frankfurter Vereins für humanitäre Lebensgestaltung (VhL). Hierbei veröffentlichte er seine Beiträge – was für seine Zeit ungewöhnlich ist – zum Teil unter seinem Klarnamen und oft mit der zusätzlichen Ortsangabe „Frankfurt am Main“.

August Kruhm starb am 12. März 1973, ein halbes Jahr nach seinem 80. Geburtstag, in seiner Heimatstadt Frankfurt/Main.

Weiterführende Literatur

K., A. [= August Kruhm?] (1952): Sittlichkeitsbegriff und Rechtsempfinden. 2. Internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung, in: Der Kreis 1952 (Jg. 20), Nr. 9, S. 4-5.

Wolfert, Raimund (2017): „Musik ist kein Strohhalm, der zerbricht …”. August Kruhm (1892–1973), eine bio-bibliographische Skizze. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 57, S. 47-51.

Wolfert, Raimund (2020): Kruhm, August. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe).

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Mack, Dermot (Jurist) geb. 29.11.1914 (Bergen, Norwegen) gest. 18.2.2001 (Oslo, Norwegen)

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Dermot Mack um 1988. Unbekannter Fotograf. Skeivt arkiv, Bergen: Løvetann fotoarkiv.
Als Repräsentant der norwegischen „Homophilenorganisation“ DNF-48 (Det Norske Forbundet av 1948, dt. „Der norwegische Verband von 1948“) nahm Dermot Mack am Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) teil. Mack war von 1953 bis 1958 und von 1960 bis 1962 Vorsitzender des DNF-48 und später auch Mitarbeiter der norwegischen Schwulen- und Lesbenzeitschrift Løvetann („Löwenzahn“), die von 1977 bis 2003 erschien. Dabei bediente er sich des Pseudonyms „Hector“.

Als die norwegische Aktivistin Turid Eikvam Dermot Mack 1984 für Løvetann interviewte, erwähnte er auch die Kongresse des ICSE, an denen er teilgenommen hatte. Dass er gebürtig aus Bergen stammte, sollte Eikvam in der Zeitschrift aber nicht festhalten, offenbar um seine Anonymität zu wahren. Lachend erzählte er, dass er einst ein deutsches Buch von Anfang des Jahrhunderts gelesen habe, in dem es hieß, Homosexualität sei besonders in West-Norwegen weit verbreitet. Er konnte sich allerdings nicht mehr an den Namen des Autors erinnern. Es handelte sich um Magnus Hirschfelds Die Homosexualität des Mannes und des Weibes von 1914, in dem Hirschfeld mitteilte, ein „vielgereister Uranier“, der als Sach- und Fachkundiger gelten könne, habe ihm erzählt, dass Bergen „die homosexuellste Stadt der Welt“ sei (ebd. S. 534).

Das Exemplar des Plakats vom Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE), das sich heute im Schwulen Museum in Berlin befindet, geht auf Dermot Mack zurück. Er muss es seinerzeit mit nach Oslo genommen haben. Als Dauerleihgabe der norwegischen Aktivistin Karen-Christine Friele (1935–2021) kehrte es 1997 nach Deutschland zurück.

Weiterführende Literatur

Dermot Mack i opptak fra 1984 [mit Transkription], auf: Skeivt Arkiv.

Hector [d.i. Dermot Mack] (1986): International Committee for Sexual Equality og 1950-årene, in: Løvetann (Jg. 10), Nr. 1, S. 30-31, und Nr. 2, S. 2.

Wolfert, Raimund (2010): Auf Freundschaft und Treue. Ein schlesisches Freundschaftsglas im Schwulen Museum Berlin, in: Invertito (Jg. 12), S. 24-39, hier S. 29-30.

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Mazirel, Lau (Dr. jur., Rechtsanwältin) geb. 29.11.1907 (Utrecht, Niederlande) gest. 20.11.1974 (Saint-Martin-de-la-Mer, Frankreich)

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Lau Mazirel, 1946. Unbekannter Fotograf. Sammlung: Van Gennep, International Institute of Social History (Amsterdam).
Die niederländische Juristin und Autorin Lau bzw. Laura Carola Mazirel wuchs zunächst in Gennep und dann in Utrecht auf, wo sie später auch Jura und Psychologie studierte. Neben ihrem Studium arbeitete sie als Lehrerin und Reiseleiterin.

Früh engagierte sich Lau Mazirel im Sozialdemokratischen Studentenclub (SCSE, Sociaal Democratische Studentenclub), und als Rechtsberaterin wurde sie für das Medische Pädagogische Büro (Medisch Opvoedkundig Bureau) tätig, bevor sie 1937 eine eigene Rechtsanwaltskanzlei eröffnete. Hier half sie insbesondere Flüchtlingen und Menschen, die mit dem § 248 des niederländischen Strafgesetzbuches in Konflikt geraten waren. Nach diesem Paragraf wurden gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte geahndet, sofern eine der beteiligten Personen noch minderjährig war.

Vor allem nach der Besetzung der Niederlande durch das Deutsche Reich kam Lau Mazirels Kanzlei besondere Bedeutung zu. Mazirel engagierte sich als Pazifistin in der Widerstandsgruppe Vrije Groepen Amsterdam (dt. „Freie Gruppe Amsterdam“) und arbeitete unter einem Decknamen im Untergrund. 1943 war sie an einem Anschlag auf das Amsterdamer Einwohnermeldeamt beteiligt, um persönliche Angaben von politisch verfolgten Personen zu vernichten. Mehrmals wurde sie Opfer psychischer Misshandlungen, die ihre Gesundheit bis zum Ende ihres Lebens beeinträchtigten, und noch Ende 1944 wurde sie inhaftiert, allerdings wenig später wieder freigelassen.

Nach 1945 setzte sie ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin für Menschen, die in die Niederlande eingewandert waren, und andere Benachteiligte der Gesellschaft fort. Sie engagierte sich für eine Liberalisierung der gesetzlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch und beriet die Nederlandse Vereniging voor Sexuele Hervorming (NVSH, „Niederländische Gesellschaft für Sexualreform“) sowie das Cultuur- en Ontspanningscentrum (COC, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“) in Rechtsfragen. Sie war eine der Kräfte, die sich nachdrücklich für die Verwendung des Wortes „homofiel“ statt „homoseksueel“ aussprachen.

Auf dem Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) von 1952 betonte Lau Mazirel, dass es unzureichend sei, gesetzliche Änderungen vorzunehmen, ohne auch die Haltungen der Sexualität gegenüber allgemein zu ändern. Jedem und jeder sei es gestattet, auf seine oder ihre Weise glücklich zu leben, sofern nicht die Rechte Dritter in Mitleidenschaft gezogen werden. Sie warnte vor einer Polizei, die sich zu einem „Staat im Staate“ formieren könne, und forderte, dass sich die Homophilen nicht isolierten, sondern stets mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeiteten, die ähnliche Forderungen auf sexuellem Gebiet erhoben wie sie selbst.

Obwohl Lau Mazirel die bürgerliche Ehe ablehnte, da diese den Frauen einen benachteiligten Status zuwies, ging sie selbst zweimal eine Pro forma Ehe ein. Aus gesundheitlichen Gründen sah sie sich 1955 gezwungen, ihre Kanzlei aufzugeben, und in der Folge zog sie mit ihrer Familie nach Frankreich. Wenig später wurde sie zum Ehrenmitglied des COC ernannt.

Die 1981 errichtete Stiftung Lau Mazirel Stichting (später: Vereniging Lau Mazirel) verfolgt die Aufgabe, Menschen zu helfen, die einer Minderheit angehören und ihre Rechte und Interessen eingeschränkt sehen.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Dieser Kongresz [sic!], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 15-17 [siehe hier auch S. 5].

De Goei, Leonie (2021): Mazirel, Laura Carola, auf: BWSA: Biografisch Wordenboek van het Socialisme en de Arbeidersbeweging in Nederland.

De Haan, Patrieck (o.J.): Lau Mazirel, auf: With Pride.

Pauwels, Henk (o.J.): Het leven en de erfenis van Lau Mazirel, auf: omzien.nl.

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Mechelen, Floris van (Aktivist) geb. 12.4.1909 (Den Haag, Niederlande) gest. 10.8.2007 (Laren, Niederlande)

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„Floris van Mechelen“ auf dem Frankfurter Kongress des ICSE 1952. Unbekannter Fotograf (aus Vriendschap, Oktober 1953).
„Floris van Mechelen“ war das Pseudonym des niederländischen Verlegers, Dolmetschers und Aktivisten der „Homophilenbewegung“ Hendricus Wilhelmus (Henri) Methorst, der am 12. September 1909 in Den Haag geboren wurde. Er war Anfang der 1950er Jahre einer der zentralen Mitarbeiter des niederländischen COC (Cultuur- en Ontspanningscentrum, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“) und Präsident des International Committee for Sexual Equality (ICSE).

Henri Methorst studierte zunächst Jura, brach aber das Studium vorzeitig ab, um in der Folge durch Asien zu reisen. Nach seiner Rückkehr in die Niederlande lernte er die spirituelle Lehre des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti (1895–1986) kennen, die zeit seines Lebens von großer Bedeutung für ihn bleiben sollte. Wenn Krishnamurti in den Niederlanden war, fungierte Methorst auch als dessen Übersetzer.

1933 gründete Henri Methorst zusammen mit einem befreundeten Ehepaar den Verlag De Driehoek, in dem Bücher von umstrittenen Autoren wie Henry Miller und D. H. Lawrence erschienen. Ab 1934 wurde hier auch die Zeitschrift Perspectieven van Wordende Cultuur (dt. „Perspektiven einer werdenden Kultur“) verlegt, in der Artikel zu Themen wie Theosophie, Vegetarismus, Abstinenz, Homosexualität und moderne Kultur behandelt wurden. Während der Zeit des Zweiten Weltkriegs dienten die Räumlichkeiten des Verlags zum Teil als Unterkunft für untergetauchte Juden in den von den Deutschen besetzenden Niederlanden.

1946 gehörte Henri Methorst zu den Gründern des niederländischen COC, das heute die älteste noch bestehende LSBTIQ-Vereinigung der Welt ist. Methorsts zentrale Forderung war, dass Homosexuelle nicht länger als krank betrachtet werden sollten, und er verknüpfte die Agitation für ihre Rechte mit der Emanzipation der Frau und den Menschenrechten im Allgemeinen. In den
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„Floris van Mechelen“ auf dem 1953er Kongress des ICSE in Amsterdam. Unbekannter Fotograf.
1950er Jahren war Methorst an der Organisation einer Reihe von internationalen Konferenzen beteiligt, wobei ihm seine Erfahrungen als Dolmetscher zugutekamen. Überhaupt engagierte er sich bis ins hohe Alter als Berater und Ehrenmitglied der niederländischen Schwulen- und Lesbenbewegung.

Henri Methorst starb am 10. August 2007 in der Gemeinde Laren nordöstlich von Hilversum.

In einem kurzen Beitrag für den Periodical Newsletter wertete Henri Methorst den Frankfurter Kongress des ICSE als großen Erfolg. Er schrieb, der „Sexus“ dürfe nicht mehr nach alten Maßstäben gemessen werden, da er nicht mehr in erster Linie der Fortpflanzung, dem Staat und der Familie diene. Unverheiratete Männer und Frauen, Menschen mit „eigenartiger Begabung“ sowie „männliche Frauen und weibliche Männer“ könnten eine „eigene Funktion und Erfüllung“ in der menschlichen Gesellschaft finden. Wichtig sei es, dass sie lernten, die Hemmnisse zu überwinden, die die überkommene Kultur ihnen auferlegt hatte, um Lebensfreude, Gefühlsreife und Verantwortungsbewusstsein zu erlangen – und damit auch der sozialen Gemeinschaft dienen zu können. Die „homoerotische Veranlagung“ sei etwas Natürliches und ein Problem nur insofern, als sie in einem Konflikt mit einer „zurückgebliebenen“ und „teilweise erstarrten“ Kultur und Gesellschaft stehe.

Weiterführende Literatur

Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1952): Die Bewegung für sexuelle Gleichberechtigung. Ihre Wege und Ziele, in: Periodical Newsletter , [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 13-14 [siehe hier auch S. 2-3].

Mechelen, Floris van (1952): Perspektiven der Bewegung für sexuelle Gleichberechtigung. Ihre Wege und Ziele, in: Der Kreis (Jg. 20), Nr. 10, S. 7-8 [mit einer redaktionellen Anmerkung von „Rolf”].

Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1953): Derde internationale congres voor sexuele rechtsgelijkheid. Gastvrouw: de Nederlandse vereniging C.O.C., in: Vriendschap (Jg. 8), Nr. 10 (Oktober 1953), S. 2-4.

Mechelen, Floris van [d.i. Henri Methorst] (1953): Dritter internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung, in: Periodical Newsletter, [Nr. 13: Congress Issue, Kongresznummer, Numéro du congrès], (Oktober 1953), S. 126-130.

Renders, Hans und Paul Arnoldussen (2003): Henri Methorst bleek Een Hunner, in: Renders, Hans und Paul Arnoldussen: Jong in de jaren dertig. Interviews. Soesterberg: Uitgeverij Aspekt (erweiterte Neuauflage), S. 125-132.

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Meininger, Heinz (kaufmännischer Angestellter) geb. 22.4.1902 (Frankfurt/Main) gest. 16.7.1983 (Frankfurt/Main)

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Heinz Meininger um 1949. Unbekannter Fotograf.
Heinz Meininger wurde am 22. April 1902 als Sohn eines Schlossers und dessen Ehefrau in Frankfurt/Main geboren. Über seinen Lebensweg ist heute vergleichsweise wenig bekannt, was umgekehrt proportional zu seiner Bedeutung als Vereinsaktivist in den 1950er Jahren steht.

Heinz Meininger gründete 1949 zusammen mit dem Neurologen Wolfgang Bredtschneider (1916–1973) den Frankfurter „Verein für humanitäre Lebensgestaltung“ (VhL), der sich bald zum größten „Homophilenverein“ seiner Zeit in Deutschland entwickelte. Meininger selbst wurde Erster Vorsitzender des VhL und arbeitete in ihm unter anderem mit dem Arzt Hans Giese und dem Kaufmann Hermann Weber zusammen, der vor 1933 schon dem Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) Magnus Hirschfelds angehört hatte. Weil er dabei das Bedürfnis homosexueller Männer nach Geselligkeit, Unterhaltung und Selbstentfaltung in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellte, kam Meininger schnell in den Ruf, ein „Amüsierler“ zu sein.

Meininger war daneben die treibende Kraft hinter der Frankfurter „Homophilenzeitschrift“ Die Gefährten, die von 1952 bis 1954 erschien. Um 1952 war es auch Meininger, der die Aktivisten des International Committee for Sexual Equality (ICSE) in Amsterdam davon überzeugen konnte, den zweiten internationalen Kongress des ICSE in Frankfurt auszurichten. Gut zwei Monate später verfasste er zusammen mit Hermann Weber ein Memorandum an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Bonn, in dem die zwei im Namen aller Homosexuellen, ihrer Verwandten und Freunde in der Bundesrepublik Deutschland „eine Aufhebung bzw. Änderung der diskriminierenden Strafgesetze gegen gleichgeschlechtliche Betätigung“ forderten.

Ende 1953 schloss sich der VhL unter der Führung Heinz Meiningers kurzzeitig mit der Bremer Internationalen Freundschaftsloge (IFLO) zu einem nationalen Verband für Homosexuelle in West-Deutschland zusammen. Nennenswerte Aktivitäten scheint der Verband aber nicht entfaltet zu haben. Angesichts der übermächtigen Wirksamkeit des § 175 StGB und der Vergeblichkeit, den Paragraphen zu Fall zu bringen, verfielen spätestens 1957 fast alle bundesdeutschen „Homophilengruppen“ in Agonie und lösten sich auf.

Wie lange sich Heinz Meininger noch im VhL betätigt hat, ist unbekannt. Privat wohnte er mit seinem Lebenspartner Lorenz Hasenbach zusammen, der wie er selbst von Beruf Häfner bzw. Ofensetzer war. Die beiden Männer hatten sich schon vor 1937 kennengelernt und lebten über 46 Jahre in einer festen Partnerschaft zusammen. Die letzten Jahre seines Lebens soll Heinz Meininger in einem Frankfurter Altersheim verbracht haben.

Weiterführende Literatur

Meininger, Heinz (1952): Weg und Ziel unserer Arbeit. In: Die Gefährten (Jg. 1), Nr. 1, S. 4-7.

Meininger, Heinz (1953): Zu den Kongressen 1952–53 Frankfurt – Amsterdam. Wissen Sie, was ein Kongress kostet?, in: Die Gefährten (Jg. 2), Nr. 8, S. 20.

Schmidt, Hans (1982): Die Angst verband uns. Frankfurt/Main in den fünfziger Jahren, in: Hohmann, Joachim S. (Hrsg.): Keine Zeit für gute Freunde. Berlin: Foerster, S. 146-153.

Speier, Daniel (2018): Die Frankfurter Homosexuellenprozesse zu Beginn der Ära Adenauer – eine chronologische Darstellung, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 61/62, S. 47-72.

Weber, Hermann und Heinz Meininger im Namen des Vereins für humanitäre Lebensgestaltung e. V. an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages (Frankfurt/Main, den 12. November 1952), Abdruck in: Die Gefährten 1952 (Jg. 1), Nr. 8, S. 9-11.

Wolfert, Raimund (2020): Meininger, Heinz. In: Frankfurter Personenlexikon.

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Mergen, Armand (Prof., Dr. jur., Rechtswissenschaftler) geb. 29.1.1919 (Heffingen, Luxemburg) gest. 1.3.1999 (Bridel, Luxemburg)

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Armand Mergen, 1988. Foto und Copyright: Wolfgang Osterheld, Sammlung Centre national de littérature (CNL), Luxemburg.
Armand Mergen war ein Luxemburger Rechtswissenschaftler, Kriminologe und Publizist, der zum ersten Mal 1942 an der Universität im österreichischen Innsbruck promoviert wurde. Er hatte zuvor als Schüler und Assistent des Psychiaters Friedrich Stumpfl (1902–1997) rassenbiologische Studien durchgeführt. Nach einer Verhaftung 1943 wurde jedoch Mergens Mitarbeit am Innsbrucker „Amt für Erb- und Rassenbiologie“ beendet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Armand Mergen in Luxemburg erneut zum Dr. jur. promoviert. Mit einer Arbeit unter dem Titel „Methodik kriminalbiologischer Untersuchungen“ wurde er dann 1953 an der Universität in Mainz habilitiert. Bis zu seiner Emeritierung 1984 lehrte er hier, mit einer Unterbrechung von 1979 bis 1982, in Kriminologie und Strafrecht. In Mainz war Mergen bereits 1948 Gastprofessor gewesen. Zwischen 1949 und 1958 war er zudem als freiberuflicher Rechtsanwalt in Luxemburg sowie als Gutachter und Gerichtsexperte tätig.

Während des 1952er Kongresses des International Committee for Sexual Equality (ICSE) trat Armand Mergen offenbar nicht als Redner auf. Obwohl das ICSE im Vorfeld des Kongresses in der „Homophilenzeitschrift“ Die Insel (später: Der Weg) damit warb, dass es ihn eingeladen hatte, wird Mergens Name in den heute vorliegenden Berichten zum Kongress nicht mehr erwähnt.

Weiterführende Literatur

Anzeige, in: Die Insel (der Freundschaft und Toleranz) 1952 (Jg. 2), Nr. 8 (August 1952), [S. 39].

Brocher, Tobias, Armand Mergen, Hans Bolewski und Herbert Ernst Müller (1966): Plädoyer für die Abschaffung des § 175 (edition suhrkamp, 175). Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Conter, Claude D. (2022): Armand Mergen. In: Luxemburger Autorenlexikon.

Mergen, Armand (1963): Sexualforschung. Stichwort und Bild (zwei Bände). Hamburg: Verlag für Kulturforschung.

Sigusch, Volkmar (2009): Armand Mergen (1919–1999), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/Main und New York: Campus Verlag, S. 488-494.

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Putziger, Rolf (Journalist, Verleger) geb. 13.7.1926 (Berlin) gest. 1977 (unbekannter Ort)

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Über Rolf Putziger und seinen Lebensweg liegen nur wenige gesicherte Angaben vor. Putziger war der erste Verleger der bundesdeutschen „Homophilenzeitschrift“ Die Insel (1951, im Herbst 1952 umbenannt in Der Weg – zu Freundschaft und Toleranz), die zunächst in Hamburg erschien. Nach seinem Umzug nach München machte er sich als Verleger von Bodybuilder-Magazinen und als Entdecker und Förderer von Arnold Schwarzenegger einen gewissen Namen.

Rolf Putziger wurde am 13. Juli 1926 in Berlin-Weißensee geboren, wuchs aber in Hamburg auf. Seine Eltern waren Leo Putziger (1899–1973) und dessen Frau Hertha geb. Rohrdantz (1901–1989). Der Vater war Jude und Reisender von Beruf. Die Ehe der Eltern dürfte nicht glücklich gewesen sein, denn Hertha Putziger lernte spätestens Mitte der 1930er Jahre den Hamburger Regierungsrat Oswald Lassally (1899–1975) kennen, der in der Polizeibehörde der Hansestadt arbeitete, und ging mit ihm eine Beziehung ein. Lassally stammte aus einer jüdisch-hanseatischen Kaufmannsfamilie, und auf ihn war bereits 1931 ein antisemitisch motivierter Mordanschlag verübt worden. 1933 wurde er wegen seiner Herkunft in den Ruhestand versetzt und 1937 unter dem Vorwurf der „Rassenschande“ – gemeint war die Liebesbeziehung zu Hertha Putziger – für drei Jahre in das KZ Fuhlsbüttel gesperrt. Oswald Lassally und Hertha Putziger heirateten erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Brasilien, wohin beide geflüchtet bzw. ausgewandert waren. 1950 kehrte das Ehepaar nach Hamburg zurück, und Oswald Lassally fungierte bis zu seiner Pensionierung 1961 als Chef der Rechtsabteilung der Hamburger Polizei.

Rolf Putziger wurde als „Halbjude“ nach eigenen Angaben 1943 gezwungen, die Oberschule am Hamburger Stadtpark zu verlassen, und konnte demzufolge kein Abitur machen. Im Herbst 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und zu Arbeiten in Trümmergebieten zwangsverpflichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg öffnete er eine Schreibstube und ein Übersetzungsbüro und wurde als Sprecher und Dramaturg beim Nordwestdeutschen Rundfunk und am Thalia-Theater tätig. Der Verlag, den Putziger 1950 gründete, war wohl anfangs ein dezidiert „homophiler“ Verlag, er veränderte sein Profil mit den Jahren aber merklich. Neben der Zeitschrift Die Insel/Der Weg vertrieb er Publikationen wie die Fotobildbänder Mann und Bild (1950) und Jünglinge (1954), ab 1957 auch die „Internationale Revue der Film- und Bühnen-Stars, Mannequins und Modelle“ Pariser Magazin bzw. Pariser Journal, Sammlungen mit Witzen unter Titeln wie Lachende Bücher und Humor für Dich sowie das „Magazin für Körperkultur und Body-Building“ Herkules. Im Frühjahr 1959 verkaufte Putziger den Weg, und neuer Verleger der Zeitschrift wurde „Wolfgang Prien“ (alias Wolf H. F. Prien, 1915–1972).

Als Rolf Putziger 1953 einige Bodybuildingzeitschriften aus den USA mitbrachte, stießen diese in seinem Bekanntenkreis auf ein derart großes Interesse, dass er tausende von ihnen über Kioske verkaufte, wo sie reißenden Absatz fanden. Anlass der Reise Putzigers in die USA dürfte ein Besuch bei seinem leiblichen Vater in Atlantic Ciy, 200 Kilometer südlich von New York, gewesen sein, der als Jude Deutschland noch rechtzeitig vor der nationalsozialistischen Verfolgung verlassen konnte und später in die USA emigrierte.

In der Zeitschrift Die Insel forderte Putziger programmatisch die „Abschaffung, zumindest aber Neufassung des so berüchtigten § 175“ und gab sich überzeugt: „Homoerot kann man nicht werden, sondern ist es aus Veranlagung, also von Geburt an.“ Nach einem Referat in Der Weg von Oktober 1952 zu schließen war Putziger Teilnehmer am Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE).

Weiterführende Literatur

Bähr, Martin (2021): „Juden brauchen wir hier nicht“. Hamburgs jüdische Polizeibeamte – verdrängt, verfolgt, vergessen (1918–1952). Ausstellungskatalog. Hamburg: Polizeimuseum Hamburg, S. 122.

Putziger, Rolf (1951): Ein Dank an alle, in: Die Insel (Jg. 1), Nr. 2, S. 4.

Putziger, Rolf (1952): 2. Internationaler Kongress für Sittengesetze und sexuelle Gleichberechtigung, in: Der Weg (Jg. 2), Nr. 10, S. 4-5.

Schwarzenegger, Arnold (2012): Total Recall. My unbelievably true life story. New York u. a.: Simon & Schuster.

Wolfert, Raimund (2022): Zwischenspiel. Anmerkungen zu einem Kapitel aus der ungeschriebenen Geschichte der „Homophilenzeitschrift“ Der Weg, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 69/70, S. 62-68.

Wunder, Olaf (2021): Antisemitismus bei Hamburgs Polizei. „Juden brauchen wir hier nicht“, in: Hamburger Morgenpost vom 25.10.2021, online hier.

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Seidl, Eduard (Rechtsanwalt und Notar) geb. 30.12.1905 (Frankfurt/Main) gest. 1977 (unbekannter Ort)

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Eduard Seidl, um 1930. Quelle: Universitätsarchiv Frankfurt am Main (UAF) Abt. 116 S1 Nr. 26 Blatt 5.
Zu dem Rechtsanwalt und Notar Eduard Seidl haben sich bislang nur wenige Angaben ermitteln lassen. Seidl wurde als Sohn des Frankfurter Schneiders Joseph Seidl am 30. Dezember 1905 in Frankfurt/Main geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Hersfeld schloss er Ostern 1924 seine Reifeprüfung ab. Anschließend immatrikulierte er sich an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt am Main. Sein angestrebter Abschluss war das Juristische Staatsexamen, sein Berufswunsch Rechtsanwalt.

Eduard Seidl studierte bis Ende 1927 in Frankfurt. Zwischenzeitlich, im Sommersemester 1925, besuchte er für einige Monate die Universität im österreichischen Wien. Das Studium schloss er mit dem juristischen Staatsexamen am Oberlandesgericht Frankfurt ab. 1930 stellte er den Antrag auf Zulassung zur Promotion, welche er jedoch nicht bestand. Als Rechtsanwalt praktizierte Seidl ab 1932 in seiner Heimatstadt. Um 1953 war er zusammen mit seinen Kollegen Paul Haag und Erich Cohn-Bendit (1902–1959) Verteidiger des jüdischen Notars und Rechtsanwalts Joseph Klibansky, der wegen gefälschter Abtretungsurkunden in den Skandal um die jüdische Wiedergutmachungsbank Frankfurt verwickelt war.

Nach einer Notiz im Periodical Newsletter verglich Eduard Seidl in dem Vortrag, den er auf dem Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) in Frankfurt hielt, die Gesetzgebung in verschiedenen romanischen Ländern, in denen es keine Gesetzesparagrafen gegen homosexuellen Verkehr gebe, mit den „schweren Bedrohungen“, denen sich Homosexuelle in den USA und in Großbritannien ausgesetzt sähen. Die Einmischung des Staates in das Sexualleben des Einzelnen führe zu „grotesken“ Konsequenzen („conséquences ridicules“). Der Vortrag Seidls kam noch im selben Jahr in der Frankfurter „Homophilenzeitschrift“ Die Gefährten zum Abdruck.

Eduard Seidl war auch Vorsitzender des Sängerkreis Frankfurt am Main e.V. Er starb 1977, vermutlich in seiner Geburts- und Heimatstadt.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Dieser Kongresz [sic!], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 17 [siehe hier auch S. 23].

Freimüller, Tobias (2020): Frankfurt und die Juden. Neuanfänge und Fremdheitserfahrungen 1945–1990. Göttingen: Wallstein, S. 183.

Seidl, Eduard (1952): Keine Strafe ohne Rechtsgrund, in: Die Gefährten (Jg. 1), Nr. 3, S. 3-7, und Nr. 8, S. 5-8.

Wolfert, Raimund (2019): Emanzipationsbestrebungen in der Tradition Magnus Hirschfelds. Das Beispiel Ernst Ludwig Driess, in: Initiative Queer Nations (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten, S. 71-96, hier S. 90-91.

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Smitt, Jarl Wagner (Dr. med., Arzt) geb. 4.5.1912 (Frederiksberg, Dänemark) gest. 12.2.2008 (Ry, Dänemark)

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Jarl Wagner Smitt auf dem 1953er Kongress des ICSE in Amsterdam.
Jarl Wagner Smitt war ein dänischer Arzt und Psychiater, der auch am dritten internationalen Kongress des Internation Committee for Sexual Equality (ICSE) 1953 in Amsterdam teilnahm. 1951 hatte er unter dem Titel „Hvorfor er de sådan?“ (dt. „Warum sind sie so?“) eine in Skandinavien seinerzeit viel beachtete „Studie über die Probleme der Homosexualität“ vorgelegt.

Auf dem Frankfurter Kongress des ICSE von 1952 hielt Jarl Wagner Smitt einen Vortrag zu einer von ihm selbst entwickelten „Instinkteinprägungstheorie“, mit der er die Möglichkeiten einer homosexuellen Prägung im Kindheits- und Jugendalter erklären wollte. Dieser Vortrag wurde noch 1952 als Artikel in der englischsprachigen Zeitschrift International Journal of Sexology (Mumbai, damals Bombay, Indien) von Alyappin Padmanabbha Pillay (1890–1956) gedruckt. Der Periodical Newsletter vom Juli 1953 brachte einen kurzen Beitrag Jarl Wagner Smitts in deutscher Sprache, in dem es um die Rezeption seiner „Instinkteinprägungstheorie“ in Fachkreisen wie in der allgemeinen Öffentlichkeit ging.

Jarl Wagner Smitt heiratete 1958 erst relativ spät im Leben, seine Frau war 27 Jahre jünger als er selbst. Er wurde 1960 zum Spezialarzt in Psychiatrie ernannt. 1952 war er Sekretär der dänischen nationalen „Vereinigung für psychische Hygiene“ („Landsforeningen for mentalhygiene“), und im Folgejahr nahm er eine Stelle im Nervensanatorium Montebello nördlich von Kopenhagen an, bevor er 1957 in die neurologische Abteilung des Kommunehospitals in der dänischen Hauptstadt wechselte.

Weiterführende Literatur

Smitt, Jarl Wagner. Hrsg. (1951): Hvorfor er de sådan? En studie over homosexualitetens problemer. København: Reitzel.

Smitt, Jarl Wagner (1952). Homosexuality in a new light, in: International Journal of Sexology (Jg. 6), Nr. 1, S. 36-39.

Smitt, Jarl Wagner (1953): Instinktprægning og homosexualitet, in: Nordisk Sommer Universitet 1952. Menneske og miljø (Moderne videnskab. Orientering og debat, II). København: Ejnar Munksgaard, S. 70-72.

Smitt, Jarl Wagner (1953): Die Art, in der die Theorie der Instinkteinprägungstheorie [sic!] empfangen worden ist, in: Periodical Newsletter, [Nr. 12] (Juli 1953), S. 115-116 [auf Englisch ebenfalls in: Periodical Newsletter, [Nr. 11] (Mai 1953), S. 76-77].

Torp, Niels (2000): Den danske lægestand 1993–2000. København: Lægeforeningens Forlag, Bd. 2: L–Å (17. Ausg.), S. 1799.

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Stevens, Axel (Aktivist, zweiter Sekretär des ICSE)

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Über Axel Stevens ist heute so gut wie nichts bekannt. So gilt nicht einmal als gesichert, dass „Axel Stevens“ sein Realname oder nur ein Pseudonym war. Anfang der 1950er Jahre war Stevens Mitglied des Frankfurter Vereins für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) und nach „Bob Angelo“ (Niek Engelschman) zeitweise zweiter Sekretär des International Committee for Sexual Equality (ICSE). Er wohnte offenbar in München.

Im Periodical Newsletter vom Oktober 1952 erschien eine englischsprachige Rezension des Buches The Homosexual in America von „Donald Webster Cory“ (Edward Sagarin), die mit den Initialen „S. A.“ gezeichnet war. Möglicherweise handelte es sich bei dem Rezensenten um Axel Stevens.

Weiterführende Literatur

Mechelen, Floris van (1952): Brief Survey of the Internal Working Session, in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 6-7.

S. A. (1952): [Bookreview] The Homosexual in America by Donald Webster Cory, in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 10-11.

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Thorsell, Eric (Metallarbeiter) geb. 28.12.1898 (Munktorp, Schweden) gest. 7.9.1980 (Surahammar, Schweden)

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Eric Thorsell, Anfang der 1950er Jahre. Unbekannter Fotograf.
Eric Thorsell war ein schwedischer Metallarbeiter, der sich in der skandinavischen Volks- und Sexualaufklärung nachdrücklich bemerkt gemacht hat. Seit Anfang der 1930er Jahre, als er sich für einige Zeit in Berlin aufhielt, um sich an Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft weiterzubilden, trat er national wie international immer wieder mit Artikeln und Vorträgen zum Thema Homosexualtiät hervor, so auch 1951 und 1952 auf den Kongressen des International Committee for Sexual Equality (ICSE) in Amsterdam und Frankfurt/Main. Am 10. Februar 1933 hielt Thorsell unter dem Titel „Sind die Homosexuellen Rechtslose oder Verbrecher?“ einen der ersten öffentlichen Vorträge über Homosexualität in Schweden überhaupt.

Eric Thorsell wurde am 28. Dezember 1898 als uneheliches Kind einer 46-jährigen Witwe im mittelschwedischen Munktorp (Västmanland) geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Früh entdeckte er die damals vorliegende Fachliteratur über Homosexualität, die er auf Deutsch las. Die aus Norwegen stammende Journalistin und Sexualaufklärerin Elise Ottesen-Jensen (1886–1973), die schwedisches Gründungsmitglied der Weltliga für Sexualreform (WLSR) war, riet Thorsell um 1930, sein Wissen über Homosexualität am Institut für Sexualwissenschaft in Berlin zu vertiefen. Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben an Max Hodann (1894–1946) und Felix Abraham (1901–1937) begab sich Thorsell Ende 1931 auf die Reise. In den folgenden Monaten besuchte er das Institut für Sexualwissenschaft und insbesondere dessen Bibliothek regelmäßig, er nahm an einer Institutsführung teil, hörte Vorträge und besuchte Frageabende. Dabei lernte er Arthur Röser, Karl Giese (1898–1938) und Felix Abraham persönlich kennen, und insbesondere Abraham zählte er später zu seinen Freunden.

Zurück in Schweden konnte Eric Thorsell das neu erworbene Wissen um Homosexualität in Artikeln und Vorträgen nur bedingt verwenden. Seinen bemerkenswertesten Einsatz als Vortragsredner und Verfasser von Artikeln leistete er erst nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Entkriminalisierung männlicher Homosexualität in Schweden 1944. Er war Kontaktmann des niederländischen Shakespeare-Club, aus dem sich das COC (Cultuur- en Ontspanningscentrum, dt. „Kultur- und Freizeitzentrum“) entwickelte, und des dänischen Forbundet af 1948 (dt. „Verband von 1948“), der ersten Schwulen- und Lesbenorganisation Skandinaviens mit gesamt-nordischem Anspruch. Später engagierte er sich auch im schwedischen RFSL (Riksförbundet för Sexuellt Likaberättigande, dt. „Nationaler Verband für sexuelle Gleichberechtigung“), nachdem dieser sich 1952 von der dänischen Mutterorganisation losgerissen hatte.

Als Schweden Anfang der 1950er Jahre von einer Reihe von „Homosex-Skandalen“ erschüttert wurde, in die neben hochrangigen Politikern auch König Gustav V. persönlich verwickelt war, schaltete sich Thorsell mit Artikeln und Vorträgen in die Diskussion ein und forderte unter anderem eine Professur für Sexologie nach dem Vorbild von Magnus Hirschfeld und dessen Institut von vor 1933. Die Forderung selbst verhallte ohne Nachwirkungen, wobei Thorsell gleichwohl als „Homophilprophet“ öffentlich verspottet und angegriffen wurde.

1981, wenige Monate nach Eric Thorsells Tod am 7. September 1980 in Surahammar, legte der schwedische Schwulenaktivist Fredrik Silverstolpe (1947–2001) die Memoiren Thorsells in Buchform vor. In einem Zeitungsinterview hatte Thorsell noch kurz vor seinem Tod über das eigene Engagement als „homophiler“ Aktivist gesagt: „Es war nicht so sehr eine Frage des Mutes. Ich habe mich vor allem über diese ganze Heuchelei geärgert, das war alles. Außerdem: Mit einem, der in der Gesellschaftsordnung auf der untersten Stufe steht, geben sie sich nicht ab, den kann man nicht noch weiter nach unten stoßen.“ Diese Worte sind auch auf seinem Grabstein auf dem Friedhof in Surahammar eingraviert.

Weiterführende Literatur

Handelsman Nielsen, Mika (2023): „Han var en solklar del av vår familj, som pappa åt Manfred och vår opa“. En intervju med Gisela Badenius och Sabine Dahlstedt, auf: Queers mot kapitalism.

Handelsman Nielsen, Mika (2024): „Eriks röst får inte försvinna“. Om en superhjälte i svartvitt som får färg, auf: Queers mot kapitalism.

Silverstolpe, Fredrik (1981): En homosexuell arbetares memoarer. Järnbruksarbetaren Eric Thorsell berättar. Stockholm: Förlaget Barrikaden.

Söderström, Göran. Red. (1999): Sympatiens hemlighetsfulla makt. Stockholms homosexuella 1860–1960. Stockholm: Stockholmia Förlag.

Thorsell, Eric (1985): Memoiren eines schwedischen Arbeiters, in: rosa flieder Nr. 40, S. 16-21; Nr. 41, S. 32-34.

Wolfert, Raimund (2000): Eric Thorsell: ein schwedischer Arbeiter am Institut für Sexualwissenschaft, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 31-32, S. 11-26.

Wolfert, Raimund (2000): Svensk-tyske møter: Jernverksarbeideren Eric Thorsell ved Magnus Hirschfelds institutt for seksualvitenskap og hans forbindelser til Berlin, in: lambda nordica (Jg. 6), Nr. 4, S. 37-53.

Wolfert, Raimund (2015): Networking mit Hilfe des Eigenen? In: Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten (Jg. 17), S. 100-113.

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Van Emde Boas, Coenraad (Dr. med., Psychiater) geb. 17.6.1904 (Rotterdam, Niederlande) gest. 27.9.1981 (Amsterdam, NL)

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Coenraad van Emde Boas, 1970. Fotograf: Joost Evers / Anefo, CC0, via Wikimedia Commons.
Coenraad (van Emde) Boas wurde am 17. Juni 1904 in eine niederländisch-jüdische Kaufmannsfamilie in Rotterdam geboren. Früh zeigte sich, dass er vielseitig interessiert war. Bereits neben seinem Medizinstudium an der Universität in Leiden veröffentlichte er einen Band Gedichte. Nachdem er in Kontakt mit der Psychoanalyse gekommen war, unterzog er sich bereits Mitte der 1920er Jahre einer ersten Lehranalyse. Weitere folgten in den 1940er und 1950er Jahren. Aufgrund seiner literarischen Interessen befasste er sich mit den Beziehungen zwischen Psychologie und Sexualität einerseits und den künstlerisch-ästhetischen Lebensäußerungen des Menschen andererseits. Er unternahm mehrere Studienreisen, besuchte Vorlesungen an anderen Universitäten und fuhr nach Berlin, um Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaft kennenzulernen. 1932 vertrat van Emde Boas die Niederlande auf dem Kongress der Weltliga für Sexualreform (WLSR) in Brno.

Nachdem er 1930 das Arztexamen abgelegt hatte, spezialisierte er sich auf Psychiatrie und Neurologie und gründete eine eigene Praxis als Nervenarzt, Psychoanalytiker und Sexologe in Amsterdam. Gleichzeitig führte er als Leiter des „Dr. Alletta Jacob Huis“ Beratungen auf dem Gebiet der Geburtenkontrolle und Sexualaufklärung für Hilfesuchende durch. Seine Studie über die „periodische Unfruchtbarkeit und ihre Bedeutung für die Regelung der Kinderzahl“, die ab 1934 in zahlreichen Neuauflagen und populärwissenschaftlichen Bearbeitungen erschien, wurde nicht als Doktorarbeit anerkannt, da sie dem universitären Establishment seiner Zeit in den Niederlanden als zu gewagt galt. Erst mit einer zweiten Doktorarbeit über Shakespeares Sonette und „transvestitische“ Verwechslungsspiele kam van Emde Boas 1951 zu akademischen Würden.

Coenraad van Emde Boas war bereits in den 1930er und 1940er Jahren an der Gründung niederländischer Fach- und Studentenvereinigungen zu Fragen der Sexualität beteiligt. Doch erst in den 1960er Jahren wurde die Sexologie im medizinischen Curriculum der Niederlande anerkannt. 1970 wurde an der Universität in Amsterdam der erste außerordentliche Lehrstuhl eingerichtet, der sich den Aspekten der menschlichen Beziehungen und des Geschlechtslebens widmen sollte. Ein zweiter Lehrstuhl an der Universität in Leiden folgte im Jahr darauf. Coenraad van Emde Boas bekleidete beide Lehrstühle bis Ende der 1970er Jahre, als bei ihm ein Herzleiden konstatiert wurde.

Besonders in der frühen Nachkriegszeit war Coenraad van Emde Boas eine umstrittene Persönlichkeit in den Niederlanden. Einerseits wurde er von konservativen Psychoanalytikern angegriffen, die sich gegen seine Behandlungsmethoden wandten, andererseits galt vielen seiner Berufsgenossen seine Sicht auf tabuisierte Themen der Gesellschaft wie Empfängnisverhütung, Abtreibung, Homosexualität, Transsexualität und Pornographie als zu liberal und zu progressiv. Als Jude, Humanist und linksliberaler Sozialist verglich Coenraad van Emde Boas etwa die Diskriminierung Homosexueller mit der Diskriminierung anderer Minderheiten ethnischer, kultureller oder religiöser Art.

Coenraad van Emde Boas war zweimal verheiratet und wurde mehrfacher Vater. Er starb im Alter von 77 Jahren am 26. September 1981 in Amsterdam.

Der Vortrag, den Coenraad van Emde Boas auf dem Frankfurter Kongress des International Committee for Sexual Equality (ICSE) hielt, war ein Auszug aus seiner Doktorarbeit „Shakespeare’s sonnetten en hun verband met de Travesti-Double Spelen“ (dt. „Shakespeares Sonette und ihre Beziehungen zu den Travestie-Verwechslungsspielen“) vom Vorjahr. In ihm wandte er sich gegen die „Soziogenese der vitalen Abneigung“ des modernen Westeuropäers gegen alle Äußerungen der Homosexualität und Homoerotik. Diese Abneigung der judäo-christlichen Kultur, die van Ende Boas als ein typisch künstliches Produkt verstand, sei auf die seinerzeitige Isolation des jüdischen Volkes während seiner Ansiedlung inmitten einer heidnischen Umwelt zurückzuführen und damit als Ausnahme zu betrachten. Coenraad van Emde Boas verwies auf die gleichzeitig bei Hethitern und Phöniziern bestehenden Bräuche, die Homosexuelle ehrten und deren Freundschaften untereinander mit der Ehe gleichsetzten. Auch in der klassischen griechischen Gesellschaft seien homosexuelle Handlungen niemals als strafbar und verwerflich angesehen worden.

Bei dem Vortrag von Coenraad van Emde Boas handelte es sich ganz offenbar um eine gekürzte Version seiner Druckschrift in der „Wereld-Bibliotheek“ aus dem Jahr 1951.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Dieser Kongresz [sic!], in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 15-17, hier S. 15-16 [siehe hier auch S. 4 und 22].

Oosterhuis, Harry (2009): Coenraad van Emde Boas, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/Main und New York: Campus Verlag, S. 720-724.

Van Emde Boas, Coenraad (1951): De sociogenese van de vitale afkeer tegen de homo-sexualiteit (Overdruk). Amsterdam/Antwerpen: Wereld-Bibliotheek [32 Seiten].

Van Emde Boas, Coenraad (1961): Sex Life in Europe, in: Ellis, Albert und Albert Abarbanel (Hrsg.): The Encyclopedia of Sexual Behavior (Vol. 1). New York/London: Hawthorn/The Corsano, S. 373-383.

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Weber, Hermann (Bankangestellter und Buchhalter) geb. 29.9.1882 (Offenbach) gest. 20.8.1955 (Frankfurt/Main)

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Hermann Weber, um 1955. Foto in Privatbesitz.
Hermann Weber war vor 1933 Leiter der Ortsgruppe Frankfurt/Main des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) und nach 1949 Ehrenvorsitzender des Vereins für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) sowie Präsident des von dem Frankfurter Arzt Hans Giese (1920–1970) gegründeten Nachkriegs-WhK.

Hermann Weber war der Sohn eines hessischen Brauereibesitzers und dessen amerikanischer Frau. Nach dem Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete er zunächst als Angestellter einer Bank in seiner Heimatstadt. Ab 1914 führte er hier mit seinem Freund und Lebensgefährten Paul Dalquen (1893–1975), den er über Magnus Hirschfeld kennen gelernt hatte, einen gemeinsamen Haushalt und übernahm die Buchhaltung in dessen Eisenkonstruktionsbetrieb. Später nahmen die beiden Männer einen Jungen an Sohnes statt an, und noch 1949 schrieb Weber über diesen Sohn und dessen Familie stolz an Kurt Hiller (1885–1972): „Sehen Sie, lieber Freund, das sind Resultate des verfemten Magnesen.”

Seine produktivste Zeit als Mitglied und Aktivist des WhK erlebte Hermann Weber in der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Er organisierte unter anderem einen Vortrag des Berliner Sexualwissenschaftlers Arthur Kronfeld (1886–1941) in Frankfurt und konnte den hessischen Staatspräsidenten Carl Ulrich (1853–1933) als Unterzeichner der Petition des WhK zur Abschaffung des § 175 RStGB gewinnen. Im Anschluss an die Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen des WhK wurde er in Berlin zum Obmann der Vereinigung gewählt.

Über die Lebensumstände Hermann Webers, seines Lebensgefährten und des von diesem in der Zwischenzeit adoptierten Sohnes zwischen 1933 und 1945 liegen nur wenige Angaben vor. Einen persönlichen (anonymisierten) Einblick gewährt Hans Giese in seiner 1958 veröffentlichten Studie Der homosexuelle Mann in der Welt.

Nach 1945 litt Hermann Weber zunehmend unter gesundheitlichen Gebrechen, er fühlte sich müde und „verbraucht”. Doch „blühte” er merklich wieder auf, als im Sommer 1949 mit dem Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) in Frankfurt eine erste Organisation für Homosexuelle nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Wie der Arzt Hans Giese ließ er sich in den Vorstand des Vereins wählen. Als im Herbst desselben Jahres ebenfalls in Frankfurt von Giese das WhK neu gegründet wurde, übernahm Weber hier die Präsidentschaft.

Hermann Weber erfuhr 1949 von einer massiven nächtlichen Polizeiaktion, bei der etwa 60 amerikanische und deutsche Polizisten das Vereinslokal des Frankfurter VhL umstellten und schließlich 150 anwesende Gäste erkennungsdienstlich erfassten, und zusammen mit Heinz Meininger (1902–1983) legte er beim Frankfurter Polizeipräsidenten Beschwerde gegen die Razzia ein. Im Spätsommer 1952 eröffnete er den zweiten Kongress des ICSE (International Committee for Sexual Equality), der in Frankfurt stattfand, und noch im selben Jahr verfasste er wiederum zusammen mit Heinz Meininger ein Memorandum an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Bonn, in dem die Aufhebung des § 175 StGB gefordert wurde.

Hermann Weber arbeitete zunächst bereitwillig mit Hans Giese zusammen, der 1949 in der Tradition Magnus Hirschfelds ein „Institut für Sexualforschung” gegründet hatte, distanzierte sich aber schon bald von ihm, als er erfuhr, dass Giese sich bei gleichgeschlechtlichem Verkehr für ein Jugendschutzalter von 21 Jahren für Männer aussprach (das damit bedeutend höher als das Schutzalter für junge Frauen gewesen wäre) und in einem öffentlichen Vortrag die Homosexualität als „Funktionsstörung” bezeichnete.

Schriften (Auswahl)

Weber, Hermann (1952): Magnus Hirschfeld zum Gedenken. In: Die Gefährten (Jg. 1), Nr. 1, S. 10-12.

Weber, Hermann (1952): Hochgeehrte Gäste! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zweiter Internationaler Kongreß für sexuelle Gleichberechtigung in Frankfurt a. M. vom 29. August bis 2. September 1952. Feierliche Eröffnung durch den Alterspräsidenten des VHL, Herrn H. Weber, Frankfurt am Main. In: Die Gefährten (Jg. 1), Nr. 5, S. 1-3.

Archivalien

Seit 2019 befindet sich das Gästebuch Hermann Webers und seines Lebensgefährten Paul Dalquen im Besitz der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft.

Weiterführende Literatur

Giese, Hans (1958): Der homosexuelle Mann in der Welt. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, S. 133-138.

Wolfert, Raimund (2015): Hermann Weber – Leben und Wirken eines „Gentleman“, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 53, S. 27-42.

Wolfert, Raimund (2015): Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (Hirschfeld-Lectures 8). Göttingen, Wallstein.

Wolfert, Raimund (2020): Weber, Hermann, in: Frankfurter Personenlexikon (online).

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Weil, Arthur (Dr. med., Privatdozent) geb. 3.10.1887 (Braunschweig) gest. 9.5.1969 (München)

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Arthur Weil, o.J.
Nachdem er das Abitur in Hannover abgelegt hatte, studierte Arthur Weil zunächst Veterinärmedizin in München, Hannover und Berlin, wandte sich nach der entsprechenden Promotion aber der Humanmedizin zu. 1917 promovierte er nach Studien in Berlin und Halle ein weiteres Mal, diesmal zum Dr. med. In der Folge wurde er als Arzt tätig.

Bereits an der Tierärztlichen Hochschule in Berlin war Arthur Weil in Kontakt mit dem Schweizer Physiologen Emil Abderhalden (1877–1950) getreten, mit dem er etliche gemeinsame Veröffentlichungen vorlegte. Weil nahm 1913 an der ersten Sitzung der „Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik” teil, und im folgenden Jahr wurde er als „Dezernent für wissenschaftliche Arbeit” in einen Ausschuss des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) berufen. Am Institut für Sexualwissenschaft wurde er 1921 zum Leiter der „Abteilung für Innere Sekretion” ernannt. In dieser Position nahm er eine Schlüsselposition innerhalb des Instituts wie des WhK ein, und wenig später wurde er auch in das Kuratorium der „Dr.-Magnus-Hirschfeld-Stiftung” gewählt.

Gleichwohl verließ Arthur Weil Deutschland 1923, um fortan in den USA zu arbeiten. Er wurde zunächst in New York und später in Chicago auf Gebieten wie der Neuroanatomie, Endokrinologie und Immunologie tätig. Auch war er an der Herausgabe des Journal of Neuropathology & Experimental Neurology beteiligt. Er stand in Verbindung mit der sich formierenden amerikanischen Homosexuellenbewegung, hielt sich diesbezüglich aber im Hintergrund, und führte in seinen Publikationen die ursprünglich von Magnus Hirschfeld formulierten sexualwissenschaftlichen Ideen weiter fort. Seine eigene Mitarbeit am Institut für Sexualwissenschaft verschwieg Weil nach dem Zweiten Weltkrieg selbst in Hinblick auf die meisten seiner einst in Deutschland veröffentlichten Arbeiten.

Arthur Weil fühlte sich auch in den USA eng mit Europa verbunden, er soll stets Heimweh gehabt haben. Im September 1953 nahm er neben seinem Berufskollegen Hendrik Cornelius Rogge, den er noch aus den Zeiten des ersten WhK kannte, am dritten internationalen Kongress des ICSE (International Committee for Sexual Equality) in Amsterdam teil. Auf dem Frankfurter ICSE-Kongress des Vorjahres war es Weil, der den Vortrag des US-amerikanischen Soziologen „Donald Webster Cory“ alias Edward Sagarin vorlas. 1968, im Alter von 81 Jahren, kehrte Arthur Weil nach Deutschland zurück, um hier zu sterben. Er erlag am 9. Mai 1969 in München einem Herzleiden und einer Lungenentzündung.

Weiterführende Literatur

Anonym (1952): Le deuxième congrès, in: Periodical Newslette, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 22.

Herrn, Rainer (2009): Arthur Weil (1887–1969), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 735-740.

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Werres, Johannes (Journalist) geb. 12.9.1923 (Köln) gest. 1990 (vermutl. Positano, Italien)

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Johannes Werres in einer Theaterrolle (Ausschnitt), Zürich 1955. Fotograf: Edmund Moser. Original im Schwulenarchiv Schweiz/Schweizerisches Sozialarchiv.
Johannes Werres war einer der maßgeblichsten Aktivisten und Publizisten der zweiten deutschen Homosexuellenbewegung. Gleichwohl sind eine kritische Auseinandersetzung und Würdigung seines Beitrags für die schwul-lesbische Emanzipation immer noch Desiderat. Grundlegende Angaben zu seinem Lebensweg fehlen oder fußen bislang nur auf Eigenangaben, die nicht in allen Details unhinterfragt übernommen werden sollten.

Johannes Werres stammte aus einem streng katholischen Elternhaus. Offenbar nahm er als Soldat in Nord-Frankreich aktiv am Zweiten Weltkrieg teil und geriet in Kriegsgefangenschaft. Um 1945 schrieb er sich für katholische Theologie an der Universität in Bonn ein. Er wollte ursprünglich Priester werden, doch als er sich zu seinen homosexuellen bzw. päderastischen Neigungen bekannte, wurde er aus dem Konvikt und dem Studium verwiesen. Nachdem er dann auch sein Elternhaus verlassen musste, verlegte er sich aufs Schreiben und wurde Reporter und Redaktionsvolontär.

Um 1949 kam er beruflich zum ersten Mal nach Hamburg und so in Kontakt mit der dortigen „homosexuellen Szene“. In der Folge schrieb er auch für zeitgenössische „Homophilenzeitschriften“ wie Der Kreis, Die Gefährten und Zwischen den anderen – allerdings unter wechselnden Pseudonymen. Die bekanntesten waren und sind noch heute „Jack Argo“ und „Norbert Weissenhagen“. Nach Aufenthalten in Freiburg/Breisgau und Washington (USA) zog er nach Frankfurt, wo er als Aushilfe für die Frankfurter Neue Presse tätig wurde und bald Wolfgang E. Bredtschneider, Hans Giese und Heinz Meininger vom Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) kennenlernte.

Zurück in Hamburg wurde Johannes Werres 1954 Sekretär des „Homophilenaktivisten“ Erwin Haarmann (1915–1972), der als Vorsitzender der Hamburger Gesellschaft für Menschenrechte (GfM) fungierte, und Mitarbeiter der „Homphilenzeitschrift“ Humanitas. Doch schon bald kam es zu unüberbrückbaren Spannungen zwischen Haarmann und Werres, und von 1956 bis 1958 arbeitete dieser dann für das niederländische COC und das International Committee for Sexual Equality (ICSE). Von Amsterdam aus redigierte er einen deutschsprachigen Pressedienst unter dem Titel „ICSE-Press“ sowie den mehrsprachigen ICSE-Newsletter. Werres übersetzte zunächst englischsprachige Presseberichte und Artikel aus amerikanischen Zeitschriften wie One und Mattachine Review, dann folgten auch Übersetzungen aus dem Niederländischen.

Auf den ICSE-Präsidenten „Floris van Mechelen“ (d.i. Henri Methorst) war Johannes Werres später nicht gut zu sprechen. Er habe ihm mehrere Ämter im Vorstand des ICSE „aufgehalst“, so Werres 1990, und er selbst sei sich dabei wie ein „Prügelknabe“ vorgekommen, „mit dem man alles machen konnte“. Negativ waren im Rückblick aber überhaupt mehrere Urteile, die Werres über frühere „homophile“ Weggefährten fällte, so etwa die über Erwin Haarmann und Hans Giese.

Da er keine gültigen Aufenthaltspapiere für die Niederlande besaß, wurde Johannes Werres Anfang 1958 nach Deutschland abgeschoben. In der Folge galt er in den Niederlanden als „unerwünschte Person“. Über den Hamburger Arzt und Sexualwissenschaftler Willhart S. Schlegel (1912–2001) lernte Johannes Werres um diese Zeit seinen späteren Lebenspartner Heinz Liehr (1917–1990) kennen. Im Zuge dessen nahm Werres auch Abschied von seinen Tätigkeiten für homosexuelle Gruppen und Zeitschriften und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter an Schlegels privat geführtem „Institut für Konstitutionsbiologie und menschliche Verhaltensforschung“.

Johannes Werres und Heinz Liehr ließen sich Mitte der 1980er Jahre in Positano bei Neapel (Italien) nieder. 1990 verschwanden beide unter bis heute ungeklärten Umständen. So ist nach wie vor nicht bekannt, ob ein Doppel-Suizid, Mord oder Unfall ihrem Leben ein Ende setzte.

Weiterführende Literatur

Argo, Jack [d.i. Johannes Werres] (1952): Kongress Impressionen, in: Periodical Newsletter, [Nr. 8] (Oktober 1952), S. 19-21 [siehe hier auch S. 8-10].

Hergemöller, Bernd-Ulrich (2010): Werres, Johannes, in: Hergemöller, Bernd-Ulrich (Hrsg.): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum (zwei Bände). Münster/Berlin: Lit-Verlag, S. 1255-1257.

Werres, Johannes (1982): „Alles zog sich ins Ghetto zurück“. Leben in deutschen Großstädten nach 1945. In: Joachim S. Hohmann (Hrsg.): Keine Zeit für gute Freunde. Homosexuelle in Deutschland 1933–1969. Ein Lese- und Bilderbuch. Berlin: Foerster, S. 82-92.

Werres, Johannes (1990): Als Aktivist der ersten Stunde. Meine Begegnungen mit homosexuellen Gruppen und Zeitschriften, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte (Jg. 3), Nr. 1, S. 33-51.

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Weiterführende Literatur

[Anonym] (1952): Magnus Hirschfeld, in: Periodical Newsletter, Nr. 5/6 [vermutlich Mai 1952], S. 3.

[Anonym] (1952): „Wir sind keine Verbrecher”. Internationaler Kongreß für sexuelle Gleichberechtigung, in: Pfälzer Abendpost, 30.8.1952 [laut Nachdruck in Der Weg].

[Anonym] (1952): „Wenn ich Sittengesetz höre, graust es mich”. Klibansky fordert niedrigste Strafe nach Paragraph 175, in: Vorderpfälzer Tageblatt, 3.9.1952 [laut Nachdruck in Der Weg].

[Anonym] (1952): Frankfurter Universiteit verzamelde deelnemers uit Denemarken, Duitsland, Frankrijk, Griekenland, Indonesië, Italië, Nederland, Noorwegen, Ver. Staaten en Zweden. 2e Internat. Congres en groot success!, in: Vriendschap (Jg. 7), Nr. 10 (Oktober 1952), S. 4-8.

[Anonym] (1953): I.C.S.E. on the Continent [Kurzbericht], in: One (Jg. 1), Nr. 2, S. 15.

[Anzeige] (1952): Kongress des Internationalen Komitees für Gleichberechtigung, und: Kameradschaftliche Vereinigungen und Zeitschriften des Auslandes. Angeschlossen an das „Internationale Komitee für sexuelle Gleichberechtigung”, in: Der Kreis (Jg. 20), Nr. 7, [S. 33], und Nr. 8, [vordere Innenseite des Umschlags].

K., A. (1952): Sittlichkeitsbegriff und Rechtsempfinden. 2. Internationaler Kongress für sexuelle Gleichberechtigung, in: Der Kreis (Jg. 20), Nr. 9, S. 4-5 [mit einem Zusatz, der offenbar der Frankfurter Rundschau vom 2. September 1952 entnommen war].

Mechelen, Floris van (1952): Einen Schritt vorwärts. Bericht der internen Arbeitsversammlung des zweiten internationalen Kongresses für sexuelle Gleichberechtigung in Frankfurt am Main, in: Der Kreis (Jg. 20), Nr. 10 (Oktober 1952), [vorderer Einband und S. 29].

Mechelen, Floris van (1952): Perspektiven der Bewegung für sexuelle Gleichberechtigung. Ihre Wege und Ziele, in: Der Kreis (Jg. 20), Nr. 10, S. 7-8 [mit einer redaktionellen Anmerkung von „Rolf”].

Meininger, Heinz (1953): Zu den Kongressen 1952–53 Frankfurt – Amsterdam. Wissen Sie, was ein Kongress kostet?, in: Die Gefährten (Jg. 2), Nr. 8, S. 20.

Putziger, Rolf (1952): 2. Internationaler Kongress für Sittengesetze und sexuelle Gleichberechtigung, in: Der Weg (Jg. 2), Nr. 10, S. 4-5.

Rupp, Leila J. (2011): The Persistence of Transnational Organizing. The Case of the Homophile Movement, in: The American Historical Review (Jg. 116), Nr. 4, S. 1014-1039.

Warmerdam, Hans und Pieter Koenders (1987): Cultuur en Ontspanning. Het COC 1946–1966. Utrecht: Interfacultaire Werkgroep Homostudies, hier vor allem S. 263-275.

Wolfert, Raimund (2011): Mehr als tanzen, tunten, schwuchteln, sich bewundern lassen. Die Internationale Freundschaftsloge (IFLO) im Kampf gegen ein „törichtes“ Gesetz, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 48, S. 29-52.

Wolfert, Raimund (2012): Zur Geschichte der Internationalen Freundschaftsloge (IFLO). Ein Nachtrag, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 49, S. 38-51.




Ein Dokumentationsprojekt der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft
(work in progress)
Berlin, März 2025; letzter Stand: 16. April 2025
Beteiligte Mitarbeiter_innen: Raimund Wolfert
Das abgebildete Plakat zum 1952er ICSE-Kongress befindet sich im Original im Schwulen Museum, Berlin.