Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Kurt Hiller: § 175: Die Schmach des Jahrhunderts (Reprint)

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Allein für das Erscheinungsjahr des Buchs (1922) verzeichnet eine Statistik des Deutschen Reichs 499 rechtskräftige Verurteilungen wegen sogenannter „Vergehen“ gegen den § 175 RStGB – Tendenz steigend. 1925 sind es bereits 1107. Über die NS-Zeit und die ersten zwei Jahrzehnte der jungen Bundesrepublik Deutschland hinweg bewies der Paragraf traurige Kontinuität. Der Schriftsteller, bekannte Autor der Weltbühne und promovierte Jurist Kurt Hiller (1885–1972) setzte mit seinem „Schmach-Buch“ Zeichen, indem er Tabus brach und mit Vorurteilen aufräumte.

In seinem Buch forderte Hiller nicht nur die Abschaffung des § 175 im deutschen Strafgesetzbuch, sondern trat auch für ein selbstbestimmtes Sexualleben jedes einzelnen Menschen ein. Homosexuelle rief er dazu auf, sich selbstbewusst für die eigenen Menschenrechte einzusetzen: „Die oberste Aufgabe der Homosexuellen unseres Landes lautet heute und lautet morgen: zu kämpfen.” Denn „taktisch falsch ist, Mitleid einzuflößen. Man muß nicht winseln, man muß protestieren. Man muß nicht betteln, man muß fordern. Wehmütig-demütige Selbstdenunziation eines leider pathologischen Geschöpfs […] führt günstigstenfalls zu dem Resultat, daß ein paar tolerante Geheimräte das Gefängnis durch das Irrenhaus zu ersetzen vorschlagen.“

Als Kurt Hiller das Buch § 175: Die Schmach des Jahrhunderts 1922 in einer Auflage von 5.000 Exemplaren veröffentlichte, wagte zwar keiner, es zu besprechen. Der „beschwiegene“ Band war aber sofort vergriffen. Jetzt, 100 Jahre nach seinem Ersterscheinen, wird er mit einem Reprint gewürdigt. Die Neuausgabe enthält ergänzende Materialien – so eine Auswahl entlegener Hiller-Texte, die nach 1922 erschienen, und den kompletten Text der Schrift „Der Strafgesetzskandal“, die der produktiv schreibende Zeitkritiker Hiller 1928 vorgelegt hatte.

Unter den der Neuausgabe beigefügten Materialien ist auch der Artikel „Kurt Hiller – die zentralen Bereiche seines schriftstellerischen und organisatorischen Engagements“ von Hans-Günter Klein (1939–2016), dem Mitbegründer der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und späteren Mitglied der Kurt Hiller Gesellschaft. Kleins Artikel war 1988 erstmals in den Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (Nr. 11) erschienen.