Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Jacob Anton Schorer, Dr. Jonkheer

geb. 1.3.1866 (Heinkenszand, Niederlande) gest. 18.8.1957 (Harderwijk, Niederlande)

Zur Biografie

vergrößern
Jacob Anton Schorer wurde 1866 in eine angesehene niederländische Familie in Zeeland geboren. Der Vater Eduard Pieter Schorer (1837–1909) war Rechtsanwalt und wurde 1893 in den Adelsstand erhoben. Daher leitet sich das Prädikat „Jonkheer“ (junger Herr, Junker) ab. Jacob Anton Schorer studierte Jura an der Universität in Leiden und promovierte Anfang 1897 mit einer Dissertation über „Die Geschichte der Calamiteuse-Polder in Zeeland bis zu den Verordnungen vom 20. Januar 1791“. Im selben Jahr wurde er Gerichtsschreiber am Bezirksgericht in Middelburg, wo er 1899 zum stellvertretenden Amtsrichter ernannt wurde. Jacob Anton Schorer war auch als Rechtsanwalt tätig und engagierte sich wie sein Vater für soziale Zwecke. So war er etwa 1898 Mitbegründer der regionalen Sektion der Niederländischen Gesellschaft zum Schutz der Tiere.

Jacob Anton Schorers juristische Laufbahn fand 1903 ein frühes Ende. Ihm wurde vorgeworfen, eine sexuelle Beziehung zu einem Jugendlichen unterhalten zu haben. Sein öffentlicher Ruf war ruiniert, und Schorer flüchtete zunächst nach Vorden in Gelderland und schließlich nach Berlin.

In der deutschen Reichshauptstadt arbeitete Jacob Anton Schorer als Vertreter einer Versicherungsgesellschaft, und er trat hier in Kontakt mit Magnus Hirschfeld. 1910 – im Jahr nach dem Tod seines Vaters – kehrte Schorer in die Niederlande zurück und zog zu seiner Mutter. In dieser Zeit war er auf jährliche Beihilfen angewiesen. Nach dem Tod der Mutter 1916 konnte er von Einkünften aus Kapitalanlagen leben, doch litt er angesichts seines Engagements für die homosexuelle Emanzipationsbewegung immer wieder unter finanziellen Engpässen.

1923 lernte Jacob Anton Schorer die große Liebe seines Lebens kennen, einen jungen deutschen Studenten namens Helmut Imhoff, den er als „Pflegesohn“ zu sich nahm. Imhoff trennte sich 1933 von Schorer, heiratete und wurde Vater eines Sohnes. Doch hielten die beiden Männer ihre Freundschaft aufrecht. Imhof wurde Mitglied der NSDAP und starb als deutscher Soldat an der Ostfront.

Jacob Anton Schorer engagierte sich maßgeblich gegen den Artikel 248bis des niederländischen Strafgesetzbuches, der ab 1911 ein höheres Mindestalter für homosexuelle Kontakte als für heterosexuelle Kontakte setzte und damit die „Verbreitung der Homosexualität“ unterbinden wollte. Bereits 1912 gründete Schorer eine niederländische Sektion des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), die ab 1919 den Namen „Nederlandsch Wetenschappelijk Humanitair Komitee“ (NWHK) trug. Hier arbeitete er unter anderem mit Lucien von Römer (1873–1965) und Marie Jacobus Johannes Exler (1882–1939) zusammen.

Jacob Anton Schorer war Schriftführer des NWHK, er führte die Korrespondenz der Vereinigung und verfasste auch deren Jahresberichte. Zusätzlich baute er eine umfangreiche Bibliothek auf, die er Forschern und anderen Interessierten zugänglich machte, und wurde als Lobbyist für die Belange der Homosexuellen in den Niederlanden tätig.

Als die deutsche Wehrmacht 1940 die Niederlande besetzte, löste sich das NWHK auf und vernichtete vorausschauend ihre Mitgliederdatei und die dazugehörige Korrespondenz. Als deutsche Einheiten am 15. Mai 1940 die Wohnung Schorers stürmten, wurde dessen gesamte Bibliothek beschlagnahmt. Bis heute ist über den Verbleib der Bücher nichts bekannt. Nur der Bibliothekskatalog blieb erhalten. Auf seiner Grundlage bemühte sich das „Internationaal Homo/Lesbisch Informatiecentrum en Archief” (Ihlia) später um eine weitgehende Rekonstruktion der Bibliothek.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte Jacob Anton Schorer in Harderwijk und versuchte, an sein Engagement von vor 1940 anzuknüpfen, doch fand er nicht mehr die gebührende Beachtung. Die Arbeit des NWHK wurde 1946 vom Amsterdamer „Shakespeare Club“ übernommen, der nach 1948 unter den Namen „Cultuur en Ontspannings Centrum (COC)“ bekannt wurde. In dieser Vereinigung wurde Schorer schon 1947 zum Ehrenmitglied ernannt.

Jacob Anton Schorer verlebte die letzten Jahre seines Lebens relativ isoliert. Er erkrankte schwer an einem Tumor am Hals, gegen den er sich nicht behandeln ließ, weil er mittlerweile Anhänger der „Christlichen Wissenschaft“ geworden war. Jacob Anton Schorer starb 1957 im Alter von 91 Jahren. Nach seinem Tod wurde die „Schorerstichting“ gegründet, eine Beratungsstelle für die seelische und körperliche Gesundheit Homosexueller. Die Organisation betrieb auch einen Verlag, in dem 2007 eine umfassende Biographie Jacob Anton Schorers, geschrieben von Theo van der Meer, erschien.

Schriften (Auswahl)

Schorer, Jacob Anton (1905): Wissenschaft und Rechtsprache. In: Friedreich’s Blätter für gerichtliche Medizin und Sanitätspolizei (Jg. 56), S. 108-114, 182-188, 277-287 und 374-384.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (1999): Die verschwundene Schorerbibliothek – Ein Zwischenbericht. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 29/30, S. 87-95.

Meer, Theo van der (2007): Jonkheer mr. Jacob Anton Schorer (1866–1957). Een biografie van homoseksualiteit. Amsterdam: Schorer.

Tielman, Rob (1981): Schorer en het Nederlandsch Wetenschappelijk Humanitair Komitee (1911–1940). In: Ballas, Michael, Mattias Duyves und Jan Goossensen (Hrsg.): Homojaarboek 1. Artikelen over emancipatie en homoseksualiteit. Amsterdam: Van Gennep, S. 107-132.