Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Siegfried Chodziesner, Rechtsanwalt

geb. 18.7.1872 (Woldenberg, heute Dobiegniew, PL) gest. 4.5.1948 (Montevideo, UY)

Zur Biografie

Siegfried Chodziesner studierte von 1894 bis 1897 Jura in Berlin. Er scheint um 1903 in Kontakt mit Magnus Hirschfeld gekommen zu sein – möglicherweise aufgrund einer Versandaktion der WhK-Petition an 7.300 Rechtsanwälte in Deutschland Anfang 1903. Chodziesner wurde Mitglied des WhK und verteidigte Hirschfeld 1904 gemeinsam mit Justizrat Wronker gegen den Vorwurf, mit seiner Umfrage zur sexuellen Orientierung die befragten Studenten beleidigt zu haben. Seine umfangreichen Schriftsätze hierzu sind im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Bd. 6, 1904) abgedruckt. 1908 trat Chodziesner zusammen mit Justizrat Sello als Verteidiger des Verlegers Bernhard Zack und des Schriftstellers John Henry Mackay auf: Pastoren, die sich von einer Flugschrift Mackays belästigt fühlten, hatten beide wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften verklagt.

Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) war Siegfried Chodziesner ab 1907.

1910 war Siegfried Chodziesner beim Landgericht III in Charlottenburg als Rechtsanwalt zugelassen. Seine letzte bekannte Praxisadresse (1922) war Berlin W 50, Tauentzienstraße 19a. 1933 verlor er seine Zulassung als Anwalt. 1934/35 wohnte er in Charlottenburg, Kastanienallee 23. 1938 emigrierten Chodziesner und seine Frau Minnie, geb. Nord, nach Florenz. Die Familie ging später nach Montevideo, Uruguay.

Siegfried Chodziesner wird in den Gründungsurkunden der Magnus-Hirschfeld-Stiftung von 1918/19 als eines der drei Vorstandsmitglieder mehrfach erwähnt, zuletzt bei der Satzungsänderung am 19. November 1921, deren Wortlaut er Anfang 1922 dem Polizeipräsidenten mitteilte. Dem am 18. Februar 1924 neu zusammengesetzten Stiftungskuratorium, das die Vorstandsfunktionen im Falle der Verhinderung Hirschfelds oder seines Todes wahrnehmen sollte, gehörte Chodziesner aus bisher unbekannten Gründen nicht mehr an.

Siegfried Chodziesner war der jüngste Bruder des „Prominentenanwalts“ Ludwig Chodziesner (1861–1943), der 1942 zusammen mit seiner Tochter, der Lyrikerin Gertrud Kolmar (1894–1943), in einem Berliner „Judenhaus” ghettoisiert wurde. Ludwig Chodziesner wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort wenig später; Gertrud Kolmar wurde im Februar 1943 während der Berliner „Fabrikaktion” verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Weiterführende Literatur

Chosińska, Danuta, Sebastian Chosiński und Marcin Moeglich (2017): Śladami (nie)pamięci. Historia Żydów wągrowieckich. Wągrowiec.

Kolmar, Gertrud (1997): Briefe. Hrsg. von Johanna Woltmann. Göttingen: Wallstein.

Ladwig-Winters, Simone (2007): Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933 (zweite, erweiterte und ergänzte Auflage, erstmals erschienen 1998). Berlin: be.bra, S. 134-135.

Woltmann, Johanna (1995): Gertrud Kolmar. Leben und Werk. Göttingen: Wallstein.