Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Ernst Burchard, Dr. med., Arzt

geb. 9.9.1876 (Heilsberg, heute Lidzbark Warmiński, Polen) gest. 30.1.1920 (Berlin)

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Ernst Burchard mit einem Freund. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Ernst Burchard stammte aus einem protestantischen Elternhaus. Schon sein Vater war Arzt und trug den Titel eines Sanitätsrats. Offenbar wuchs aber Burchard bei Pflegeeltern auf. Nach dem Besuch dreier Gymnasien begann er in Tübingen Jura zu studieren. Er wechselte jedoch schon nach einem Semester zur Medizin und führte sein Studium in Würzburg und Kiel fort. Nachdem er das medizinische Staatsexamen abgelegt hatte, wurde er Volontärarzt zunächst in Kiel und dann Hilfsarzt in Uchtspringe (Altmark). Nach seiner Promotion ließ er sich 1901 als Spezialarzt für psychische und nervöse Leiden in Berlin-Moabit nieder.

Bereits um diese Zeit muss Ernst Burchard in Kontakt mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) getreten sein. Er gehörte dem Präsidium der Organisation für mehrere Jahre an und gilt als einer der engsten Mitarbeiter Magnus Hirschfelds, betätigte sich aber auch im anarchistischen „Bund für Menschenrechte” und veröffentlichte Gedichte etwa in der von Adolf Brand (1874–1945) herausgegebenen Zeitschrift Der Eigene. Er trat als Sachverständiger in zahlreichen Prozessen nach § 175 RStGB auf. Als Mitglied in der Obmännerkommission des WhK wurde Ernst Burchard ab 1907 geführt.

Ernst Burchard schied am 14. Dezember 1908 aus Krankheitsgründen aus dem Vorstand des WhK aus, seine Stelle nahm Max Tischler (1876–1919) ein. Bekannt ist gleichwohl, dass Burchard am neu gegründeten Institut für Sexualwissenschaft ab 1919 eine Vorlesungsreihe über „Die kulturelle Bedeutung der seelisch Abnormalen” halten sollte. Sein früher Tod war aber der Grund dafür, dass sie mit nur einer Veranstaltung stattfand.

Ernst Burchard arbeitete als psychiatrisch-forensischer Sachverständiger und praktisch-ärztlicher Sexualberater eng mit Magnus Hirschfeld zusammen. Gemeinsam erstellten die zwei Gutachten, die in die Praxis der seinerzeit neuen „Transvestitenscheine” mündeten. In eigenen Schriften widmete sich Burchard unter anderem dem Problem der homosexuellen „Erpresserprostitution”. Mit dem Lexikon des gesamten Sexuallebens (1914) legte er das erste Nachschlagewerk zur Sexualwissenschaft im Taschenbuchformat vor.

Ernst Burchard wurde am 5. Februar 1920 auf dem Luisenfriedhof in Berlin-Westend bestattet. Das Grab existiert nicht mehr.

Schriften (Auswahl)

Burchard, Ernst und Magnus Hirschfeld (1912): Zwei Gutachten über Beziehungen homosexueller Frauen. In: Zeitschrift für Kriminalanthropologie 50, S. 49-61.

Burchard, Ernst (1914): Lexikon des gesamten Sexuallebens. Berlin: Adler-Verlag.

Burchard, Ernst (1916): Weibliche Soldaten. In: Berliner Illustrirte Zeitung vom 6.8.1916 (Jg. 25, Nr. 32), S. 477-479.

Burchard, Ernst (1920): Vivat Fridericus! Dramatisches Gedicht in 5 Bildern, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 20), Nr. 1/2, S. 3-35.

Weiterführende Literatur

Bornemann, Georg (2022): Facettenreich und fast vergessen. Über den Sexualwissenschaftler Ernst Burchard (1876–1920), in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 68, S. 8-12.

Bornemann, Georg und Holger Steinberg (2022): Die Beiträge des Nervenarztes Ernst Burchard (1876–1920) zur Sexualforschung im frühen 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Sexualforschung 35 (3), S. 148-153.

Hirschfeld, Magnus (1986): Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Bd. 1). Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 19.

Kühl, Richard (2009): Ernst Burchard (1876–1920), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt: Campus, S. 98-99.